Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.Großmederland Der Sprachkongreß, der kürzlich in Antwerpen tagte, war nicht nur von Vlamen Großmederland Der Sprachkongreß, der kürzlich in Antwerpen tagte, war nicht nur von Vlamen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0602" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/224186"/> <fw type="header" place="top"> Großmederland</fw><lb/> <p xml:id="ID_1785" prev="#ID_1784" next="#ID_1786"> Der Sprachkongreß, der kürzlich in Antwerpen tagte, war nicht nur von Vlamen<lb/> und Holländern, sondern auch von Buren und Niederdeutschen beschickt. Man<lb/> freute sich namentlich über die Anwesenheit des Vertreters der südafrikanischen<lb/> Republik Jonkheer G. I. Th. Beelaerts van Blokland, der Gruße der Stammes¬<lb/> brüder aus Transvaal brachte. Bei der Eröffnung des Kongresses stimmte<lb/> das Musikkorps der Vurgerwacht jedesmal nach einer Ansprache des Vertreters<lb/> einer der drei Völker die betreffende Nationalhymne an. So konnte man nach¬<lb/> einander hören: Wien NcZrlandsch bloed, die Dricklenr van Transvaal und<lb/> die Vraban^omne. Auch aus Nordfrankreich, wo noch vlümischc Bevölkerung<lb/> sitzt und ein Lmnitö lig-irmnä äg I'rg.pas besteht, waren Sympathiebezengungen<lb/> eingegangen. Freilich drehte es sich bei allen Verhandlungen nur um die Aus¬<lb/> bildung der Muttersprache, um Einführung einer gemeinsamen Aussprache, um<lb/> Austausch der Theaterstücke und Schauspielertruppen und ähnliches. Aber es<lb/> liegt ans der Hand, daß eine solche geistige Annäherung mit der Zeit auch<lb/> ans politischem Gebiete Früchte tragen wird. Das Rassengefühl drängt sich<lb/> hentzntrage immer mehr in den Vordergrund und beherrscht schließlich die<lb/> öffentliche Meinung. Von einer rein platonischen Annäherung wird man all¬<lb/> mählich zu einer thatsächlichen übergehen. Man wird z. V. einen Zollverband<lb/> gründen. Denn man weiß, wie sehr der deutsche Zollverein die politische Einigung<lb/> Deutschlands vorbereitet hat. Man wird ein Schutz- und Trutzbündnis ab¬<lb/> schließen. Viele wünschen auch eine Heirat zwischen der jungen Königin von<lb/> Holland und dem Prinzen Albert von Belgien, dem einstigen Nachfolger des<lb/> Königs Leopold. Auf diese Weise würde eine ArtPersonalunion geschaffen werden,<lb/> wie sie etwa zwischen Schweden und Norwegen besteht. Wie dort die Skan¬<lb/> dinavische Union, so würde hier die Niederländische Union zwei Staaten ver¬<lb/> binden, die dann mit Leichtigkeit zu einer Realunion werden konnten wie in<lb/> Großbritannien. Es wäre das dann ein Staatswesen, das eine gewisse Rolle<lb/> in dem „europäischen Konzert" spielen könnte. Denn mit der bedeutenden<lb/> Industrie der wallonischen Provinzen und dem großen Handel der Holländer,<lb/> den Kolonien, der günstigen Lage, dem Reichtum an schiffbaren Strömen und<lb/> Häfen, kurz all den Vorteilen der natürlichen Beschaffenheit könnte bei Fleiß<lb/> und Ausdauer den Bewohnern der materielle Erfolg nicht ausbleiben. Man<lb/> bedenke, daß bei Beginn der Neuzeit Flandern das reichste und gebildetste<lb/> Land der Welt war, und daß im siebzehnten Jahrhundert das kleine Holland<lb/> eine Großmachtstcllung hatte! Solche Zeiten könnten auch einmal wieder¬<lb/> kommen. Man sucht jetzt die belgischen Häfen der Neuzeit entsprechend wieder¬<lb/> herzustellen, namentlich Brügge und Brüssel, weil man erkennt, daß die Ausfuhr<lb/> des Hinterlandes, nämlich Süd- und Westdeutschlands, leichter über die belgischen<lb/> Häfen geht als über Hamburg und Bremen. Der Kougostacit wird später eine<lb/> große belgische Kolonie werden, und die südafrikanischen Republiken würden<lb/> wahrscheinlich gern die Anlehnung an ihre Brüder im Norden suchen. Viel-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0602]
Großmederland
Der Sprachkongreß, der kürzlich in Antwerpen tagte, war nicht nur von Vlamen
und Holländern, sondern auch von Buren und Niederdeutschen beschickt. Man
freute sich namentlich über die Anwesenheit des Vertreters der südafrikanischen
Republik Jonkheer G. I. Th. Beelaerts van Blokland, der Gruße der Stammes¬
brüder aus Transvaal brachte. Bei der Eröffnung des Kongresses stimmte
das Musikkorps der Vurgerwacht jedesmal nach einer Ansprache des Vertreters
einer der drei Völker die betreffende Nationalhymne an. So konnte man nach¬
einander hören: Wien NcZrlandsch bloed, die Dricklenr van Transvaal und
die Vraban^omne. Auch aus Nordfrankreich, wo noch vlümischc Bevölkerung
sitzt und ein Lmnitö lig-irmnä äg I'rg.pas besteht, waren Sympathiebezengungen
eingegangen. Freilich drehte es sich bei allen Verhandlungen nur um die Aus¬
bildung der Muttersprache, um Einführung einer gemeinsamen Aussprache, um
Austausch der Theaterstücke und Schauspielertruppen und ähnliches. Aber es
liegt ans der Hand, daß eine solche geistige Annäherung mit der Zeit auch
ans politischem Gebiete Früchte tragen wird. Das Rassengefühl drängt sich
hentzntrage immer mehr in den Vordergrund und beherrscht schließlich die
öffentliche Meinung. Von einer rein platonischen Annäherung wird man all¬
mählich zu einer thatsächlichen übergehen. Man wird z. V. einen Zollverband
gründen. Denn man weiß, wie sehr der deutsche Zollverein die politische Einigung
Deutschlands vorbereitet hat. Man wird ein Schutz- und Trutzbündnis ab¬
schließen. Viele wünschen auch eine Heirat zwischen der jungen Königin von
Holland und dem Prinzen Albert von Belgien, dem einstigen Nachfolger des
Königs Leopold. Auf diese Weise würde eine ArtPersonalunion geschaffen werden,
wie sie etwa zwischen Schweden und Norwegen besteht. Wie dort die Skan¬
dinavische Union, so würde hier die Niederländische Union zwei Staaten ver¬
binden, die dann mit Leichtigkeit zu einer Realunion werden konnten wie in
Großbritannien. Es wäre das dann ein Staatswesen, das eine gewisse Rolle
in dem „europäischen Konzert" spielen könnte. Denn mit der bedeutenden
Industrie der wallonischen Provinzen und dem großen Handel der Holländer,
den Kolonien, der günstigen Lage, dem Reichtum an schiffbaren Strömen und
Häfen, kurz all den Vorteilen der natürlichen Beschaffenheit könnte bei Fleiß
und Ausdauer den Bewohnern der materielle Erfolg nicht ausbleiben. Man
bedenke, daß bei Beginn der Neuzeit Flandern das reichste und gebildetste
Land der Welt war, und daß im siebzehnten Jahrhundert das kleine Holland
eine Großmachtstcllung hatte! Solche Zeiten könnten auch einmal wieder¬
kommen. Man sucht jetzt die belgischen Häfen der Neuzeit entsprechend wieder¬
herzustellen, namentlich Brügge und Brüssel, weil man erkennt, daß die Ausfuhr
des Hinterlandes, nämlich Süd- und Westdeutschlands, leichter über die belgischen
Häfen geht als über Hamburg und Bremen. Der Kougostacit wird später eine
große belgische Kolonie werden, und die südafrikanischen Republiken würden
wahrscheinlich gern die Anlehnung an ihre Brüder im Norden suchen. Viel-
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |