Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches die darin verfolgt werden, aber wir meinen, daß, wenn man nun einmal auf Das zweite wichtige Ergebnis ist die Erkenntnis, wie gefährlich ein Institut Dem Laien wird sich bei aller Ehrfurcht vor der überlegnen Weisheit und Maßgebliches und Unmaßgebliches die darin verfolgt werden, aber wir meinen, daß, wenn man nun einmal auf Das zweite wichtige Ergebnis ist die Erkenntnis, wie gefährlich ein Institut Dem Laien wird sich bei aller Ehrfurcht vor der überlegnen Weisheit und <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0590" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/224174"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_1748" prev="#ID_1747"> die darin verfolgt werden, aber wir meinen, daß, wenn man nun einmal auf<lb/> staatsgefährliche Menschen Jagd machen will, die Hochwildjagd ein nobleres und<lb/> lohnenderes Vergnügen ist als die auf kleines Wild. Übrigens wollen wir das<lb/> „staatsgefährlich" nicht ernsthaft verstanden wissen. Der Vorwärts erinnert an den<lb/> Halsbandprozeß. Das ist nun Unsinn. Unsre heutigen deutschen Zustände haben<lb/> mit den französischen vor der großen Revolution nicht die geringste Ähnlichkeit.<lb/> Um nur einen gewaltigen Unterschied zu erwähnen: Frankreich hatte über hundert<lb/> Jahre lang unter einer grundliederlichen Finanzwirtschaft furchtbar gelitten, und<lb/> wir erfreuen uns seit langem vollkommen geordneter Finanzen und jetzt auch noch<lb/> des in Überschüssen schwimmenden Miquel, und das ist in unsrer materialistischen<lb/> Welt nicht so unwichtig, wie die Sozialdemokraten und andre — Idealisten glauben<lb/> mögen. Aber kann man diesen Leuten, die auf den Zusammenbruch warten, wie<lb/> der Prophet Jonas auf den Untergang von Niniveh, solche Phantasien verargen, wenn<lb/> Herr Harden durchschnittlich aller vier Wochen einmal in der Pose des Propheten<lb/> Daniel vor den Kaiser hintretend das Mene, Tekel, Upharsin deutet und ihm den<lb/> baldigen Untergang ankündigt, weil er die „produktiven" Stände zu Grunde gehen<lb/> läßt und nicht die Minister bestellt, die die Deutsche Tageszeitung haben will?</p><lb/> <p xml:id="ID_1749"> Das zweite wichtige Ergebnis ist die Erkenntnis, wie gefährlich ein Institut<lb/> sei, dessen Mitglieder darauf angewiesen sind, durch Staatsretterei Karriere zu<lb/> machen, und daher in Versuchung geraten, die Verbrechen, die sie zu entdecken<lb/> wünschen, selbst zu beschaffen. Diese Erkenntnis war zwar schon längst allgemein<lb/> verbreitet, aber diesmal, und darin eigentlich nur besteht das Ergebnis, ist sie auch<lb/> in die Kreise der gebornen Freunde der Polizei, der Nationalliberalen, Konser¬<lb/> vativen und Freikonservativen eingedrungen. Wir wollen den Staatsmännern von<lb/> Fach nicht ins Handwerk pfuschen und erlauben uns kein Urteil darüber, ob die<lb/> geheime politische Polizei entbehrt werden kann oder nicht, d. h. ob ein unsittliches<lb/> Spionirsystem zu deu Grundlagen des Staates gehört; aber daß sie, wenn sie not¬<lb/> wendig sein sollte, als ein notwendiges Übel bezeichnet werden muß, das wagt<lb/> heute wohl niemand mehr zu bestreiten. Daß eine Einrichtung, die sich, mit dem<lb/> Oberstaatsanwalt zu sprechen, gebrochner Existenzen bedienen muß, reformirt werden<lb/> könne, glauben wir nicht; die praktische Wirkung des Prozesses kann also nur<lb/> darin bestehen, daß man die Thätigkeit dieser unglückseligen Behörde möglichst ein¬<lb/> schränkt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1750" next="#ID_1751"> Dem Laien wird sich bei aller Ehrfurcht vor der überlegnen Weisheit und<lb/> Sachkenntnis der Staatsmänner von Fach immer wieder die Frage aufdrängen, die<lb/> der Reichsbote auswirft, „ob nicht dieses System mehr schadet als nützt, indem<lb/> es die Gefahren, vor denen es den Staat schützen soll, erst erzeugt." Wir wieder¬<lb/> holen, daß wir überhaupt die unserm Staate drohenden innern Gefahren nicht<lb/> tragisch nehme». Die jämmerliche Regierung eines Staates, der nur ein Kunst¬<lb/> produkt der Diplomatie ist, kann durch einen Pöbelaufstand weggefegt, und ein<lb/> solcher kann durch einen Zeitungsartikel oder durch eine Aufführung der Stummen<lb/> von Portici hervorgerufen werden; aber ein Staat, der, so viel auch viele im<lb/> einzelnen daran auszusetzen haben, im ganzen doch auf dem Willen der Mehrheit<lb/> eines großen, starken und gebildeten Volkes ruht, ein solcher Staat wird weder<lb/> durch Zeitungsartikel, noch durch geheime Ränke umgeworfen, selbst nicht durch die<lb/> der politischen Polizei. Aber schädlicher, weil Korruption verbreitend, bleiben diese<lb/> immerhin als z. B. die Arbeiterbewegung, der als einer höchst staatsgefährlichen<lb/> Sache die politische Polizei bisher ihre Thätigkeit vorzugsweise gewidmet .hat.,<lb/> Diese Bewegung ist ihrem Wesen nach nichts andres als das Aufstreben, der untern.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0590]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
die darin verfolgt werden, aber wir meinen, daß, wenn man nun einmal auf
staatsgefährliche Menschen Jagd machen will, die Hochwildjagd ein nobleres und
lohnenderes Vergnügen ist als die auf kleines Wild. Übrigens wollen wir das
„staatsgefährlich" nicht ernsthaft verstanden wissen. Der Vorwärts erinnert an den
Halsbandprozeß. Das ist nun Unsinn. Unsre heutigen deutschen Zustände haben
mit den französischen vor der großen Revolution nicht die geringste Ähnlichkeit.
Um nur einen gewaltigen Unterschied zu erwähnen: Frankreich hatte über hundert
Jahre lang unter einer grundliederlichen Finanzwirtschaft furchtbar gelitten, und
wir erfreuen uns seit langem vollkommen geordneter Finanzen und jetzt auch noch
des in Überschüssen schwimmenden Miquel, und das ist in unsrer materialistischen
Welt nicht so unwichtig, wie die Sozialdemokraten und andre — Idealisten glauben
mögen. Aber kann man diesen Leuten, die auf den Zusammenbruch warten, wie
der Prophet Jonas auf den Untergang von Niniveh, solche Phantasien verargen, wenn
Herr Harden durchschnittlich aller vier Wochen einmal in der Pose des Propheten
Daniel vor den Kaiser hintretend das Mene, Tekel, Upharsin deutet und ihm den
baldigen Untergang ankündigt, weil er die „produktiven" Stände zu Grunde gehen
läßt und nicht die Minister bestellt, die die Deutsche Tageszeitung haben will?
Das zweite wichtige Ergebnis ist die Erkenntnis, wie gefährlich ein Institut
sei, dessen Mitglieder darauf angewiesen sind, durch Staatsretterei Karriere zu
machen, und daher in Versuchung geraten, die Verbrechen, die sie zu entdecken
wünschen, selbst zu beschaffen. Diese Erkenntnis war zwar schon längst allgemein
verbreitet, aber diesmal, und darin eigentlich nur besteht das Ergebnis, ist sie auch
in die Kreise der gebornen Freunde der Polizei, der Nationalliberalen, Konser¬
vativen und Freikonservativen eingedrungen. Wir wollen den Staatsmännern von
Fach nicht ins Handwerk pfuschen und erlauben uns kein Urteil darüber, ob die
geheime politische Polizei entbehrt werden kann oder nicht, d. h. ob ein unsittliches
Spionirsystem zu deu Grundlagen des Staates gehört; aber daß sie, wenn sie not¬
wendig sein sollte, als ein notwendiges Übel bezeichnet werden muß, das wagt
heute wohl niemand mehr zu bestreiten. Daß eine Einrichtung, die sich, mit dem
Oberstaatsanwalt zu sprechen, gebrochner Existenzen bedienen muß, reformirt werden
könne, glauben wir nicht; die praktische Wirkung des Prozesses kann also nur
darin bestehen, daß man die Thätigkeit dieser unglückseligen Behörde möglichst ein¬
schränkt.
Dem Laien wird sich bei aller Ehrfurcht vor der überlegnen Weisheit und
Sachkenntnis der Staatsmänner von Fach immer wieder die Frage aufdrängen, die
der Reichsbote auswirft, „ob nicht dieses System mehr schadet als nützt, indem
es die Gefahren, vor denen es den Staat schützen soll, erst erzeugt." Wir wieder¬
holen, daß wir überhaupt die unserm Staate drohenden innern Gefahren nicht
tragisch nehme». Die jämmerliche Regierung eines Staates, der nur ein Kunst¬
produkt der Diplomatie ist, kann durch einen Pöbelaufstand weggefegt, und ein
solcher kann durch einen Zeitungsartikel oder durch eine Aufführung der Stummen
von Portici hervorgerufen werden; aber ein Staat, der, so viel auch viele im
einzelnen daran auszusetzen haben, im ganzen doch auf dem Willen der Mehrheit
eines großen, starken und gebildeten Volkes ruht, ein solcher Staat wird weder
durch Zeitungsartikel, noch durch geheime Ränke umgeworfen, selbst nicht durch die
der politischen Polizei. Aber schädlicher, weil Korruption verbreitend, bleiben diese
immerhin als z. B. die Arbeiterbewegung, der als einer höchst staatsgefährlichen
Sache die politische Polizei bisher ihre Thätigkeit vorzugsweise gewidmet .hat.,
Diese Bewegung ist ihrem Wesen nach nichts andres als das Aufstreben, der untern.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |