Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.Lin neues Buch über Beethoven und seine Sinfonien war, Italien hat der Verfasser ganz aus dein Spiele gelassen, obwohl es Grove kann sich gegen solche Zumutungen an sein Buch mit dem Be¬ Das Kapitel von den Freiheiten, die den ausführenden Musikern erlaubt Aus der orthodoxen Seite hat man z. B. letzthin mit großer Genugthuung ") R. Wagner. Über das Dirigiren. (Gesamte Schriften. Bd. VIII.)
Lin neues Buch über Beethoven und seine Sinfonien war, Italien hat der Verfasser ganz aus dein Spiele gelassen, obwohl es Grove kann sich gegen solche Zumutungen an sein Buch mit dem Be¬ Das Kapitel von den Freiheiten, die den ausführenden Musikern erlaubt Aus der orthodoxen Seite hat man z. B. letzthin mit großer Genugthuung ") R. Wagner. Über das Dirigiren. (Gesamte Schriften. Bd. VIII.)
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0052" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223636"/> <fw type="header" place="top"> Lin neues Buch über Beethoven und seine Sinfonien</fw><lb/> <p xml:id="ID_133" prev="#ID_132"> war, Italien hat der Verfasser ganz aus dein Spiele gelassen, obwohl es<lb/> interessante Ausbente versprach. Man denke nur daran, daß Otto Nicolai<lb/> uoch im Jahre 1835 in ganz Rom keinen Klavierauszug von Beethovenschen<lb/> Sinfonien bekommen konnte!</p><lb/> <p xml:id="ID_134"> Grove kann sich gegen solche Zumutungen an sein Buch mit dem Be¬<lb/> merken verwahren, daß er nnr als xmmtcmr — wie es in der Vorrede<lb/> heißt — zu seinesgleichen sprechen wolle. Wir glauben nicht recht an diese<lb/> Bescheidenheit und an die Überzeugung, den Fachmusikern nichts bieten zu können,<lb/> weil er in seiner kritischen Stellung zu andern Erklärern Beethovens deutlich<lb/> genug merken läßt: a-moti' 1c> 8on' inttors, und weil er die Befugnisse des Lieb¬<lb/> habers weit überschreitet. Auch andre Dilettanten — wir nennen von Deutschen<lb/> nur Ortlepp und Elterlein — haben über Beethoven geschrieben, anregendes<lb/> und verworrenes durcheinander, aber sie haben sich in die Notenfragen nicht<lb/> gemengt. Grove erinnert etwas an Onlibicheff, den er ja sonst gar nicht<lb/> liebt. Wie dieser Beethoven selbst gute Lehren über richtige Harmonie giebt,<lb/> so fühlt sich Grove bewogen, den Beethovendirigenten und Beethovenspielern<lb/> hin und wieder ein kleines Kolleg über die richtige Auffassung Beethovenscher<lb/> Musik zu lesen. Namentlich warnt er sie immer wieder vor den sogenannten<lb/> Willkürlichkeiten in der Behandlung der Dynamik, der Jnstrumentation und<lb/> des Tempos.</p><lb/> <p xml:id="ID_135"> Das Kapitel von den Freiheiten, die den ausführenden Musikern erlaubt<lb/> sind, ist zu umfangreich, als daß es hier erledigt werden könnte. Nur einen<lb/> Teil, den der Zufall in der letzten Zeit zum Zankapfel gemacht hat, wollen<lb/> wir bei dieser Gelegenheit streifen: die Tempofrage. In ihr stehen sich zwei<lb/> Parteien gegenüber: die eine, auf N. Wagner") gestützt, erklärt es für not¬<lb/> wendig, daß der Dirigent (und der Solospieler) das Zeitmaß in ein und dem¬<lb/> selben Satze je nach den innern Wallungen der Musik beschleunige und zurück¬<lb/> halte — „nach dem Melos modifizire" sagt Wagner —, die andre verwirft<lb/> jede Änderung, wo sie nicht vom Komponisten selbst vorgeschrieben ist. Beide<lb/> Parteien haben bisher ihre Ansicht nur ungenügend begründet.</p><lb/> <p xml:id="ID_136" next="#ID_137"> Aus der orthodoxen Seite hat man z. B. letzthin mit großer Genugthuung<lb/> auf eine Stelle im Finale der neunten Sinfonie verwiesen, wo Beethoven<lb/> innerhalb dreier Takte zwei verschiedne Tempi hinschreibt, um darzulegen, wie<lb/> dieser Meister, nach dem Brauch der Zeit, alles notwendige selbst ausdrück¬<lb/> lich und aufs genauste anzuordnen pflegte. Ja, das notwendige, d. h. wo es<lb/> sich um Ausnahmen handelte; aber nicht da, wo es sich nach den allgemein<lb/> bekannten Vortragsgesetzen der Zeit von selbst verstand! Die freisinnige Partei<lb/> wieder giebt mit der Forderung, das Tempo „nach dem Melos zu modifiziren,"<lb/> eine zu unbestimmte Vorschrift, eine Vorschrift, die als Freibrief für bloße</p><lb/> <note xml:id="FID_10" place="foot"> ") R. Wagner. Über das Dirigiren. (Gesamte Schriften. Bd. VIII.)</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0052]
Lin neues Buch über Beethoven und seine Sinfonien
war, Italien hat der Verfasser ganz aus dein Spiele gelassen, obwohl es
interessante Ausbente versprach. Man denke nur daran, daß Otto Nicolai
uoch im Jahre 1835 in ganz Rom keinen Klavierauszug von Beethovenschen
Sinfonien bekommen konnte!
Grove kann sich gegen solche Zumutungen an sein Buch mit dem Be¬
merken verwahren, daß er nnr als xmmtcmr — wie es in der Vorrede
heißt — zu seinesgleichen sprechen wolle. Wir glauben nicht recht an diese
Bescheidenheit und an die Überzeugung, den Fachmusikern nichts bieten zu können,
weil er in seiner kritischen Stellung zu andern Erklärern Beethovens deutlich
genug merken läßt: a-moti' 1c> 8on' inttors, und weil er die Befugnisse des Lieb¬
habers weit überschreitet. Auch andre Dilettanten — wir nennen von Deutschen
nur Ortlepp und Elterlein — haben über Beethoven geschrieben, anregendes
und verworrenes durcheinander, aber sie haben sich in die Notenfragen nicht
gemengt. Grove erinnert etwas an Onlibicheff, den er ja sonst gar nicht
liebt. Wie dieser Beethoven selbst gute Lehren über richtige Harmonie giebt,
so fühlt sich Grove bewogen, den Beethovendirigenten und Beethovenspielern
hin und wieder ein kleines Kolleg über die richtige Auffassung Beethovenscher
Musik zu lesen. Namentlich warnt er sie immer wieder vor den sogenannten
Willkürlichkeiten in der Behandlung der Dynamik, der Jnstrumentation und
des Tempos.
Das Kapitel von den Freiheiten, die den ausführenden Musikern erlaubt
sind, ist zu umfangreich, als daß es hier erledigt werden könnte. Nur einen
Teil, den der Zufall in der letzten Zeit zum Zankapfel gemacht hat, wollen
wir bei dieser Gelegenheit streifen: die Tempofrage. In ihr stehen sich zwei
Parteien gegenüber: die eine, auf N. Wagner") gestützt, erklärt es für not¬
wendig, daß der Dirigent (und der Solospieler) das Zeitmaß in ein und dem¬
selben Satze je nach den innern Wallungen der Musik beschleunige und zurück¬
halte — „nach dem Melos modifizire" sagt Wagner —, die andre verwirft
jede Änderung, wo sie nicht vom Komponisten selbst vorgeschrieben ist. Beide
Parteien haben bisher ihre Ansicht nur ungenügend begründet.
Aus der orthodoxen Seite hat man z. B. letzthin mit großer Genugthuung
auf eine Stelle im Finale der neunten Sinfonie verwiesen, wo Beethoven
innerhalb dreier Takte zwei verschiedne Tempi hinschreibt, um darzulegen, wie
dieser Meister, nach dem Brauch der Zeit, alles notwendige selbst ausdrück¬
lich und aufs genauste anzuordnen pflegte. Ja, das notwendige, d. h. wo es
sich um Ausnahmen handelte; aber nicht da, wo es sich nach den allgemein
bekannten Vortragsgesetzen der Zeit von selbst verstand! Die freisinnige Partei
wieder giebt mit der Forderung, das Tempo „nach dem Melos zu modifiziren,"
eine zu unbestimmte Vorschrift, eine Vorschrift, die als Freibrief für bloße
") R. Wagner. Über das Dirigiren. (Gesamte Schriften. Bd. VIII.)
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