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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Die Prozeßführuug armer Leute

Endlich denkt der anfsichtführende Amtsrichter daran, ob der armen Partei,
die vielleicht durch einen Vormund vertreten wird, nicht dadurch geholfen werden
könne, daß ein Pfleger für den Prozeß bestellt wird. Aber da überzeugt er
sich, daß zu einer solchen Bestellung nur das Vormundschaftsgericht des Mündels,
das ist das Amtsgericht des Wohnsitzes des Mündels, befugt ist. und daß
eine Person, die nicht in dem Bezirk des Vormundschaftsgerichts wohnt -- und
eine solche müßte bestellt werden --, die Übernahme der Pflegschaft ablehnen
kann. Da diese Ablehnung vorauszusehen ist, so wird er auch davon absehen,
dem Antragsteller anheimzugeben, aus diesem Wege für die Vertretung zu
sorge".

Nach alledem ist es sehr wohl möglich, daß auf das Gesuch um die Be¬
stellung eines Gerichtsbeamten zum Bevollmächtigten ein abschlagiger Bescheid
erteilt wird, und daß so die Partei völlig rechtlos dasteht. Die Sache muß
sich so abspielen, wenn kein Rechtsanwalt an dem Gerichtsorte ansässig ist.

In der Praxis wird sich ja nun ein wohlwollend gesinnter Amtsrichter
über die gedachten Reskripte wegsetzen und doch einen Gerichtsbeamten zum
Vertreter bestellen. Aber das ist doch ein Rechtszustand, der dringend der
Abhilfe bedarf.

Ist in dem Terminkalender ein Rechtsanwalt als um dem Gerichtssitze
wohnend angegeben, so wird der Winkelkonsulent schleunigst eine Eingabe an
das Amtsgericht oder eine Beschwerde an das Landgericht fertigen und geltend
machen, es müsse doch ein Irrtum*) vorliegen, denn nach dem im preußischen
Justizministerium herausgegebnen Terminkalender wohne an dem Gerichtsvrte
ein Rechtsanwalt, und es sei doch nicht anzunehmen, daß dieser bei dem Gericht
nicht zugelassen sei. In den Städten, wo außer dem Amtsgericht noch ein
Landgericht ist, kommt es aber häufig vor, daß die Rechtsanwälte nur bei dem
Landgericht zugelassen sind, da sie vor dem Amtsgericht auftreten können, ohne
daß sie bei diesem zugelassen sind. So kann es geschehen, daß. obwohl viel¬
leicht ein Dutzend Rechtsanwälte bei dem Amtsgericht ihre Praxis ausüben,
keiner zum Armenanwalt bestellt werden kann.

Ich nehme nicht an, daß die Rechtsanwälte, die nicht ihre Zulassung bei
dem Amtsgericht beantragen, das deshalb unterlassen, weil sie dadurch vor
den Armeumcmdaten verschont bleiben, obwohl diese Annahme namentlich mit
Rücksicht darauf naheliegt, daß ihnen der Staat nicht einmal die baren Aus¬
lagen ersetzt, die sie nicht eintreiben können für den Fall, daß ihr Mandant
unterliegt, oder daß der unterliegende Gegner zahlungsunfähig ist; denn diese
Auslagen sind doch zu gering, als daß sie in Betracht kämen. Aber die Zeit



") Damit solche Irrtümer vermieden werden, wäre es gut, wenn in dem Terminkalender
Z- B, durch zwei Sterne bezeichnet würde, ob der NcclMnnwnlt bei dem Amtsgericht und dem
Landgericht zugelassen ist.
Grenzboten IV 1396 <i1
Die Prozeßführuug armer Leute

Endlich denkt der anfsichtführende Amtsrichter daran, ob der armen Partei,
die vielleicht durch einen Vormund vertreten wird, nicht dadurch geholfen werden
könne, daß ein Pfleger für den Prozeß bestellt wird. Aber da überzeugt er
sich, daß zu einer solchen Bestellung nur das Vormundschaftsgericht des Mündels,
das ist das Amtsgericht des Wohnsitzes des Mündels, befugt ist. und daß
eine Person, die nicht in dem Bezirk des Vormundschaftsgerichts wohnt — und
eine solche müßte bestellt werden —, die Übernahme der Pflegschaft ablehnen
kann. Da diese Ablehnung vorauszusehen ist, so wird er auch davon absehen,
dem Antragsteller anheimzugeben, aus diesem Wege für die Vertretung zu
sorge».

Nach alledem ist es sehr wohl möglich, daß auf das Gesuch um die Be¬
stellung eines Gerichtsbeamten zum Bevollmächtigten ein abschlagiger Bescheid
erteilt wird, und daß so die Partei völlig rechtlos dasteht. Die Sache muß
sich so abspielen, wenn kein Rechtsanwalt an dem Gerichtsorte ansässig ist.

In der Praxis wird sich ja nun ein wohlwollend gesinnter Amtsrichter
über die gedachten Reskripte wegsetzen und doch einen Gerichtsbeamten zum
Vertreter bestellen. Aber das ist doch ein Rechtszustand, der dringend der
Abhilfe bedarf.

Ist in dem Terminkalender ein Rechtsanwalt als um dem Gerichtssitze
wohnend angegeben, so wird der Winkelkonsulent schleunigst eine Eingabe an
das Amtsgericht oder eine Beschwerde an das Landgericht fertigen und geltend
machen, es müsse doch ein Irrtum*) vorliegen, denn nach dem im preußischen
Justizministerium herausgegebnen Terminkalender wohne an dem Gerichtsvrte
ein Rechtsanwalt, und es sei doch nicht anzunehmen, daß dieser bei dem Gericht
nicht zugelassen sei. In den Städten, wo außer dem Amtsgericht noch ein
Landgericht ist, kommt es aber häufig vor, daß die Rechtsanwälte nur bei dem
Landgericht zugelassen sind, da sie vor dem Amtsgericht auftreten können, ohne
daß sie bei diesem zugelassen sind. So kann es geschehen, daß. obwohl viel¬
leicht ein Dutzend Rechtsanwälte bei dem Amtsgericht ihre Praxis ausüben,
keiner zum Armenanwalt bestellt werden kann.

Ich nehme nicht an, daß die Rechtsanwälte, die nicht ihre Zulassung bei
dem Amtsgericht beantragen, das deshalb unterlassen, weil sie dadurch vor
den Armeumcmdaten verschont bleiben, obwohl diese Annahme namentlich mit
Rücksicht darauf naheliegt, daß ihnen der Staat nicht einmal die baren Aus¬
lagen ersetzt, die sie nicht eintreiben können für den Fall, daß ihr Mandant
unterliegt, oder daß der unterliegende Gegner zahlungsunfähig ist; denn diese
Auslagen sind doch zu gering, als daß sie in Betracht kämen. Aber die Zeit



") Damit solche Irrtümer vermieden werden, wäre es gut, wenn in dem Terminkalender
Z- B, durch zwei Sterne bezeichnet würde, ob der NcclMnnwnlt bei dem Amtsgericht und dem
Landgericht zugelassen ist.
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[0489] Die Prozeßführuug armer Leute Endlich denkt der anfsichtführende Amtsrichter daran, ob der armen Partei, die vielleicht durch einen Vormund vertreten wird, nicht dadurch geholfen werden könne, daß ein Pfleger für den Prozeß bestellt wird. Aber da überzeugt er sich, daß zu einer solchen Bestellung nur das Vormundschaftsgericht des Mündels, das ist das Amtsgericht des Wohnsitzes des Mündels, befugt ist. und daß eine Person, die nicht in dem Bezirk des Vormundschaftsgerichts wohnt — und eine solche müßte bestellt werden —, die Übernahme der Pflegschaft ablehnen kann. Da diese Ablehnung vorauszusehen ist, so wird er auch davon absehen, dem Antragsteller anheimzugeben, aus diesem Wege für die Vertretung zu sorge». Nach alledem ist es sehr wohl möglich, daß auf das Gesuch um die Be¬ stellung eines Gerichtsbeamten zum Bevollmächtigten ein abschlagiger Bescheid erteilt wird, und daß so die Partei völlig rechtlos dasteht. Die Sache muß sich so abspielen, wenn kein Rechtsanwalt an dem Gerichtsorte ansässig ist. In der Praxis wird sich ja nun ein wohlwollend gesinnter Amtsrichter über die gedachten Reskripte wegsetzen und doch einen Gerichtsbeamten zum Vertreter bestellen. Aber das ist doch ein Rechtszustand, der dringend der Abhilfe bedarf. Ist in dem Terminkalender ein Rechtsanwalt als um dem Gerichtssitze wohnend angegeben, so wird der Winkelkonsulent schleunigst eine Eingabe an das Amtsgericht oder eine Beschwerde an das Landgericht fertigen und geltend machen, es müsse doch ein Irrtum*) vorliegen, denn nach dem im preußischen Justizministerium herausgegebnen Terminkalender wohne an dem Gerichtsvrte ein Rechtsanwalt, und es sei doch nicht anzunehmen, daß dieser bei dem Gericht nicht zugelassen sei. In den Städten, wo außer dem Amtsgericht noch ein Landgericht ist, kommt es aber häufig vor, daß die Rechtsanwälte nur bei dem Landgericht zugelassen sind, da sie vor dem Amtsgericht auftreten können, ohne daß sie bei diesem zugelassen sind. So kann es geschehen, daß. obwohl viel¬ leicht ein Dutzend Rechtsanwälte bei dem Amtsgericht ihre Praxis ausüben, keiner zum Armenanwalt bestellt werden kann. Ich nehme nicht an, daß die Rechtsanwälte, die nicht ihre Zulassung bei dem Amtsgericht beantragen, das deshalb unterlassen, weil sie dadurch vor den Armeumcmdaten verschont bleiben, obwohl diese Annahme namentlich mit Rücksicht darauf naheliegt, daß ihnen der Staat nicht einmal die baren Aus¬ lagen ersetzt, die sie nicht eintreiben können für den Fall, daß ihr Mandant unterliegt, oder daß der unterliegende Gegner zahlungsunfähig ist; denn diese Auslagen sind doch zu gering, als daß sie in Betracht kämen. Aber die Zeit ") Damit solche Irrtümer vermieden werden, wäre es gut, wenn in dem Terminkalender Z- B, durch zwei Sterne bezeichnet würde, ob der NcclMnnwnlt bei dem Amtsgericht und dem Landgericht zugelassen ist. Grenzboten IV 1396 <i1

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/489>, abgerufen am 08.01.2025.