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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Die Prozeßfiihrung armer Leute

willigung des Armenrechts an das Gericht, in dessen Bezirk die zu verklagende
Person wohnt. In diesem Gesuch trägt er das Sachverhältnis vor. giebt die
Beweismittel an, legt das Armutszeugnis bei und bittet um die Beiordnung
eines Nechtsanwalts. Auf dieses Gesuch wird von dem Amtsgericht auch das
Armenrecht bewilligt; es kann jedoch vorkommen, daß der Gesuchsteller von
dem Gericht die Nachricht erhält, ein Rechtsanwalt sei bei dem Gerichte nicht
zugelassen, es könne also auch keiner zu seiner Vertretung bestellt werden
(K 36, Absatz 1 der Nechtsanwaltsordnung lautet: Die Auswahl eines bei¬
zuordnenden Nechtsanwalts erfolgt durch den Vorsitzenden des Gerichts aus
der Zahl der bei diesem zugelassenen Rechtscmwülte).

Mit diesem Bescheid begiebt er sich wieder zu seinem Winkelkonsuleuten, der
sofort in dein überall im Buchhandel zu habenden Terminkalender für preußische
Justizbeamte, der in dem Bureau des Justizministeriums zusammengestellt
wird, nachsieht, ob in diesem uicht ein an dem Gerichtssitze wohnender Rechts¬
anwalt angegeben sei. Findet er keinen Rechtsanwalt verzeichnet, so setzt er
schleunigst ein Gesuch an das Gericht auf, worin gebeten wird, irgend einem
Beamten des Gerichts die Vertretung zu übertragen, und geltend gemacht
wird, der Kläger habe nicht die Mittel, die vielen Reisen nach dem Gerichts¬
sitze zu machen, und der Kläger könne doch nicht rechtlos bleiben.

Der Richter, dem das Gesuch zur Entscheidung vorgelegt wird, macht
nun eingehende Studien darüber, ob dem Manne nicht irgendwie geholfen
werden könne; denn er sieht ein, daß, wenn dem Manne uicht ein Vertreter
bestellt wird, dies eine offenbare Rechtsverweigerung ist. Aber weder in der
Zivilprozeßordnung, uoch in dem Gerichtsverfassungsgesetze, noch in den
Ausführuugsgesetzen zu diesen Gesetzen, noch in der Geschäftsanwcisung für
die Gerichtsschreibereien der Amtsgerichte findet er eine Bestimmung, die
ihn berechtigte, einen Gerichtsbeamten mit der Vertretung zu beauftragen.
Endlich kommt er zu dem Ergebnis, daß vielleicht der aufsichtführende Amts¬
richter, der der Vorgesetzte der nichtrichterlichen Beamten des Amtsgerichts
ist, befugt sei, einem seiner Dienstuntergebnen diesen Auftrag zu erteilen.
Er findet in dem in der Gerichtsbibliothek vorhandnen Müllerschen Hand¬
buch für die preußische Justizverwaltung (im ersten Buch in Abschnitt 32,
der von den Nebenbeschäftigungen handelt) eine allgemeine Verfügung des
Justizministers vom 26. Dezember 1840 abgedruckt; er liest diese Verfügung
mit Aufmerksamkeit durch und meint, darnach stehe dem aufsichtführenden
Amtsrichter die Befugnis zu, eiuen der Gerichtsbeamten mit der Vertretung
zu beauftragen. Erfreut über den glücklichen Fund, giebt er die Akten an den
Amtsrichter ab, damit dieser einen Beamten zur Vertretung des Klügers
bestimme.

Der aufsichtführende Amtsrichter schlägt in dem Justizministerialblatt
sür das Jahr 1841 nach und findet Seite 24, daß diese Verfügung, soweit


Die Prozeßfiihrung armer Leute

willigung des Armenrechts an das Gericht, in dessen Bezirk die zu verklagende
Person wohnt. In diesem Gesuch trägt er das Sachverhältnis vor. giebt die
Beweismittel an, legt das Armutszeugnis bei und bittet um die Beiordnung
eines Nechtsanwalts. Auf dieses Gesuch wird von dem Amtsgericht auch das
Armenrecht bewilligt; es kann jedoch vorkommen, daß der Gesuchsteller von
dem Gericht die Nachricht erhält, ein Rechtsanwalt sei bei dem Gerichte nicht
zugelassen, es könne also auch keiner zu seiner Vertretung bestellt werden
(K 36, Absatz 1 der Nechtsanwaltsordnung lautet: Die Auswahl eines bei¬
zuordnenden Nechtsanwalts erfolgt durch den Vorsitzenden des Gerichts aus
der Zahl der bei diesem zugelassenen Rechtscmwülte).

Mit diesem Bescheid begiebt er sich wieder zu seinem Winkelkonsuleuten, der
sofort in dein überall im Buchhandel zu habenden Terminkalender für preußische
Justizbeamte, der in dem Bureau des Justizministeriums zusammengestellt
wird, nachsieht, ob in diesem uicht ein an dem Gerichtssitze wohnender Rechts¬
anwalt angegeben sei. Findet er keinen Rechtsanwalt verzeichnet, so setzt er
schleunigst ein Gesuch an das Gericht auf, worin gebeten wird, irgend einem
Beamten des Gerichts die Vertretung zu übertragen, und geltend gemacht
wird, der Kläger habe nicht die Mittel, die vielen Reisen nach dem Gerichts¬
sitze zu machen, und der Kläger könne doch nicht rechtlos bleiben.

Der Richter, dem das Gesuch zur Entscheidung vorgelegt wird, macht
nun eingehende Studien darüber, ob dem Manne nicht irgendwie geholfen
werden könne; denn er sieht ein, daß, wenn dem Manne uicht ein Vertreter
bestellt wird, dies eine offenbare Rechtsverweigerung ist. Aber weder in der
Zivilprozeßordnung, uoch in dem Gerichtsverfassungsgesetze, noch in den
Ausführuugsgesetzen zu diesen Gesetzen, noch in der Geschäftsanwcisung für
die Gerichtsschreibereien der Amtsgerichte findet er eine Bestimmung, die
ihn berechtigte, einen Gerichtsbeamten mit der Vertretung zu beauftragen.
Endlich kommt er zu dem Ergebnis, daß vielleicht der aufsichtführende Amts¬
richter, der der Vorgesetzte der nichtrichterlichen Beamten des Amtsgerichts
ist, befugt sei, einem seiner Dienstuntergebnen diesen Auftrag zu erteilen.
Er findet in dem in der Gerichtsbibliothek vorhandnen Müllerschen Hand¬
buch für die preußische Justizverwaltung (im ersten Buch in Abschnitt 32,
der von den Nebenbeschäftigungen handelt) eine allgemeine Verfügung des
Justizministers vom 26. Dezember 1840 abgedruckt; er liest diese Verfügung
mit Aufmerksamkeit durch und meint, darnach stehe dem aufsichtführenden
Amtsrichter die Befugnis zu, eiuen der Gerichtsbeamten mit der Vertretung
zu beauftragen. Erfreut über den glücklichen Fund, giebt er die Akten an den
Amtsrichter ab, damit dieser einen Beamten zur Vertretung des Klügers
bestimme.

Der aufsichtführende Amtsrichter schlägt in dem Justizministerialblatt
sür das Jahr 1841 nach und findet Seite 24, daß diese Verfügung, soweit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/486>, abgerufen am 06.01.2025.