Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.Die Frau in der Dichtung gehalten haben -- das wäre keine so ungeheure Aufgabe. Aber sie könnte Wir Frauen und unsre Dichter nennt sich ein jetzt in zweiter Auf¬ Die Frau in der Dichtung gehalten haben — das wäre keine so ungeheure Aufgabe. Aber sie könnte Wir Frauen und unsre Dichter nennt sich ein jetzt in zweiter Auf¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0479" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/224063"/> <fw type="header" place="top"> Die Frau in der Dichtung</fw><lb/> <p xml:id="ID_1412" prev="#ID_1411"> gehalten haben — das wäre keine so ungeheure Aufgabe. Aber sie könnte<lb/> auch — zeitlich oder in Bezug auf die Nationen — beschränkt in Angriff ge¬<lb/> nommen werden. Würde dabei, praktisch, für die Wünsche der Frauen in<lb/> Bezug auf ihre Lage etwas herauskommen? Schwerlich. Aber vielleicht würde<lb/> man „sich," d. h. gegenseitig, Männer und Frauen, besser verstehen, wenn man<lb/> zusammenstellte und darüber urteilte, wie die Männer in der Litteratur von<lb/> den Frauen dächten, was dann selbst wieder zu Gedanken in umgekehrter<lb/> Richtung führen müßte? Jedenfalls müßten die Arbeiten, wenn sie auch uur<lb/> diesen Nutzen haben sollten, mit einem Teil der gründlichen Gewissenhaftigkeit<lb/> unternommen werden, die eine große Anzahl jener rein litterarischen Frauen¬<lb/> bilder der ältern Zeit auszeichnet. Im Fluge und durch gelegentliches Naschen<lb/> wird nichts erreicht. Man sollte aber meinen, daß es eine Frau reizen müßte,<lb/> an einem solchen Thema oder einem Teile davon die Gründlichkeit wissen¬<lb/> schaftlicher Arbeit zu versuchen, die bei den Männern gewöhnlich schon voran¬<lb/> gegangen ist, ehe sie es unternehmen, sich in so zierlichen und spannend ge-<lb/> schriebnen Büchern über derlei Dinge auszusprechen, mit denen die schrift-<lb/> stellernden Frauen doch Wohl etwas zu schnell fertig zu sein scheinen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1413" next="#ID_1414"> Wir Frauen und unsre Dichter nennt sich ein jetzt in zweiter Auf¬<lb/> lage erschienenes Buch von Laura Marholm (Berlin, Duncker, 1896). Die<lb/> Verfasserin ist bekannt als eine hochgebildete, vielgereiste und welterfahrne,<lb/> sehr gemäßigte Vertreterin der Frauenhände. Ihren Kolleginnen geht sie nicht<lb/> weit genug. Unsre Zeit ist nun einmal nicht für Halbheiten. Wir haben<lb/> uns mit ihrem Buche recht gut unterhalten, aber sie sieht ihre Aufgabe wohl<lb/> ernster an und wird darum vielleicht auch wünschen, daß es andre thun und<lb/> M Ernst ihre Meinung dazu sagen. Sie behandelt also das Frauenbild, wie<lb/> es von acht Romanschreibern dargestellt wird und schließt daran ein Kapitel:<lb/> »Wo stehen wir?" Für wirklich gelungen können wir nur den Aufsatz über<lb/> Vjvrnson (den „Priester der Reinheit") halten. Er ist mit voller Kenntnis,<lb/> anschaulich und interessant geschrieben. Wer sich über die verschiednen Wand¬<lb/> lungen Björnsons und über das ganz eigentümliche Verhalten der norwegischen<lb/> und auch der dünischen Bevölkerung zu der Frauenbewegung unterrichten will,<lb/> kann nichts besseres thun als diesen Aufsatz lesen. Jntercssirt hat uns ferner,<lb/> ^er zunächst nur weil wir dadurch etwas uns Unbekanntes kennen lernten,<lb/> das Kapitel über Barbey d'Aurevilly, einen verstorbnen und vergessenen, sehr<lb/> seinen Prosaschriftsteller normannischer Nasse, der in seinem Ausdruck vieles<lb/> hat, was an Shakespeare erinnert und uns Deutschen sympathisch ist. Die<lb/> Verfasserin nennt ihn den „Dichter des Weibmysteriums." Uns ist die folgende<lb/> Charakteristik seines „germanischen Stils" lieber, „mit seinem Anschwellen ins<lb/> breite, seinem Stehenbleiben, seinem Verweilen, seiner Gleichgiltigkeit gegen die<lb/> Pointe, seiner Unlust, die Erzählung technisch abzuschließen, sobald der den<lb/> Dichter interessirende Punkt überschritten ist." Was sie aus seinen Schriften</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0479]
Die Frau in der Dichtung
gehalten haben — das wäre keine so ungeheure Aufgabe. Aber sie könnte
auch — zeitlich oder in Bezug auf die Nationen — beschränkt in Angriff ge¬
nommen werden. Würde dabei, praktisch, für die Wünsche der Frauen in
Bezug auf ihre Lage etwas herauskommen? Schwerlich. Aber vielleicht würde
man „sich," d. h. gegenseitig, Männer und Frauen, besser verstehen, wenn man
zusammenstellte und darüber urteilte, wie die Männer in der Litteratur von
den Frauen dächten, was dann selbst wieder zu Gedanken in umgekehrter
Richtung führen müßte? Jedenfalls müßten die Arbeiten, wenn sie auch uur
diesen Nutzen haben sollten, mit einem Teil der gründlichen Gewissenhaftigkeit
unternommen werden, die eine große Anzahl jener rein litterarischen Frauen¬
bilder der ältern Zeit auszeichnet. Im Fluge und durch gelegentliches Naschen
wird nichts erreicht. Man sollte aber meinen, daß es eine Frau reizen müßte,
an einem solchen Thema oder einem Teile davon die Gründlichkeit wissen¬
schaftlicher Arbeit zu versuchen, die bei den Männern gewöhnlich schon voran¬
gegangen ist, ehe sie es unternehmen, sich in so zierlichen und spannend ge-
schriebnen Büchern über derlei Dinge auszusprechen, mit denen die schrift-
stellernden Frauen doch Wohl etwas zu schnell fertig zu sein scheinen.
Wir Frauen und unsre Dichter nennt sich ein jetzt in zweiter Auf¬
lage erschienenes Buch von Laura Marholm (Berlin, Duncker, 1896). Die
Verfasserin ist bekannt als eine hochgebildete, vielgereiste und welterfahrne,
sehr gemäßigte Vertreterin der Frauenhände. Ihren Kolleginnen geht sie nicht
weit genug. Unsre Zeit ist nun einmal nicht für Halbheiten. Wir haben
uns mit ihrem Buche recht gut unterhalten, aber sie sieht ihre Aufgabe wohl
ernster an und wird darum vielleicht auch wünschen, daß es andre thun und
M Ernst ihre Meinung dazu sagen. Sie behandelt also das Frauenbild, wie
es von acht Romanschreibern dargestellt wird und schließt daran ein Kapitel:
»Wo stehen wir?" Für wirklich gelungen können wir nur den Aufsatz über
Vjvrnson (den „Priester der Reinheit") halten. Er ist mit voller Kenntnis,
anschaulich und interessant geschrieben. Wer sich über die verschiednen Wand¬
lungen Björnsons und über das ganz eigentümliche Verhalten der norwegischen
und auch der dünischen Bevölkerung zu der Frauenbewegung unterrichten will,
kann nichts besseres thun als diesen Aufsatz lesen. Jntercssirt hat uns ferner,
^er zunächst nur weil wir dadurch etwas uns Unbekanntes kennen lernten,
das Kapitel über Barbey d'Aurevilly, einen verstorbnen und vergessenen, sehr
seinen Prosaschriftsteller normannischer Nasse, der in seinem Ausdruck vieles
hat, was an Shakespeare erinnert und uns Deutschen sympathisch ist. Die
Verfasserin nennt ihn den „Dichter des Weibmysteriums." Uns ist die folgende
Charakteristik seines „germanischen Stils" lieber, „mit seinem Anschwellen ins
breite, seinem Stehenbleiben, seinem Verweilen, seiner Gleichgiltigkeit gegen die
Pointe, seiner Unlust, die Erzählung technisch abzuschließen, sobald der den
Dichter interessirende Punkt überschritten ist." Was sie aus seinen Schriften
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |