Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.Englische Zustände und bessere Maschinen zu erzeugen. In dem Maße, wie uns die verbesserte Englische Zustände und bessere Maschinen zu erzeugen. In dem Maße, wie uns die verbesserte <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0477" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/224061"/> <fw type="header" place="top"> Englische Zustände</fw><lb/> <p xml:id="ID_1410" prev="#ID_1409"> und bessere Maschinen zu erzeugen. In dem Maße, wie uns die verbesserte<lb/> Technik die Erzeugung größerer Warenmengen auf gleicher Erdoberfläche ermög¬<lb/> licht, erzeugen wir auch neue Menschenmengen, um — wieder.desto größere<lb/> Warenmengen zu erzeugen. Das ergäbe also ein rein quantitatives Ideal, und<lb/> das bedeutet wieder, daß es überhaupt kein Ideal ist, sondern die ödeste<lb/> Sinnlosigkeit, ein erschreckend seelenloses Hazardspiel mit Millionen von<lb/> Menschenschicksalen. . . . Weder das Entwicklungsprogramm: mehr Menschen<lb/> und bessere Maschinen, noch das: mehr Maschinen und nützlichere Menschen<lb/> Inütze wozu? hat er in dem ausgelassenen Abschnitt gefragt) dürfte uns vor<lb/> dem unheimlichen, deprimirenden Glauben retten, daß das industrielle England<lb/> ein ungeheurer Ameisenhaufen ist, dessen einziger origineller, seinem innersten<lb/> Wesen entstammender Versuch zu einem existenzberechtigten Gedanken in dem<lb/> fieberhaften Eifer besteht, ein — noch ungeheurerer Ameisenhaufen zu werden."<lb/> (S. 165 — 168.) So reich, spottet er bei dem nächtlichen Anblick arbeitender<lb/> Walzwerke, ist das englische Volk, daß es sich nicht einmal Nachtruhe gönnen<lb/> kann, womit man Whitmans Nusspruch vergleichen mag: Die Engländer „sind<lb/> das reichste Volk der Welt; ich sehe nicht ein, warum sie uicht auch das<lb/> glücklichste und gebildetste sein sollten, und das, behaupte ich, sind sie nicht."<lb/> Erholung von dem Drucke, den er beim Beschauen des sehr achtbaren und<lb/> sehr „praktischen," aber eben in dieser Praxis völlig sinnlosen englischen und<lb/> schottischen Lebens erlitten hat, findet Steffen bei den Iren, die selbst in der<lb/> Verlotterung, in die sie durch englische Tyrannei hinabgestoßen worden sind,<lb/> noch liebenswürdige und interessante Menschen seien. Gegen die völker-<lb/> pshchologischen Erörterungen und geschichtlichen Hypothesen, die er an die Be¬<lb/> schreibung des irischen Nationalcharakters knüpft, werden wohl die Fachgelehrten<lb/> heftigen Widerspruch erheben. Der Schlußsatz seines Buches lautet: „Die<lb/> puritanische Scheinheiligkeit und der krasse Handelsmaterialismus der englischen<lb/> Germanen fängt endlich an. einer mehr allgemein menschlichen Lebens-<lb/> "nschauung zu weichen, in welcher keltische Lebensfreudigkeit, Idealismus und<lb/> Skeptizismus unentbehrliche Bestandteile bilden."</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0477]
Englische Zustände
und bessere Maschinen zu erzeugen. In dem Maße, wie uns die verbesserte
Technik die Erzeugung größerer Warenmengen auf gleicher Erdoberfläche ermög¬
licht, erzeugen wir auch neue Menschenmengen, um — wieder.desto größere
Warenmengen zu erzeugen. Das ergäbe also ein rein quantitatives Ideal, und
das bedeutet wieder, daß es überhaupt kein Ideal ist, sondern die ödeste
Sinnlosigkeit, ein erschreckend seelenloses Hazardspiel mit Millionen von
Menschenschicksalen. . . . Weder das Entwicklungsprogramm: mehr Menschen
und bessere Maschinen, noch das: mehr Maschinen und nützlichere Menschen
Inütze wozu? hat er in dem ausgelassenen Abschnitt gefragt) dürfte uns vor
dem unheimlichen, deprimirenden Glauben retten, daß das industrielle England
ein ungeheurer Ameisenhaufen ist, dessen einziger origineller, seinem innersten
Wesen entstammender Versuch zu einem existenzberechtigten Gedanken in dem
fieberhaften Eifer besteht, ein — noch ungeheurerer Ameisenhaufen zu werden."
(S. 165 — 168.) So reich, spottet er bei dem nächtlichen Anblick arbeitender
Walzwerke, ist das englische Volk, daß es sich nicht einmal Nachtruhe gönnen
kann, womit man Whitmans Nusspruch vergleichen mag: Die Engländer „sind
das reichste Volk der Welt; ich sehe nicht ein, warum sie uicht auch das
glücklichste und gebildetste sein sollten, und das, behaupte ich, sind sie nicht."
Erholung von dem Drucke, den er beim Beschauen des sehr achtbaren und
sehr „praktischen," aber eben in dieser Praxis völlig sinnlosen englischen und
schottischen Lebens erlitten hat, findet Steffen bei den Iren, die selbst in der
Verlotterung, in die sie durch englische Tyrannei hinabgestoßen worden sind,
noch liebenswürdige und interessante Menschen seien. Gegen die völker-
pshchologischen Erörterungen und geschichtlichen Hypothesen, die er an die Be¬
schreibung des irischen Nationalcharakters knüpft, werden wohl die Fachgelehrten
heftigen Widerspruch erheben. Der Schlußsatz seines Buches lautet: „Die
puritanische Scheinheiligkeit und der krasse Handelsmaterialismus der englischen
Germanen fängt endlich an. einer mehr allgemein menschlichen Lebens-
"nschauung zu weichen, in welcher keltische Lebensfreudigkeit, Idealismus und
Skeptizismus unentbehrliche Bestandteile bilden."
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