Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.Die Mißstände in der Kleider- und Wäscheindustrie hausindustrielle Arbeit von der Kommission für Arveiterstatistik zum Gegen¬ Herr von Boetticher selbst hat in der Reichstcigssitznng vom 12. Februar Die Mißstände in der Kleider- und Wäscheindustrie hausindustrielle Arbeit von der Kommission für Arveiterstatistik zum Gegen¬ Herr von Boetticher selbst hat in der Reichstcigssitznng vom 12. Februar <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0455" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/224039"/> <fw type="header" place="top"> Die Mißstände in der Kleider- und Wäscheindustrie</fw><lb/> <p xml:id="ID_1368" prev="#ID_1367"> hausindustrielle Arbeit von der Kommission für Arveiterstatistik zum Gegen¬<lb/> stande von „Erhebungen" gemacht worden sein wird. Nach den Versprechungen<lb/> des Ministers von Boetticher und den bisher bekannt gewordnen Ergebnissen<lb/> der Erhebungen hat der Reichstag das Recht und auch die Pflicht, zu ver¬<lb/> langen, daß die Regierungen bald, wenigstens noch in diesem Winter, mit den<lb/> Maßregeln, zu denen ihnen die Gesetze die Vollmacht geben, vorgehen und.<lb/> soweit sie neue Vollmachten brauchen, dem Reichstage die entsprechenden Gesetzes¬<lb/> änderungen vorschlagen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1369" next="#ID_1370"> Herr von Boetticher selbst hat in der Reichstcigssitznng vom 12. Februar<lb/> mehrere Punkte bezeichnet, an denen, falls es die Erhebungen als nötig und<lb/> zweckmäßig erscheinen lassen sollten, der Staat einzusetzen haben wurde. Die<lb/> ersten beiden Punkte betrafen das Trucksystem und die Ausbeutung des<lb/> Abhängigkeitsverhältnisfes der Arbeiterinnen zu unsittlichen Zwecken durch<lb/> die Arbeitgeber. In Bezug auf diese beiden Punkte haben die Vernehmungen<lb/> so gut wie nichts ergeben, was auf das Vorhandensein eines besondern Not¬<lb/> standes schließen ließe. Zu den Klagen über das sogenannte Trucksystem<lb/> gab der namentlich in der Wäschefabrikation in den achtziger Jahren häufig<lb/> vorkommende Mißbrauch Veranlassung, daß die Arbeiterinnen das Nähgarn<lb/> vom Konfektionsgeschäft, also vom Arbeitgeber kaufen mußten, und zwar zu<lb/> höhern Preisen, als sie es anderwärts kaufen konnten. Der Aufwand für<lb/> Nähgarn wurde ihnen dann am Lohne abgezogen. Die Vernehmungen haben<lb/> ergeben, daß die Bezahlung des Nähgarns durch die Arbeiter noch in weiten:<lb/> Umfange üblich ist. namentlich bei Heimarbeit. Dies wird als Schutz gegen<lb/> Veruntreuung und Vergeudung als nncrlcißlich angesehen, und von den Arbei¬<lb/> tern wird im allgemeinen nicht darüber geklagt. Auch der Zwang, das Garn<lb/> vom Arbeitgeber zu beziehen, besteht da noch fort, wo auf die Güte des Garns<lb/> viel ankommt, wie es in der Fabrikation gestärkter Wäsche der Fall ist. Dagegen<lb/> ist der Mißbrauch, deu Arbeitern für das Garn unangemessen hohe Preise abzu¬<lb/> verlangen, sichtlich zurückgegangen, ja, wie es scheint, so gut wie ganz ver¬<lb/> schwunden. Eine Verschärfung der einschlägigen Bestimmungen der Gewerbe¬<lb/> ordnung 115 ff.) ist also wohl unnötig. Ganz unverständlich ist es uns<lb/> gewesen, wie der Antrag von Heyl und Genossen unter Nummer 3 dazu gekommen<lb/> ist, gerade zur „bessern Überwachung der bestehenden gesetzlichen Bestimmungen<lb/> über das Trucksystem" die Anstellung besondrer „weiblicher Gehilfe» als Fabrik¬<lb/> inspektoren" zu verlangen. In den deutschen Verhältnissen findet dieses Verlangen<lb/> gar keine Begründung, die Mache am grünen Tisch uno nach dem Hörensagen<lb/> springt eben an dem Heylschen Antrage deutlich in die Augen. Und nicht viel<lb/> anders steht es mit der Ausbeutung der Arbeiterinnen zu unsittlichen Zwecken.<lb/> ^ ist zwar nicht zu bezweifeln, daß auch in der Konfeklionsindnstrie, soweit<lb/> Arbeitgeber und sonstige Betriebsvorgesetzte unmittelbar mit Arbeiterinnen zu<lb/> thun haben, häufig Mißbräuche in dieser Beziehung vorkommen. Aber wer</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0455]
Die Mißstände in der Kleider- und Wäscheindustrie
hausindustrielle Arbeit von der Kommission für Arveiterstatistik zum Gegen¬
stande von „Erhebungen" gemacht worden sein wird. Nach den Versprechungen
des Ministers von Boetticher und den bisher bekannt gewordnen Ergebnissen
der Erhebungen hat der Reichstag das Recht und auch die Pflicht, zu ver¬
langen, daß die Regierungen bald, wenigstens noch in diesem Winter, mit den
Maßregeln, zu denen ihnen die Gesetze die Vollmacht geben, vorgehen und.
soweit sie neue Vollmachten brauchen, dem Reichstage die entsprechenden Gesetzes¬
änderungen vorschlagen.
Herr von Boetticher selbst hat in der Reichstcigssitznng vom 12. Februar
mehrere Punkte bezeichnet, an denen, falls es die Erhebungen als nötig und
zweckmäßig erscheinen lassen sollten, der Staat einzusetzen haben wurde. Die
ersten beiden Punkte betrafen das Trucksystem und die Ausbeutung des
Abhängigkeitsverhältnisfes der Arbeiterinnen zu unsittlichen Zwecken durch
die Arbeitgeber. In Bezug auf diese beiden Punkte haben die Vernehmungen
so gut wie nichts ergeben, was auf das Vorhandensein eines besondern Not¬
standes schließen ließe. Zu den Klagen über das sogenannte Trucksystem
gab der namentlich in der Wäschefabrikation in den achtziger Jahren häufig
vorkommende Mißbrauch Veranlassung, daß die Arbeiterinnen das Nähgarn
vom Konfektionsgeschäft, also vom Arbeitgeber kaufen mußten, und zwar zu
höhern Preisen, als sie es anderwärts kaufen konnten. Der Aufwand für
Nähgarn wurde ihnen dann am Lohne abgezogen. Die Vernehmungen haben
ergeben, daß die Bezahlung des Nähgarns durch die Arbeiter noch in weiten:
Umfange üblich ist. namentlich bei Heimarbeit. Dies wird als Schutz gegen
Veruntreuung und Vergeudung als nncrlcißlich angesehen, und von den Arbei¬
tern wird im allgemeinen nicht darüber geklagt. Auch der Zwang, das Garn
vom Arbeitgeber zu beziehen, besteht da noch fort, wo auf die Güte des Garns
viel ankommt, wie es in der Fabrikation gestärkter Wäsche der Fall ist. Dagegen
ist der Mißbrauch, deu Arbeitern für das Garn unangemessen hohe Preise abzu¬
verlangen, sichtlich zurückgegangen, ja, wie es scheint, so gut wie ganz ver¬
schwunden. Eine Verschärfung der einschlägigen Bestimmungen der Gewerbe¬
ordnung 115 ff.) ist also wohl unnötig. Ganz unverständlich ist es uns
gewesen, wie der Antrag von Heyl und Genossen unter Nummer 3 dazu gekommen
ist, gerade zur „bessern Überwachung der bestehenden gesetzlichen Bestimmungen
über das Trucksystem" die Anstellung besondrer „weiblicher Gehilfe» als Fabrik¬
inspektoren" zu verlangen. In den deutschen Verhältnissen findet dieses Verlangen
gar keine Begründung, die Mache am grünen Tisch uno nach dem Hörensagen
springt eben an dem Heylschen Antrage deutlich in die Augen. Und nicht viel
anders steht es mit der Ausbeutung der Arbeiterinnen zu unsittlichen Zwecken.
^ ist zwar nicht zu bezweifeln, daß auch in der Konfeklionsindnstrie, soweit
Arbeitgeber und sonstige Betriebsvorgesetzte unmittelbar mit Arbeiterinnen zu
thun haben, häufig Mißbräuche in dieser Beziehung vorkommen. Aber wer
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