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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Der heutige Gffizierersatz

bürg, C. C. Klotz) Aufschluß. Sie verdient Beachtung, weil sie von großer Sach¬
kenntnis und sicherm Urteil zeugt, und sich nicht mit Kritik und Tadel begnügt
sondern selbst Vorschläge zur Änderung der gerügten Mißstände macht.

Der ungenannte Verfasser, ein früherer Artillerieoffizier, geht davon aus,
daß durch die bekannte kaiserliche Kabinetsordre vom Jahre 1890, die die bis
dahin schwer zugängliche Ofsizierlcmfbahn den Söhnen aller gebildeten Stände
erschloß, der Zudrang zu den Offizierstellen stark gewachsen ist, und er glaubt
die Brauchbarkeit dieses neuen Zuwachses in Frage stellen zu müssen. Wohl¬
verstanden, nicht etwa der Familienverhältnisse oder der mangelhaften Erziehung
wegen -- deun es ist ja die Pflicht des Regimentskommandeurs, darüber zu
wachen, daß Ungeeignete zurückgewiesen werden --, sondern wegen der unge¬
nügenden Vorbildung und Bildungsfähigkeit. Der äußere Beweis für dieses
harte Urteil, das einem Teil des jungen Offizierersatzes den erforderlichen Grad
geistiger wie sittlicher Befähigung abspricht, wird durch die Thatsache geliefert,
daß der Abgang an Portepeefühnrichen und jungen Offizieren in den letzten
Jahren ungewöhnlich groß geworden ist.

Um ein selbständiges Urteil hierüber zu gewinnen, ist es nötig, auf die
Verhältnisse der Offizieraspiranten näher einzugehen. Ihre Vorbildung kann
auf dreierlei Art geschehen; sie haben den Nachweis ihrer wissenschaftlichen
Befähigung entweder durch die Abgangsprüfung beim Kadettenkorps, oder auf
dem Gymnasium oder Realgymnasium, oder auch durch das Bestehen des so¬
genannten Fühnrichscxamens zu bringen.

Hinsichtlich der beiden ersten Arten kann man dem Verfasser nur Recht
geben, wenn er sagt, daß der Ersatz, der dem deutschen Offizierkorps aus dein
Kadettenkorps und aus der Reihe der Abiturienten zugeht, vollauf genüge.
Welcher von beiden den Vorzug verdient, ist schwer zu entscheiden. Der
Abiturient der höhern Schule hat zweifellos mehr gelernt als der Kadett,
und wenn sich auch ein guter Teil seines Wissens dank der fest am Alten
hängenden Beharrlichkeit unsrer Unterrichtsbehörden im praktischen Leben nicht
verwerten läßt, so ist doch der Abiturient zu logischem Denken geschult und
zu selbständiger Arbeit fähig. In den meisten Fällen hat er außerdem seine
Erziehung im Elternhause genossen, was immer einer Massenerziehung -- und
wäre es auch die sorgfältigste -- unbedingt vorzuziehen ist. In der körper¬
lichen Gewandtheit, worin früher der Kadett dem Gymnasiasten weit überlegen
war, wird jetzt kaum noch ein nennenswerter Unterschied bestehen, seit das
Turnen auch in der Schule so eifrig gepflegt wird. Dagegen verfügt der
Kadett schon bei seinem Eintritt in das Offizierkorps über eine genaue Kenntnis
der militärischen Gebräuche und Formen, deren schnelle Erlernung dem Neu¬
ling Schwierigkeiten bereitet, und er ist dem Abiturienten in einem Punkte
überlegen: in der Jugend. Jugend aber ist für den Offizier von unendlich
hohem Werte, ein, zwei Jahre spielen schon eine große Rolle, und es wird


Der heutige Gffizierersatz

bürg, C. C. Klotz) Aufschluß. Sie verdient Beachtung, weil sie von großer Sach¬
kenntnis und sicherm Urteil zeugt, und sich nicht mit Kritik und Tadel begnügt
sondern selbst Vorschläge zur Änderung der gerügten Mißstände macht.

Der ungenannte Verfasser, ein früherer Artillerieoffizier, geht davon aus,
daß durch die bekannte kaiserliche Kabinetsordre vom Jahre 1890, die die bis
dahin schwer zugängliche Ofsizierlcmfbahn den Söhnen aller gebildeten Stände
erschloß, der Zudrang zu den Offizierstellen stark gewachsen ist, und er glaubt
die Brauchbarkeit dieses neuen Zuwachses in Frage stellen zu müssen. Wohl¬
verstanden, nicht etwa der Familienverhältnisse oder der mangelhaften Erziehung
wegen — deun es ist ja die Pflicht des Regimentskommandeurs, darüber zu
wachen, daß Ungeeignete zurückgewiesen werden —, sondern wegen der unge¬
nügenden Vorbildung und Bildungsfähigkeit. Der äußere Beweis für dieses
harte Urteil, das einem Teil des jungen Offizierersatzes den erforderlichen Grad
geistiger wie sittlicher Befähigung abspricht, wird durch die Thatsache geliefert,
daß der Abgang an Portepeefühnrichen und jungen Offizieren in den letzten
Jahren ungewöhnlich groß geworden ist.

Um ein selbständiges Urteil hierüber zu gewinnen, ist es nötig, auf die
Verhältnisse der Offizieraspiranten näher einzugehen. Ihre Vorbildung kann
auf dreierlei Art geschehen; sie haben den Nachweis ihrer wissenschaftlichen
Befähigung entweder durch die Abgangsprüfung beim Kadettenkorps, oder auf
dem Gymnasium oder Realgymnasium, oder auch durch das Bestehen des so¬
genannten Fühnrichscxamens zu bringen.

Hinsichtlich der beiden ersten Arten kann man dem Verfasser nur Recht
geben, wenn er sagt, daß der Ersatz, der dem deutschen Offizierkorps aus dein
Kadettenkorps und aus der Reihe der Abiturienten zugeht, vollauf genüge.
Welcher von beiden den Vorzug verdient, ist schwer zu entscheiden. Der
Abiturient der höhern Schule hat zweifellos mehr gelernt als der Kadett,
und wenn sich auch ein guter Teil seines Wissens dank der fest am Alten
hängenden Beharrlichkeit unsrer Unterrichtsbehörden im praktischen Leben nicht
verwerten läßt, so ist doch der Abiturient zu logischem Denken geschult und
zu selbständiger Arbeit fähig. In den meisten Fällen hat er außerdem seine
Erziehung im Elternhause genossen, was immer einer Massenerziehung — und
wäre es auch die sorgfältigste — unbedingt vorzuziehen ist. In der körper¬
lichen Gewandtheit, worin früher der Kadett dem Gymnasiasten weit überlegen
war, wird jetzt kaum noch ein nennenswerter Unterschied bestehen, seit das
Turnen auch in der Schule so eifrig gepflegt wird. Dagegen verfügt der
Kadett schon bei seinem Eintritt in das Offizierkorps über eine genaue Kenntnis
der militärischen Gebräuche und Formen, deren schnelle Erlernung dem Neu¬
ling Schwierigkeiten bereitet, und er ist dem Abiturienten in einem Punkte
überlegen: in der Jugend. Jugend aber ist für den Offizier von unendlich
hohem Werte, ein, zwei Jahre spielen schon eine große Rolle, und es wird


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/450>, abgerufen am 06.01.2025.