Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.Vie Reform unsers Zeichenunterrichts Dingen nichts und kann nichts davon verstehen. Er ist deshalb mehr oder Was ist nun unter diesen verfahrenen Verhältnissen zu thun? Das Ich habe nach meiner Kenntnis der Litteratur, deren Erscheinungen ich Vielleicht wird es manchem scheinen, daß die Schulreform andre und Vie Reform unsers Zeichenunterrichts Dingen nichts und kann nichts davon verstehen. Er ist deshalb mehr oder Was ist nun unter diesen verfahrenen Verhältnissen zu thun? Das Ich habe nach meiner Kenntnis der Litteratur, deren Erscheinungen ich Vielleicht wird es manchem scheinen, daß die Schulreform andre und <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0435" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/224019"/> <fw type="header" place="top"> Vie Reform unsers Zeichenunterrichts</fw><lb/> <p xml:id="ID_1305" prev="#ID_1304"> Dingen nichts und kann nichts davon verstehen. Er ist deshalb mehr oder<lb/> weniger auf das Urteil der Sachkenner angewiesen. Ist dieses aber einmal,<lb/> wie in unserm Falle, irregeleitet, so ist es schwer, den richtigen Weg zur<lb/> Reform zu finden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1306"> Was ist nun unter diesen verfahrenen Verhältnissen zu thun? Das<lb/> erste, was mir nötig scheint, ist, daß sich die Vertreter der Neformprin-<lb/> zipien von dem Verbände mit den Methodikern loslösen. Es muß eine rein¬<lb/> liche Scheidung eintreten. Die Schulbehörden müssen wissen, daß es zwei<lb/> verschiedne Auffassungen vom Zeichenunterricht giebt, die sich absolut uicht mit<lb/> einander vereinigen lassen, eine verstandesmäßige und eine gefühlsmäßige. Sie<lb/> müssen wissen, welche Zeichenlehrer der einen, welche der andern angehören.<lb/> Sie müssen die Erfolge der einen und der andern Richtung vergleichen können,<lb/> um dann, wenn sie ein paar Jahre lang beobachtet und verglichen haben, mit<lb/> der Reform beginnen zu können.</p><lb/> <p xml:id="ID_1307"> Ich habe nach meiner Kenntnis der Litteratur, deren Erscheinungen ich<lb/> vielleicht gegenwärtig besser als die meisten andern übersehen kann, den Ein¬<lb/> druck, daß der Augenblick zum energischen Vorgehen der Lehrer gerade jetzt<lb/> gekommen sei. Man gründe einen Verein für Reform des Zeichenunterrichts,<lb/> vielleicht im Anschluß an die österreichischen Zeichenlehrer, die in höherm<lb/> Maße den künstlerischen Gesichtspunkt vertreten als die preußischen, oder an<lb/> einen der schon bestehenden pädagogischen Reformvereine, deren Mitglieder leicht<lb/> für die neuen Ideen zu gewinnen sein werden. Man gründe eine Zeitschrift,<lb/> in der man diese Bestrebungen rückhaltlos vertritt. Und solange die Reform<lb/> nicht möglich ist, begnüge man sich, auf Grund der jetzt bestehenden Lehrpläne,<lb/> die ja eine gewisse Freiheit lassen, den Unterricht möglichst künstlerisch zu ge¬<lb/> stalten. Es ist auch gar nichts dagegen einzuwenden, daß vorläufig die Lehrer<lb/> des Deutschen, der Geschichte und der klassischen Sprachen das, was der Zeichen¬<lb/> unterricht nicht leisten kann, durch ihre Thätigkeit zu ersetzen suchen. Aber<lb/> man sollte das immer nur als eine vorläufige Aushilfe betrachten und dabei<lb/> festhalten, daß der Zeichenlehrer der Natur der Sache nach der ist, der die<lb/> künstlerische Anregung in erster Linie zu geben hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_1308"> Vielleicht wird es manchem scheinen, daß die Schulreform andre und<lb/> wichtigere Aufgaben habe als die, die ich im Vorstehenden zu zeichnen versucht<lb/> habe. Ich will das nicht bestreiten, überhaupt bin weit davon entfernt, den<lb/> Kunstnnterricht einseitig zu überschätzen- Allein es wird sich nicht leugnen<lb/> lassen, daß gerade er bei der Neformarbeit, die wir hinter uns haben, am<lb/> wenigsten berücksichtigt worden ist.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0435]
Vie Reform unsers Zeichenunterrichts
Dingen nichts und kann nichts davon verstehen. Er ist deshalb mehr oder
weniger auf das Urteil der Sachkenner angewiesen. Ist dieses aber einmal,
wie in unserm Falle, irregeleitet, so ist es schwer, den richtigen Weg zur
Reform zu finden.
Was ist nun unter diesen verfahrenen Verhältnissen zu thun? Das
erste, was mir nötig scheint, ist, daß sich die Vertreter der Neformprin-
zipien von dem Verbände mit den Methodikern loslösen. Es muß eine rein¬
liche Scheidung eintreten. Die Schulbehörden müssen wissen, daß es zwei
verschiedne Auffassungen vom Zeichenunterricht giebt, die sich absolut uicht mit
einander vereinigen lassen, eine verstandesmäßige und eine gefühlsmäßige. Sie
müssen wissen, welche Zeichenlehrer der einen, welche der andern angehören.
Sie müssen die Erfolge der einen und der andern Richtung vergleichen können,
um dann, wenn sie ein paar Jahre lang beobachtet und verglichen haben, mit
der Reform beginnen zu können.
Ich habe nach meiner Kenntnis der Litteratur, deren Erscheinungen ich
vielleicht gegenwärtig besser als die meisten andern übersehen kann, den Ein¬
druck, daß der Augenblick zum energischen Vorgehen der Lehrer gerade jetzt
gekommen sei. Man gründe einen Verein für Reform des Zeichenunterrichts,
vielleicht im Anschluß an die österreichischen Zeichenlehrer, die in höherm
Maße den künstlerischen Gesichtspunkt vertreten als die preußischen, oder an
einen der schon bestehenden pädagogischen Reformvereine, deren Mitglieder leicht
für die neuen Ideen zu gewinnen sein werden. Man gründe eine Zeitschrift,
in der man diese Bestrebungen rückhaltlos vertritt. Und solange die Reform
nicht möglich ist, begnüge man sich, auf Grund der jetzt bestehenden Lehrpläne,
die ja eine gewisse Freiheit lassen, den Unterricht möglichst künstlerisch zu ge¬
stalten. Es ist auch gar nichts dagegen einzuwenden, daß vorläufig die Lehrer
des Deutschen, der Geschichte und der klassischen Sprachen das, was der Zeichen¬
unterricht nicht leisten kann, durch ihre Thätigkeit zu ersetzen suchen. Aber
man sollte das immer nur als eine vorläufige Aushilfe betrachten und dabei
festhalten, daß der Zeichenlehrer der Natur der Sache nach der ist, der die
künstlerische Anregung in erster Linie zu geben hat.
Vielleicht wird es manchem scheinen, daß die Schulreform andre und
wichtigere Aufgaben habe als die, die ich im Vorstehenden zu zeichnen versucht
habe. Ich will das nicht bestreiten, überhaupt bin weit davon entfernt, den
Kunstnnterricht einseitig zu überschätzen- Allein es wird sich nicht leugnen
lassen, daß gerade er bei der Neformarbeit, die wir hinter uns haben, am
wenigsten berücksichtigt worden ist.
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