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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Die Reform unsers Zeichenunterrichts

zeug u. dergl., das dann in die Kinderstube wandert. Das einemal schickt mir
ein Kollege eine vortreffliche Geschichte des Zeichenunterrichts, oder ein Gym¬
nasiallehrer eine höchst interessante lateinische Fibel mit Bildern, ein andermal
erhalte ich von einer Verlagsbuchhandlung ein neues Bilderbuch für die ganz
Kleinen, über dessen Zweckmäßigkeit ich mich äußern soll. Dann wieder macht
mich der Vorsteher eines Fröbelschen Kindergartens mit einem von ihm er-
fundnen höchst praktischen Zeichenbaukasten bekannt, oder ein sindiger Gym¬
nasiallehrer teilt mir zu meiner größten Überraschung mit, daß er demnächst
den Gymnasialnnterricht durch die von ihm geplante Einführung des Skivpti-
kons vollkommen umgestalten werde. Dann fragt mich auch wohl ein be-
svrger Vater, welchen Baukasten ich ihm für seine Kinder am meisten empfehlen
könne, und einmal hat sogar der Erfinder eines Spiels mit bunten Bau¬
klötzchen wissen wollen, ob ich nicht mit einer Fabrik in Verbindung stünde,
der er sein Patent verkaufen könnte.

Ich muß wirklich manchmal lachen, wenn ich an alle diese bunten Zu¬
sendungen denke, mit denen ich doch eigentlich als Professor der Kunstgeschichte
herzlich wenig zu thun habe. Aber das hat man davon, wenn man die Un¬
vorsichtigkeit begeht, eine "Künstlerische Erziehung der deutschen Jugend" zu
schreiben, in der man über Kinderspiel, Zeichenunterricht, kunstgeschichtliche Vor¬
träge auf dem Gymnasium und andres mehr einige vom Hergebrachten ab¬
weichende Äußerungen thut. Nun habe ich die Bescherung; die ich rief, die
Geister, werd ich nun nicht los. Im Grunde macht es mir ja auch viel
Vergnügen, sie sich so regen und aufeinanderplatzen zu sehen. Und wenn ich
denke, welcher Hexensabbat von Reformen sich da vor meinen Augen ent¬
wickelt, so kommt es mir doch manchmal vor, als ob ich jenes Parergon
meiner wissenschaftlichen Thätigkeit nicht ganz umsonst geschrieben Hütte.

Freilich fehlt es auch nicht an Widerspruch und Verunglimpfung, und wenn
mich das auch (im Vertrauen gesagt) wenig berührt, so giebt es mir doch
Veranlassung, wieder einmal auf diese Fragen zurückzukommen. In der Regel
weiß ich ja bei den gegen mich gerichteten Angriffen schon nach den ersten
Sätzen, mit wem ich es zu thun habe, welchem Verein der Verfasser angehört,
welche Stellung er zu verteidigen hat. Daraus ergiebt sich dann das übrig
meist von selbst, und ich kann gewöhnlich schon, ohne es zu lesen, sagen,
was gegen mich geltend gemacht werden wird.

Da ist z. B. der Lehrer des Deutschen auf dem Gymnasium, der all¬
jährlich mit großer Liebe, und wie er glaubt, mit großem Erfolge Lessings
Laokoon mit seinen Primanern trccktirt und nun sehr betrübt darüber ist, daß
ich dieser Lektüre wohl eine formale und litterarische, aber gar keine üsthetische
Bedeutung beilege. Da ist der archäologisch gebildete Geschichtslehrer, der,
weil er selbst -- ein weißer Rabe -- auf der Universität Kunstgeschichte
studirt und sich dementsprechend um die Kunstanschauung seiner Gymnasiasten


Die Reform unsers Zeichenunterrichts

zeug u. dergl., das dann in die Kinderstube wandert. Das einemal schickt mir
ein Kollege eine vortreffliche Geschichte des Zeichenunterrichts, oder ein Gym¬
nasiallehrer eine höchst interessante lateinische Fibel mit Bildern, ein andermal
erhalte ich von einer Verlagsbuchhandlung ein neues Bilderbuch für die ganz
Kleinen, über dessen Zweckmäßigkeit ich mich äußern soll. Dann wieder macht
mich der Vorsteher eines Fröbelschen Kindergartens mit einem von ihm er-
fundnen höchst praktischen Zeichenbaukasten bekannt, oder ein sindiger Gym¬
nasiallehrer teilt mir zu meiner größten Überraschung mit, daß er demnächst
den Gymnasialnnterricht durch die von ihm geplante Einführung des Skivpti-
kons vollkommen umgestalten werde. Dann fragt mich auch wohl ein be-
svrger Vater, welchen Baukasten ich ihm für seine Kinder am meisten empfehlen
könne, und einmal hat sogar der Erfinder eines Spiels mit bunten Bau¬
klötzchen wissen wollen, ob ich nicht mit einer Fabrik in Verbindung stünde,
der er sein Patent verkaufen könnte.

Ich muß wirklich manchmal lachen, wenn ich an alle diese bunten Zu¬
sendungen denke, mit denen ich doch eigentlich als Professor der Kunstgeschichte
herzlich wenig zu thun habe. Aber das hat man davon, wenn man die Un¬
vorsichtigkeit begeht, eine „Künstlerische Erziehung der deutschen Jugend" zu
schreiben, in der man über Kinderspiel, Zeichenunterricht, kunstgeschichtliche Vor¬
träge auf dem Gymnasium und andres mehr einige vom Hergebrachten ab¬
weichende Äußerungen thut. Nun habe ich die Bescherung; die ich rief, die
Geister, werd ich nun nicht los. Im Grunde macht es mir ja auch viel
Vergnügen, sie sich so regen und aufeinanderplatzen zu sehen. Und wenn ich
denke, welcher Hexensabbat von Reformen sich da vor meinen Augen ent¬
wickelt, so kommt es mir doch manchmal vor, als ob ich jenes Parergon
meiner wissenschaftlichen Thätigkeit nicht ganz umsonst geschrieben Hütte.

Freilich fehlt es auch nicht an Widerspruch und Verunglimpfung, und wenn
mich das auch (im Vertrauen gesagt) wenig berührt, so giebt es mir doch
Veranlassung, wieder einmal auf diese Fragen zurückzukommen. In der Regel
weiß ich ja bei den gegen mich gerichteten Angriffen schon nach den ersten
Sätzen, mit wem ich es zu thun habe, welchem Verein der Verfasser angehört,
welche Stellung er zu verteidigen hat. Daraus ergiebt sich dann das übrig
meist von selbst, und ich kann gewöhnlich schon, ohne es zu lesen, sagen,
was gegen mich geltend gemacht werden wird.

Da ist z. B. der Lehrer des Deutschen auf dem Gymnasium, der all¬
jährlich mit großer Liebe, und wie er glaubt, mit großem Erfolge Lessings
Laokoon mit seinen Primanern trccktirt und nun sehr betrübt darüber ist, daß
ich dieser Lektüre wohl eine formale und litterarische, aber gar keine üsthetische
Bedeutung beilege. Da ist der archäologisch gebildete Geschichtslehrer, der,
weil er selbst — ein weißer Rabe — auf der Universität Kunstgeschichte
studirt und sich dementsprechend um die Kunstanschauung seiner Gymnasiasten


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[0424] Die Reform unsers Zeichenunterrichts zeug u. dergl., das dann in die Kinderstube wandert. Das einemal schickt mir ein Kollege eine vortreffliche Geschichte des Zeichenunterrichts, oder ein Gym¬ nasiallehrer eine höchst interessante lateinische Fibel mit Bildern, ein andermal erhalte ich von einer Verlagsbuchhandlung ein neues Bilderbuch für die ganz Kleinen, über dessen Zweckmäßigkeit ich mich äußern soll. Dann wieder macht mich der Vorsteher eines Fröbelschen Kindergartens mit einem von ihm er- fundnen höchst praktischen Zeichenbaukasten bekannt, oder ein sindiger Gym¬ nasiallehrer teilt mir zu meiner größten Überraschung mit, daß er demnächst den Gymnasialnnterricht durch die von ihm geplante Einführung des Skivpti- kons vollkommen umgestalten werde. Dann fragt mich auch wohl ein be- svrger Vater, welchen Baukasten ich ihm für seine Kinder am meisten empfehlen könne, und einmal hat sogar der Erfinder eines Spiels mit bunten Bau¬ klötzchen wissen wollen, ob ich nicht mit einer Fabrik in Verbindung stünde, der er sein Patent verkaufen könnte. Ich muß wirklich manchmal lachen, wenn ich an alle diese bunten Zu¬ sendungen denke, mit denen ich doch eigentlich als Professor der Kunstgeschichte herzlich wenig zu thun habe. Aber das hat man davon, wenn man die Un¬ vorsichtigkeit begeht, eine „Künstlerische Erziehung der deutschen Jugend" zu schreiben, in der man über Kinderspiel, Zeichenunterricht, kunstgeschichtliche Vor¬ träge auf dem Gymnasium und andres mehr einige vom Hergebrachten ab¬ weichende Äußerungen thut. Nun habe ich die Bescherung; die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los. Im Grunde macht es mir ja auch viel Vergnügen, sie sich so regen und aufeinanderplatzen zu sehen. Und wenn ich denke, welcher Hexensabbat von Reformen sich da vor meinen Augen ent¬ wickelt, so kommt es mir doch manchmal vor, als ob ich jenes Parergon meiner wissenschaftlichen Thätigkeit nicht ganz umsonst geschrieben Hütte. Freilich fehlt es auch nicht an Widerspruch und Verunglimpfung, und wenn mich das auch (im Vertrauen gesagt) wenig berührt, so giebt es mir doch Veranlassung, wieder einmal auf diese Fragen zurückzukommen. In der Regel weiß ich ja bei den gegen mich gerichteten Angriffen schon nach den ersten Sätzen, mit wem ich es zu thun habe, welchem Verein der Verfasser angehört, welche Stellung er zu verteidigen hat. Daraus ergiebt sich dann das übrig meist von selbst, und ich kann gewöhnlich schon, ohne es zu lesen, sagen, was gegen mich geltend gemacht werden wird. Da ist z. B. der Lehrer des Deutschen auf dem Gymnasium, der all¬ jährlich mit großer Liebe, und wie er glaubt, mit großem Erfolge Lessings Laokoon mit seinen Primanern trccktirt und nun sehr betrübt darüber ist, daß ich dieser Lektüre wohl eine formale und litterarische, aber gar keine üsthetische Bedeutung beilege. Da ist der archäologisch gebildete Geschichtslehrer, der, weil er selbst — ein weißer Rabe — auf der Universität Kunstgeschichte studirt und sich dementsprechend um die Kunstanschauung seiner Gymnasiasten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/424>, abgerufen am 06.01.2025.