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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Zur Frauenfrage

nicht mehr einzuschläfern; wenn man aber fortfährt, uns durch unheilvolle
Gesetze Herabdrücken zu wollen, dann werden ganze Scharen von Frauen
hinüberwandeln, in jene große Internationale, die unsre Gleichstellung auf
ihr Programm gesetzt hat, und werden ihre Töchter und Söhne mit sich
nehmen."

Was sollen wir zu solcher Musik sagen? Zunächst wollen wir zur Ehre
der Kreise, in denen die Rednerin ihre Männerstudien gemacht hat, annehmen,
daß sie sich weniger an diese als vielmehr an die Helden der modernen Schrift¬
steller angeschlossen hat. Auch die Lektüre von Nebels Buch "Die Frau"
scheint Eindruck auf sie gemacht zu haben. Sodann aber müssen wir energisch
Verwahrung einlegen gegen diese Art der Zeichnung heimischer Zustände. Wir
müssen es uns verbitten, daß die ganze Männerwelt über einen Leisten ge¬
schlagen und nach vereinzelten Zerrbildern beurteilt wird. Noch sind wir nicht
so weit, daß wir deutschen Männer aus rohen Kraftmenschen bestehen. Das
Bild trifft weder auf wissenschaftlich-gebildete, noch auf rein bürgerliche Kreise
zu; auch die tiefer stehende Bevölkerung hat ein Recht, derartige Grobheiten
zurückzuweisen. Wer unser Volk kennt, wird uns darin Recht geben.

Wenn man auf einem Frauenkongreß nichts gescheiteres vorbringen kann,
dann wäre es besser, die Rednerinnen behielten ihre Weisheit sür sich und
blieben zu Hause. Die, die sonst in Deutschland in vernünftig-maßvoller Weise
für die Rechte der Frauen eingetreten sind, sind ja auch daheim und vom
Kongreß fern geblieben. Sie haben wohl selbst vorausgesehen, daß sie diesmal
die Lorbeeren besser andern überlassen. Man wußte ja, daß Frau Lina
Morgenstern und Frau Rosalie Schönfließ den Vorsitz übernehmen würden.
'Ob es aber wirklich klug war, das Feld sast ausschließlich den Vertreterinnen
der extremen Richtung zu überlassen, das möchten wir bezweifeln. Wenn die
Gemäßigten auch ferner diese Politik verfolgen, dann werden sie bald in den
Hintergrund oder gar an die Wand gedrückt werden. Das wäre aber im
Interesse der Frauenfrage sehr zu beklagen.

Die Erlangung des Doktorhutes und die bessere Versorgung der Töchter
eins den höhern Ständen nehmen einen allzu breiten Raum ein. Besser ist
es, die Erweiterung der Erwerbsfühigkeit des gesamten weiblichen Geschlechts
ins Auge zu fassen. Wir wissen recht wohl, daß da und dort der unheimliche
Gast "Hunger" an die Thüren töchterreicher Familien in höhern Ständen
^"Pft. An eine erfolgreiche Lösung gerade dieses Problems zu gehen, bringt
eine Fülle von Schwierigkeiten mit sich. Aber die Not der untern Stände ist
ebenso groß. Hier wie dort thut der Hunger weh. Es ist etwas andres,
ungesunde Emanzipationsgelüste zu verteidigen, und etwas andres, auf Abhilfe
der Not zu sinnen. Die sozialen Umwälzungen in der Gegenwart haben
natürlich auch die Lebensverhältnisse der gesamten Frauenwelt mit ergriffen.
Über Nacht wird da kein Allheilmittel gefunden. Nur Besonnenheit und


Grenzboten IV 1396 48
Zur Frauenfrage

nicht mehr einzuschläfern; wenn man aber fortfährt, uns durch unheilvolle
Gesetze Herabdrücken zu wollen, dann werden ganze Scharen von Frauen
hinüberwandeln, in jene große Internationale, die unsre Gleichstellung auf
ihr Programm gesetzt hat, und werden ihre Töchter und Söhne mit sich
nehmen."

Was sollen wir zu solcher Musik sagen? Zunächst wollen wir zur Ehre
der Kreise, in denen die Rednerin ihre Männerstudien gemacht hat, annehmen,
daß sie sich weniger an diese als vielmehr an die Helden der modernen Schrift¬
steller angeschlossen hat. Auch die Lektüre von Nebels Buch „Die Frau"
scheint Eindruck auf sie gemacht zu haben. Sodann aber müssen wir energisch
Verwahrung einlegen gegen diese Art der Zeichnung heimischer Zustände. Wir
müssen es uns verbitten, daß die ganze Männerwelt über einen Leisten ge¬
schlagen und nach vereinzelten Zerrbildern beurteilt wird. Noch sind wir nicht
so weit, daß wir deutschen Männer aus rohen Kraftmenschen bestehen. Das
Bild trifft weder auf wissenschaftlich-gebildete, noch auf rein bürgerliche Kreise
zu; auch die tiefer stehende Bevölkerung hat ein Recht, derartige Grobheiten
zurückzuweisen. Wer unser Volk kennt, wird uns darin Recht geben.

Wenn man auf einem Frauenkongreß nichts gescheiteres vorbringen kann,
dann wäre es besser, die Rednerinnen behielten ihre Weisheit sür sich und
blieben zu Hause. Die, die sonst in Deutschland in vernünftig-maßvoller Weise
für die Rechte der Frauen eingetreten sind, sind ja auch daheim und vom
Kongreß fern geblieben. Sie haben wohl selbst vorausgesehen, daß sie diesmal
die Lorbeeren besser andern überlassen. Man wußte ja, daß Frau Lina
Morgenstern und Frau Rosalie Schönfließ den Vorsitz übernehmen würden.
'Ob es aber wirklich klug war, das Feld sast ausschließlich den Vertreterinnen
der extremen Richtung zu überlassen, das möchten wir bezweifeln. Wenn die
Gemäßigten auch ferner diese Politik verfolgen, dann werden sie bald in den
Hintergrund oder gar an die Wand gedrückt werden. Das wäre aber im
Interesse der Frauenfrage sehr zu beklagen.

Die Erlangung des Doktorhutes und die bessere Versorgung der Töchter
eins den höhern Ständen nehmen einen allzu breiten Raum ein. Besser ist
es, die Erweiterung der Erwerbsfühigkeit des gesamten weiblichen Geschlechts
ins Auge zu fassen. Wir wissen recht wohl, daß da und dort der unheimliche
Gast „Hunger" an die Thüren töchterreicher Familien in höhern Ständen
^"Pft. An eine erfolgreiche Lösung gerade dieses Problems zu gehen, bringt
eine Fülle von Schwierigkeiten mit sich. Aber die Not der untern Stände ist
ebenso groß. Hier wie dort thut der Hunger weh. Es ist etwas andres,
ungesunde Emanzipationsgelüste zu verteidigen, und etwas andres, auf Abhilfe
der Not zu sinnen. Die sozialen Umwälzungen in der Gegenwart haben
natürlich auch die Lebensverhältnisse der gesamten Frauenwelt mit ergriffen.
Über Nacht wird da kein Allheilmittel gefunden. Nur Besonnenheit und


Grenzboten IV 1396 48
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[0385] Zur Frauenfrage nicht mehr einzuschläfern; wenn man aber fortfährt, uns durch unheilvolle Gesetze Herabdrücken zu wollen, dann werden ganze Scharen von Frauen hinüberwandeln, in jene große Internationale, die unsre Gleichstellung auf ihr Programm gesetzt hat, und werden ihre Töchter und Söhne mit sich nehmen." Was sollen wir zu solcher Musik sagen? Zunächst wollen wir zur Ehre der Kreise, in denen die Rednerin ihre Männerstudien gemacht hat, annehmen, daß sie sich weniger an diese als vielmehr an die Helden der modernen Schrift¬ steller angeschlossen hat. Auch die Lektüre von Nebels Buch „Die Frau" scheint Eindruck auf sie gemacht zu haben. Sodann aber müssen wir energisch Verwahrung einlegen gegen diese Art der Zeichnung heimischer Zustände. Wir müssen es uns verbitten, daß die ganze Männerwelt über einen Leisten ge¬ schlagen und nach vereinzelten Zerrbildern beurteilt wird. Noch sind wir nicht so weit, daß wir deutschen Männer aus rohen Kraftmenschen bestehen. Das Bild trifft weder auf wissenschaftlich-gebildete, noch auf rein bürgerliche Kreise zu; auch die tiefer stehende Bevölkerung hat ein Recht, derartige Grobheiten zurückzuweisen. Wer unser Volk kennt, wird uns darin Recht geben. Wenn man auf einem Frauenkongreß nichts gescheiteres vorbringen kann, dann wäre es besser, die Rednerinnen behielten ihre Weisheit sür sich und blieben zu Hause. Die, die sonst in Deutschland in vernünftig-maßvoller Weise für die Rechte der Frauen eingetreten sind, sind ja auch daheim und vom Kongreß fern geblieben. Sie haben wohl selbst vorausgesehen, daß sie diesmal die Lorbeeren besser andern überlassen. Man wußte ja, daß Frau Lina Morgenstern und Frau Rosalie Schönfließ den Vorsitz übernehmen würden. 'Ob es aber wirklich klug war, das Feld sast ausschließlich den Vertreterinnen der extremen Richtung zu überlassen, das möchten wir bezweifeln. Wenn die Gemäßigten auch ferner diese Politik verfolgen, dann werden sie bald in den Hintergrund oder gar an die Wand gedrückt werden. Das wäre aber im Interesse der Frauenfrage sehr zu beklagen. Die Erlangung des Doktorhutes und die bessere Versorgung der Töchter eins den höhern Ständen nehmen einen allzu breiten Raum ein. Besser ist es, die Erweiterung der Erwerbsfühigkeit des gesamten weiblichen Geschlechts ins Auge zu fassen. Wir wissen recht wohl, daß da und dort der unheimliche Gast „Hunger" an die Thüren töchterreicher Familien in höhern Ständen ^"Pft. An eine erfolgreiche Lösung gerade dieses Problems zu gehen, bringt eine Fülle von Schwierigkeiten mit sich. Aber die Not der untern Stände ist ebenso groß. Hier wie dort thut der Hunger weh. Es ist etwas andres, ungesunde Emanzipationsgelüste zu verteidigen, und etwas andres, auf Abhilfe der Not zu sinnen. Die sozialen Umwälzungen in der Gegenwart haben natürlich auch die Lebensverhältnisse der gesamten Frauenwelt mit ergriffen. Über Nacht wird da kein Allheilmittel gefunden. Nur Besonnenheit und Grenzboten IV 1396 48

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/385>, abgerufen am 06.01.2025.