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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Zur Frauenfrage

Man strebt nach der Erhöhung des Weibes, aber auf diesem Wege kann nur
Entartung das Ende sein. Man betrachtet sich als Freundin und Beschützerin
des weiblichen Geschlechts und übersieht in blindem Eifern, daß man zur
gefährlichsten Feindin des eignen Geschlechts geworden ist.

Wie ist es dahin gekommen? Die Frauenbewegung ist in ihrer jetzigen
Gestalt so recht ein Kind unsers Jahrhunderts, die Tochter der neuesten Zeit.
Die Kinderschuhe sind abgelegt, die Tochter ist in das Mündigkeitsalter ein¬
getreten; aber sie weiß mit der Mündigkeit nichts rechtes anzufangen. Stimmen
der Verführung dringen auf sie ein. Die natürliche Gleichheit aller Menschen --
so heißt der lockende, bethörende Sirenengesang, dessen Klängen man begierig
lauscht. Jungfräuliche Schüchternheit und Zurückhaltung wird abgestreift,
sie gilt als veralteter Bettel. Mau klagt über schlechte Behandlung und
Unterjochung, über Rechtlosigkeit und Ausgestoßeusein, Man glaubt über die
Zeiten hinaus zu sein, dn man sich nur als Weib gefühlt und mit dieser
Stellung vorlieb genommen hat. Man tritt als "Mcinuin" ans und wird
zum Mannweib, das mit dem Mann konkurriren und mit ihm auf seinem
eigensten Gebiet die Kräfte messen will. In hundert Variationen ertönt die
neue Weise, bald offen, bald versteckt, die Forderung nach vollkommen gleichen
Rechten im politischen Leben, nach vollkommen gleicher Bildung beider Ge¬
schlechter, nach der Berechtigung zu sämtlichen Berufszweigen, selbst den Pre-
digerstnhl nicht ausgenommen.

Aber wir malen vielleicht zu schwarz? Hören wir einmal eine der modernen
Frauenrechtlerinnen, die Schriftstellerin Frau Binnen Bobertag, die sich auf
dem internationalen Frauenkongreß über die Frauen und die Reichsgesetzgebung
eingehend verbreitet hat: leeres Geschwätz ist die Behauptung von der Beschützer¬
und Ernnhrerrolle des Mannes im Verhältnis zur Frau. "Mag der Mann
im Beruf ehrenhaft, tapfer, wahrhaft, tren, unbestechlich und gerecht sein, in
seinem Verhältnis zum Weib ist er feig, unehrenhaft, käuflich, lügnerisch, perfid
und ungerecht, ohne daß er es weiß und will; fast alle seine guten Eigenschaften
machen Kehrt vor der Frau. Das alte brutale Vorrecht der stnrkern Knochen
beherrscht die ganze Kulturwelt, soweit sich der Gegensatz der Geschlechter
geltend macht." "Wie unklug ist es, uns die Macht über die Gemüter, die
stärkste Macht, die es giebt, rauben zu wollen!" "Eine Idee wird lebendig,
wenn sie Besitz von der Familie ergreift, und die Familie sind wir; die Er¬
ziehung der jungen Generation, die Zukunft steht bei uns. Das ist die große
die Macht, die wir in den Händen haben. Aber man versagt uns die Würde,
uus zusteht. Wir können in unserm Vaterlande weder Glück noch Befriedigung
finden. Zu allen Zeiten haben glühende Patrioten den Wanderstab ergriffen
und haben den heimischen Boden blutenden Herzens verlassen; dem Edeln geht
über alles, auch über das stärkste Vaterlandsgefühl das Gefühl seiner Würde
und der Integrität (!) seiner Person. Dies Gefühl ist in uns erwacht und


Zur Frauenfrage

Man strebt nach der Erhöhung des Weibes, aber auf diesem Wege kann nur
Entartung das Ende sein. Man betrachtet sich als Freundin und Beschützerin
des weiblichen Geschlechts und übersieht in blindem Eifern, daß man zur
gefährlichsten Feindin des eignen Geschlechts geworden ist.

Wie ist es dahin gekommen? Die Frauenbewegung ist in ihrer jetzigen
Gestalt so recht ein Kind unsers Jahrhunderts, die Tochter der neuesten Zeit.
Die Kinderschuhe sind abgelegt, die Tochter ist in das Mündigkeitsalter ein¬
getreten; aber sie weiß mit der Mündigkeit nichts rechtes anzufangen. Stimmen
der Verführung dringen auf sie ein. Die natürliche Gleichheit aller Menschen —
so heißt der lockende, bethörende Sirenengesang, dessen Klängen man begierig
lauscht. Jungfräuliche Schüchternheit und Zurückhaltung wird abgestreift,
sie gilt als veralteter Bettel. Mau klagt über schlechte Behandlung und
Unterjochung, über Rechtlosigkeit und Ausgestoßeusein, Man glaubt über die
Zeiten hinaus zu sein, dn man sich nur als Weib gefühlt und mit dieser
Stellung vorlieb genommen hat. Man tritt als „Mcinuin" ans und wird
zum Mannweib, das mit dem Mann konkurriren und mit ihm auf seinem
eigensten Gebiet die Kräfte messen will. In hundert Variationen ertönt die
neue Weise, bald offen, bald versteckt, die Forderung nach vollkommen gleichen
Rechten im politischen Leben, nach vollkommen gleicher Bildung beider Ge¬
schlechter, nach der Berechtigung zu sämtlichen Berufszweigen, selbst den Pre-
digerstnhl nicht ausgenommen.

Aber wir malen vielleicht zu schwarz? Hören wir einmal eine der modernen
Frauenrechtlerinnen, die Schriftstellerin Frau Binnen Bobertag, die sich auf
dem internationalen Frauenkongreß über die Frauen und die Reichsgesetzgebung
eingehend verbreitet hat: leeres Geschwätz ist die Behauptung von der Beschützer¬
und Ernnhrerrolle des Mannes im Verhältnis zur Frau. „Mag der Mann
im Beruf ehrenhaft, tapfer, wahrhaft, tren, unbestechlich und gerecht sein, in
seinem Verhältnis zum Weib ist er feig, unehrenhaft, käuflich, lügnerisch, perfid
und ungerecht, ohne daß er es weiß und will; fast alle seine guten Eigenschaften
machen Kehrt vor der Frau. Das alte brutale Vorrecht der stnrkern Knochen
beherrscht die ganze Kulturwelt, soweit sich der Gegensatz der Geschlechter
geltend macht." „Wie unklug ist es, uns die Macht über die Gemüter, die
stärkste Macht, die es giebt, rauben zu wollen!" „Eine Idee wird lebendig,
wenn sie Besitz von der Familie ergreift, und die Familie sind wir; die Er¬
ziehung der jungen Generation, die Zukunft steht bei uns. Das ist die große
die Macht, die wir in den Händen haben. Aber man versagt uns die Würde,
uus zusteht. Wir können in unserm Vaterlande weder Glück noch Befriedigung
finden. Zu allen Zeiten haben glühende Patrioten den Wanderstab ergriffen
und haben den heimischen Boden blutenden Herzens verlassen; dem Edeln geht
über alles, auch über das stärkste Vaterlandsgefühl das Gefühl seiner Würde
und der Integrität (!) seiner Person. Dies Gefühl ist in uns erwacht und


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[0384] Zur Frauenfrage Man strebt nach der Erhöhung des Weibes, aber auf diesem Wege kann nur Entartung das Ende sein. Man betrachtet sich als Freundin und Beschützerin des weiblichen Geschlechts und übersieht in blindem Eifern, daß man zur gefährlichsten Feindin des eignen Geschlechts geworden ist. Wie ist es dahin gekommen? Die Frauenbewegung ist in ihrer jetzigen Gestalt so recht ein Kind unsers Jahrhunderts, die Tochter der neuesten Zeit. Die Kinderschuhe sind abgelegt, die Tochter ist in das Mündigkeitsalter ein¬ getreten; aber sie weiß mit der Mündigkeit nichts rechtes anzufangen. Stimmen der Verführung dringen auf sie ein. Die natürliche Gleichheit aller Menschen — so heißt der lockende, bethörende Sirenengesang, dessen Klängen man begierig lauscht. Jungfräuliche Schüchternheit und Zurückhaltung wird abgestreift, sie gilt als veralteter Bettel. Mau klagt über schlechte Behandlung und Unterjochung, über Rechtlosigkeit und Ausgestoßeusein, Man glaubt über die Zeiten hinaus zu sein, dn man sich nur als Weib gefühlt und mit dieser Stellung vorlieb genommen hat. Man tritt als „Mcinuin" ans und wird zum Mannweib, das mit dem Mann konkurriren und mit ihm auf seinem eigensten Gebiet die Kräfte messen will. In hundert Variationen ertönt die neue Weise, bald offen, bald versteckt, die Forderung nach vollkommen gleichen Rechten im politischen Leben, nach vollkommen gleicher Bildung beider Ge¬ schlechter, nach der Berechtigung zu sämtlichen Berufszweigen, selbst den Pre- digerstnhl nicht ausgenommen. Aber wir malen vielleicht zu schwarz? Hören wir einmal eine der modernen Frauenrechtlerinnen, die Schriftstellerin Frau Binnen Bobertag, die sich auf dem internationalen Frauenkongreß über die Frauen und die Reichsgesetzgebung eingehend verbreitet hat: leeres Geschwätz ist die Behauptung von der Beschützer¬ und Ernnhrerrolle des Mannes im Verhältnis zur Frau. „Mag der Mann im Beruf ehrenhaft, tapfer, wahrhaft, tren, unbestechlich und gerecht sein, in seinem Verhältnis zum Weib ist er feig, unehrenhaft, käuflich, lügnerisch, perfid und ungerecht, ohne daß er es weiß und will; fast alle seine guten Eigenschaften machen Kehrt vor der Frau. Das alte brutale Vorrecht der stnrkern Knochen beherrscht die ganze Kulturwelt, soweit sich der Gegensatz der Geschlechter geltend macht." „Wie unklug ist es, uns die Macht über die Gemüter, die stärkste Macht, die es giebt, rauben zu wollen!" „Eine Idee wird lebendig, wenn sie Besitz von der Familie ergreift, und die Familie sind wir; die Er¬ ziehung der jungen Generation, die Zukunft steht bei uns. Das ist die große die Macht, die wir in den Händen haben. Aber man versagt uns die Würde, uus zusteht. Wir können in unserm Vaterlande weder Glück noch Befriedigung finden. Zu allen Zeiten haben glühende Patrioten den Wanderstab ergriffen und haben den heimischen Boden blutenden Herzens verlassen; dem Edeln geht über alles, auch über das stärkste Vaterlandsgefühl das Gefühl seiner Würde und der Integrität (!) seiner Person. Dies Gefühl ist in uns erwacht und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/384>, abgerufen am 06.01.2025.