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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Zur Frauenfrage

Ist der Zutritt der Frauen zu den juristischen Ämtern, zu Richter- und
Advokatenstellen wünschenswert? Die Fürsprecher für weibliche Rechtsgelehrte
sagen: wie es das weibliche Zartgefühl und die Sitte verletze, wenn eine Frau
dem fremden männlichen Arzt alle ihre Körperzustände vertrauen müsse, so sei
es eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, daß z. B. bei Ehescheidungen der
Frau kein weiblicher Anwalt zur Seite stehe; auch die Verbrecherin müsse auf
Begehren einen solchen erhalten. Allein wir wollen nicht vergessen, daß sich
das Weib in der Regel von dem Gefühl bestimmen läßt. Das Gemüt ist die
Stärke des Weibes, aber auch seine Schwäche. Betrachtungen über objektive
Gründe und sachliche Erwägungen anzustellen, liegt nicht in der unjnristischen
Natur des Weibes. Erfahrung und Wissenschaft lassen darüber keinen Zweifel,
daß die Kraft des Weibes auf dem seelischen Gebiete liegt. Shakespeares
Porzia wird im wirklichen Leben nur selten Geistesverwandten ihres Geschlechts
begegnen. Mag uns auch die Weltgeschichte von Frauen erzählen, die starken
politischen Geist hatten, wir wissen von keiner, die auf die Mitwirkung
erfahrner Männer in der Regierung ganz Verzicht geleistet hätte.

Aber vielleicht empfiehlt es sich, die Ausübung der medizinischen Praxis
solchen Frauen freizugeben, die die nötigen wissenschaftlichen Vorbedingungen
erfüllt haben? Hier möchte ich zu bedenken geben, daß das Weib nicht die
Körperkraft des Mannes hat. Auch die Versuche in Nordamerika, die geistigen
Anforderungen an Mädchen auf eine gewisse Höhe hinaufzutreiben, sind nicht
geglückt. Siechenlager, Nervenschwäche, Untüchtigkeit zur eigentlichen Bestim¬
mung des Weibes war bei den meisten Mädchen die natürliche Folge. Nach
H. Fehlings, des Basler Gynäkologen, Untersuchungen (Die Bestimmung der
Frau), wurden in Zürich von 1864 bis 1891 335 Studentinnen der Medizin
immatrikulirt. Von diesen haben nur 37 promovirt. Also nur der zehnte
Teil hat das Ziel des anstrengenden Studiums erreicht. Von etwa 600 an
Schweizer Hochschulen eingeschriebnen Medizinerinnen haben überhaupt nnr 26
das abschließende, zur ärztlichen Praxis berechtigende Staatsexamen gemacht,
unter 25 also nur eine einzige. Wenn nun in Deutschland auf 3000 Ein¬
wohner ein Arzt kommt und die Konkurrenz täglich zunimmt, werden da die
finanziellen Erfolge der Ärztinnen in einem befriedigenden Verhältnis zu den
Kosten und der Zeit ihres Studiums stehen? Werden nicht viele der armen
Wesen unter der Last der geistigen Arbeit und der körperlichen Anstrengung
schließlich zusammenbrechen, sodaß die Mehrzahl nach schweren Enttäuschungen
den Beruf aufgeben und mit einem andern vertauschen muß? Sollte es nnr
Voreingenommenheit und zäher Eigensinn sein, wenn sich die meisten medizi¬
nischen Autoritäten gegenüber der Forderung auf Freigebung dieser Wissenschaft
für Frauen in Deutschland ablehnend verhalten? Gleichwohl gebe ich gern
zu, daß man den Frauen nicht vou vornherein die Fähigkeit absprechen und
die Möglichkeit nehmen sollte, namentlich kranke Kinder ärztlich zu behandeln.


Zur Frauenfrage

Ist der Zutritt der Frauen zu den juristischen Ämtern, zu Richter- und
Advokatenstellen wünschenswert? Die Fürsprecher für weibliche Rechtsgelehrte
sagen: wie es das weibliche Zartgefühl und die Sitte verletze, wenn eine Frau
dem fremden männlichen Arzt alle ihre Körperzustände vertrauen müsse, so sei
es eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, daß z. B. bei Ehescheidungen der
Frau kein weiblicher Anwalt zur Seite stehe; auch die Verbrecherin müsse auf
Begehren einen solchen erhalten. Allein wir wollen nicht vergessen, daß sich
das Weib in der Regel von dem Gefühl bestimmen läßt. Das Gemüt ist die
Stärke des Weibes, aber auch seine Schwäche. Betrachtungen über objektive
Gründe und sachliche Erwägungen anzustellen, liegt nicht in der unjnristischen
Natur des Weibes. Erfahrung und Wissenschaft lassen darüber keinen Zweifel,
daß die Kraft des Weibes auf dem seelischen Gebiete liegt. Shakespeares
Porzia wird im wirklichen Leben nur selten Geistesverwandten ihres Geschlechts
begegnen. Mag uns auch die Weltgeschichte von Frauen erzählen, die starken
politischen Geist hatten, wir wissen von keiner, die auf die Mitwirkung
erfahrner Männer in der Regierung ganz Verzicht geleistet hätte.

Aber vielleicht empfiehlt es sich, die Ausübung der medizinischen Praxis
solchen Frauen freizugeben, die die nötigen wissenschaftlichen Vorbedingungen
erfüllt haben? Hier möchte ich zu bedenken geben, daß das Weib nicht die
Körperkraft des Mannes hat. Auch die Versuche in Nordamerika, die geistigen
Anforderungen an Mädchen auf eine gewisse Höhe hinaufzutreiben, sind nicht
geglückt. Siechenlager, Nervenschwäche, Untüchtigkeit zur eigentlichen Bestim¬
mung des Weibes war bei den meisten Mädchen die natürliche Folge. Nach
H. Fehlings, des Basler Gynäkologen, Untersuchungen (Die Bestimmung der
Frau), wurden in Zürich von 1864 bis 1891 335 Studentinnen der Medizin
immatrikulirt. Von diesen haben nur 37 promovirt. Also nur der zehnte
Teil hat das Ziel des anstrengenden Studiums erreicht. Von etwa 600 an
Schweizer Hochschulen eingeschriebnen Medizinerinnen haben überhaupt nnr 26
das abschließende, zur ärztlichen Praxis berechtigende Staatsexamen gemacht,
unter 25 also nur eine einzige. Wenn nun in Deutschland auf 3000 Ein¬
wohner ein Arzt kommt und die Konkurrenz täglich zunimmt, werden da die
finanziellen Erfolge der Ärztinnen in einem befriedigenden Verhältnis zu den
Kosten und der Zeit ihres Studiums stehen? Werden nicht viele der armen
Wesen unter der Last der geistigen Arbeit und der körperlichen Anstrengung
schließlich zusammenbrechen, sodaß die Mehrzahl nach schweren Enttäuschungen
den Beruf aufgeben und mit einem andern vertauschen muß? Sollte es nnr
Voreingenommenheit und zäher Eigensinn sein, wenn sich die meisten medizi¬
nischen Autoritäten gegenüber der Forderung auf Freigebung dieser Wissenschaft
für Frauen in Deutschland ablehnend verhalten? Gleichwohl gebe ich gern
zu, daß man den Frauen nicht vou vornherein die Fähigkeit absprechen und
die Möglichkeit nehmen sollte, namentlich kranke Kinder ärztlich zu behandeln.


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[0380] Zur Frauenfrage Ist der Zutritt der Frauen zu den juristischen Ämtern, zu Richter- und Advokatenstellen wünschenswert? Die Fürsprecher für weibliche Rechtsgelehrte sagen: wie es das weibliche Zartgefühl und die Sitte verletze, wenn eine Frau dem fremden männlichen Arzt alle ihre Körperzustände vertrauen müsse, so sei es eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, daß z. B. bei Ehescheidungen der Frau kein weiblicher Anwalt zur Seite stehe; auch die Verbrecherin müsse auf Begehren einen solchen erhalten. Allein wir wollen nicht vergessen, daß sich das Weib in der Regel von dem Gefühl bestimmen läßt. Das Gemüt ist die Stärke des Weibes, aber auch seine Schwäche. Betrachtungen über objektive Gründe und sachliche Erwägungen anzustellen, liegt nicht in der unjnristischen Natur des Weibes. Erfahrung und Wissenschaft lassen darüber keinen Zweifel, daß die Kraft des Weibes auf dem seelischen Gebiete liegt. Shakespeares Porzia wird im wirklichen Leben nur selten Geistesverwandten ihres Geschlechts begegnen. Mag uns auch die Weltgeschichte von Frauen erzählen, die starken politischen Geist hatten, wir wissen von keiner, die auf die Mitwirkung erfahrner Männer in der Regierung ganz Verzicht geleistet hätte. Aber vielleicht empfiehlt es sich, die Ausübung der medizinischen Praxis solchen Frauen freizugeben, die die nötigen wissenschaftlichen Vorbedingungen erfüllt haben? Hier möchte ich zu bedenken geben, daß das Weib nicht die Körperkraft des Mannes hat. Auch die Versuche in Nordamerika, die geistigen Anforderungen an Mädchen auf eine gewisse Höhe hinaufzutreiben, sind nicht geglückt. Siechenlager, Nervenschwäche, Untüchtigkeit zur eigentlichen Bestim¬ mung des Weibes war bei den meisten Mädchen die natürliche Folge. Nach H. Fehlings, des Basler Gynäkologen, Untersuchungen (Die Bestimmung der Frau), wurden in Zürich von 1864 bis 1891 335 Studentinnen der Medizin immatrikulirt. Von diesen haben nur 37 promovirt. Also nur der zehnte Teil hat das Ziel des anstrengenden Studiums erreicht. Von etwa 600 an Schweizer Hochschulen eingeschriebnen Medizinerinnen haben überhaupt nnr 26 das abschließende, zur ärztlichen Praxis berechtigende Staatsexamen gemacht, unter 25 also nur eine einzige. Wenn nun in Deutschland auf 3000 Ein¬ wohner ein Arzt kommt und die Konkurrenz täglich zunimmt, werden da die finanziellen Erfolge der Ärztinnen in einem befriedigenden Verhältnis zu den Kosten und der Zeit ihres Studiums stehen? Werden nicht viele der armen Wesen unter der Last der geistigen Arbeit und der körperlichen Anstrengung schließlich zusammenbrechen, sodaß die Mehrzahl nach schweren Enttäuschungen den Beruf aufgeben und mit einem andern vertauschen muß? Sollte es nnr Voreingenommenheit und zäher Eigensinn sein, wenn sich die meisten medizi¬ nischen Autoritäten gegenüber der Forderung auf Freigebung dieser Wissenschaft für Frauen in Deutschland ablehnend verhalten? Gleichwohl gebe ich gern zu, daß man den Frauen nicht vou vornherein die Fähigkeit absprechen und die Möglichkeit nehmen sollte, namentlich kranke Kinder ärztlich zu behandeln.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/380>, abgerufen am 08.01.2025.