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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Die Dynastie der Saids in Sansibar

Hamed auf den Thron. Die Geschichte des Sultanats der letzten Jahre von
Sansibar ist bekannt. Nach dem Arciberaufstande schloß Deutschland mit
England den Bertrag vom 1. Juli 1890 ub. Deutschland, oder vielmehr die
deutsch-ostafrikainsche Gesellschaft, kaufte dem Sultan für vier Millionen seine
Hoheitsrechte auf das Gebiet des jetzigen Deutsch-Ostafrika ab, überließ seine
nördlichen Besitzungen in Wien an England und verzichtete zugleich auf die
Erhaltung der Selbständigkeit des Sultans England gegenüber. (Diese Selb¬
ständigkeit war 1862 von England und Frankreich und noch im November 1888
von Deutschland anerkannt worden.) Deutschland erhielt dafür Helgoland. So
wurde England der thatsächliche Besitzer von Sansibar. Die Stadt wurde, um
ihre Stellung als Zentrale des Handels zu erhalten, 1892 zum Freihafen erklärt.
Im Namen des Sultans leitet ein englischer Generalkonsul alle Swapgeschäfte,
befehligt die Truppen und die Polizei. Der Sultan selbst muß vor seiner
Protlamirung England den Lehnseid leisten, er erhält dafür eine Zivilliste von
drei Lak Rupien, etwa 460 bis 465 000 Mark jährlich, und eine Leibwache von
drei Kompagnien, die ihm alltäglich das Vergnügen der Wachparade macht.
Sein Premierminister ist der Engländer Matthews, der mit der Geschichte von
Sansibar der letzten Jahre aufs engste verquickt ist. 8lo trMsit Aloria anali!

England kann mit den jetzigen Verhältnissen ganz zufrieden sein, es liegt
auch keine Notwendigkeit vor, sie zu ändern, die englische Flagge auf dem
Sultauspalast zu bisse" und die Reste des ehemaligen Sultanats Sansibar zur
Äronkolonie zu macheu. Die jetzige Form der Regierung ist zwar bei den
Adelsgeschlechtern unbeliebt, da diese keinen politischen Einfluß mehr haben, aber
der großen Masse des Volkes genügt es, daß ein mohammedanischer Sultan
herrscht. Wenn jedoch England einen Wechsel herbeizuführen versuchen sollte,
was sehr unwahrscheinlich ist, so hätte es nicht nur auf Schwierigkeiten mit den
Mächte" zu rechnen, die einen derartigen Machtzuwuchs des britischen Reiches
nicht ohne weiteres dulden würden, sondern es würde wohl auch den unter
der Asche glimmenden Funken zu mächtiger Lohe anfachen. Es wäre auch für
England nicht ungefährlich, wenn sich der arabische Fanatismus regen sollte;
die Vorgänge von 1861 waren eine heilsame Lehre! Der Verkehr, den Sansibar
mit dem arabischen Mutterlande unterhält, ist sehr rege. 30 bis 40000 Araber
von Oman pflegen alljährlich zur Zeit der Monsune uach Sansibar zu kommen,
und diese Leute sind von kriegerischer, beutelustiger Natur. Es sind dieselben,
denen durch Verbot des Sklavenhandels eine Erwerbsquelle entzogen ist, sie
könnten slay dessen erinnern, und wenn sich ein Mahdi fände, konnte England
in> neues Chartum erleben. Augenscheinlich ist England bedacht, sich ein neues
Kolonialreich im nordöstlichen Afrika zu begründen, darauf deuten manche An¬
zeichen hin. Während es in Armenien Lärm macht, um die Aufmerksamkeit
von seinen wahren Plänen abzulenken, setzt es sich immer mehr in Ägypten
sest und findet immer neuen Anlaß, dieses Land zu "schlitzen," für Uganda,
das Qnellland des Nils, verwendet es ungeheure Summen, von Mombas


Die Dynastie der Saids in Sansibar

Hamed auf den Thron. Die Geschichte des Sultanats der letzten Jahre von
Sansibar ist bekannt. Nach dem Arciberaufstande schloß Deutschland mit
England den Bertrag vom 1. Juli 1890 ub. Deutschland, oder vielmehr die
deutsch-ostafrikainsche Gesellschaft, kaufte dem Sultan für vier Millionen seine
Hoheitsrechte auf das Gebiet des jetzigen Deutsch-Ostafrika ab, überließ seine
nördlichen Besitzungen in Wien an England und verzichtete zugleich auf die
Erhaltung der Selbständigkeit des Sultans England gegenüber. (Diese Selb¬
ständigkeit war 1862 von England und Frankreich und noch im November 1888
von Deutschland anerkannt worden.) Deutschland erhielt dafür Helgoland. So
wurde England der thatsächliche Besitzer von Sansibar. Die Stadt wurde, um
ihre Stellung als Zentrale des Handels zu erhalten, 1892 zum Freihafen erklärt.
Im Namen des Sultans leitet ein englischer Generalkonsul alle Swapgeschäfte,
befehligt die Truppen und die Polizei. Der Sultan selbst muß vor seiner
Protlamirung England den Lehnseid leisten, er erhält dafür eine Zivilliste von
drei Lak Rupien, etwa 460 bis 465 000 Mark jährlich, und eine Leibwache von
drei Kompagnien, die ihm alltäglich das Vergnügen der Wachparade macht.
Sein Premierminister ist der Engländer Matthews, der mit der Geschichte von
Sansibar der letzten Jahre aufs engste verquickt ist. 8lo trMsit Aloria anali!

England kann mit den jetzigen Verhältnissen ganz zufrieden sein, es liegt
auch keine Notwendigkeit vor, sie zu ändern, die englische Flagge auf dem
Sultauspalast zu bisse» und die Reste des ehemaligen Sultanats Sansibar zur
Äronkolonie zu macheu. Die jetzige Form der Regierung ist zwar bei den
Adelsgeschlechtern unbeliebt, da diese keinen politischen Einfluß mehr haben, aber
der großen Masse des Volkes genügt es, daß ein mohammedanischer Sultan
herrscht. Wenn jedoch England einen Wechsel herbeizuführen versuchen sollte,
was sehr unwahrscheinlich ist, so hätte es nicht nur auf Schwierigkeiten mit den
Mächte« zu rechnen, die einen derartigen Machtzuwuchs des britischen Reiches
nicht ohne weiteres dulden würden, sondern es würde wohl auch den unter
der Asche glimmenden Funken zu mächtiger Lohe anfachen. Es wäre auch für
England nicht ungefährlich, wenn sich der arabische Fanatismus regen sollte;
die Vorgänge von 1861 waren eine heilsame Lehre! Der Verkehr, den Sansibar
mit dem arabischen Mutterlande unterhält, ist sehr rege. 30 bis 40000 Araber
von Oman pflegen alljährlich zur Zeit der Monsune uach Sansibar zu kommen,
und diese Leute sind von kriegerischer, beutelustiger Natur. Es sind dieselben,
denen durch Verbot des Sklavenhandels eine Erwerbsquelle entzogen ist, sie
könnten slay dessen erinnern, und wenn sich ein Mahdi fände, konnte England
in> neues Chartum erleben. Augenscheinlich ist England bedacht, sich ein neues
Kolonialreich im nordöstlichen Afrika zu begründen, darauf deuten manche An¬
zeichen hin. Während es in Armenien Lärm macht, um die Aufmerksamkeit
von seinen wahren Plänen abzulenken, setzt es sich immer mehr in Ägypten
sest und findet immer neuen Anlaß, dieses Land zu „schlitzen," für Uganda,
das Qnellland des Nils, verwendet es ungeheure Summen, von Mombas


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[0373] Die Dynastie der Saids in Sansibar Hamed auf den Thron. Die Geschichte des Sultanats der letzten Jahre von Sansibar ist bekannt. Nach dem Arciberaufstande schloß Deutschland mit England den Bertrag vom 1. Juli 1890 ub. Deutschland, oder vielmehr die deutsch-ostafrikainsche Gesellschaft, kaufte dem Sultan für vier Millionen seine Hoheitsrechte auf das Gebiet des jetzigen Deutsch-Ostafrika ab, überließ seine nördlichen Besitzungen in Wien an England und verzichtete zugleich auf die Erhaltung der Selbständigkeit des Sultans England gegenüber. (Diese Selb¬ ständigkeit war 1862 von England und Frankreich und noch im November 1888 von Deutschland anerkannt worden.) Deutschland erhielt dafür Helgoland. So wurde England der thatsächliche Besitzer von Sansibar. Die Stadt wurde, um ihre Stellung als Zentrale des Handels zu erhalten, 1892 zum Freihafen erklärt. Im Namen des Sultans leitet ein englischer Generalkonsul alle Swapgeschäfte, befehligt die Truppen und die Polizei. Der Sultan selbst muß vor seiner Protlamirung England den Lehnseid leisten, er erhält dafür eine Zivilliste von drei Lak Rupien, etwa 460 bis 465 000 Mark jährlich, und eine Leibwache von drei Kompagnien, die ihm alltäglich das Vergnügen der Wachparade macht. Sein Premierminister ist der Engländer Matthews, der mit der Geschichte von Sansibar der letzten Jahre aufs engste verquickt ist. 8lo trMsit Aloria anali! England kann mit den jetzigen Verhältnissen ganz zufrieden sein, es liegt auch keine Notwendigkeit vor, sie zu ändern, die englische Flagge auf dem Sultauspalast zu bisse» und die Reste des ehemaligen Sultanats Sansibar zur Äronkolonie zu macheu. Die jetzige Form der Regierung ist zwar bei den Adelsgeschlechtern unbeliebt, da diese keinen politischen Einfluß mehr haben, aber der großen Masse des Volkes genügt es, daß ein mohammedanischer Sultan herrscht. Wenn jedoch England einen Wechsel herbeizuführen versuchen sollte, was sehr unwahrscheinlich ist, so hätte es nicht nur auf Schwierigkeiten mit den Mächte« zu rechnen, die einen derartigen Machtzuwuchs des britischen Reiches nicht ohne weiteres dulden würden, sondern es würde wohl auch den unter der Asche glimmenden Funken zu mächtiger Lohe anfachen. Es wäre auch für England nicht ungefährlich, wenn sich der arabische Fanatismus regen sollte; die Vorgänge von 1861 waren eine heilsame Lehre! Der Verkehr, den Sansibar mit dem arabischen Mutterlande unterhält, ist sehr rege. 30 bis 40000 Araber von Oman pflegen alljährlich zur Zeit der Monsune uach Sansibar zu kommen, und diese Leute sind von kriegerischer, beutelustiger Natur. Es sind dieselben, denen durch Verbot des Sklavenhandels eine Erwerbsquelle entzogen ist, sie könnten slay dessen erinnern, und wenn sich ein Mahdi fände, konnte England in> neues Chartum erleben. Augenscheinlich ist England bedacht, sich ein neues Kolonialreich im nordöstlichen Afrika zu begründen, darauf deuten manche An¬ zeichen hin. Während es in Armenien Lärm macht, um die Aufmerksamkeit von seinen wahren Plänen abzulenken, setzt es sich immer mehr in Ägypten sest und findet immer neuen Anlaß, dieses Land zu „schlitzen," für Uganda, das Qnellland des Nils, verwendet es ungeheure Summen, von Mombas

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/373>, abgerufen am 06.01.2025.