Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.Männer fällt, ist freilich nicht genau zu sagen. Aber die Männerarbeit ver¬ Männer fällt, ist freilich nicht genau zu sagen. Aber die Männerarbeit ver¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0362" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223946"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_1103" prev="#ID_1102" next="#ID_1104"> Männer fällt, ist freilich nicht genau zu sagen. Aber die Männerarbeit ver¬<lb/> schwindet ja in der Konfektion überhaupt im Vergleich zur Weiberarbeit,<lb/> und in dieser hat der Arbeitslohn anerkanntermaßen so sehr den Charakter<lb/> des Zubußeverdienstes, daß dadurch die ganze Entwicklung der Lohnverhültnisse<lb/> in diesem Industriezweige wesentlich mit bestimmt wird. Wir wollen die oft<lb/> mehr als nötig betonte Beschäftigung von Frauen und Töchtern der so¬<lb/> genannten höhern Stände für Konfektionsgeschäfte nur kurz erwähnen. Diese<lb/> Arbeit ist doch wohl nur auf wenige Artikel beschränkt, aber deshalb ist<lb/> durchaus noch nicht immer der mit ihr erzielte Verdienst ein entbehrlicher Zu¬<lb/> bußeverdienst. Kärgliche Witwenpensionen, zurückgcgcmgne Renten von mühsam<lb/> erworbnen oder erhaltnen kleinen Kapitalien finden dadurch oft eine wahrlich<lb/> sauer verdiente unentbehrliche Ergänzung. Die gerade diesen Arbeiterinnen von<lb/> den Konfektionsgeschäften mit Erfolg zugemuteten „Hungerlöhne" werfen auf<lb/> unsre sozialen Zustände ein nicht minder trübes Licht, wie die Löhne der Arbei¬<lb/> terinnen aus den untersten Gesellschaftsschichten, denen der für sie vortrefflich<lb/> geeignete Gesiudedienst zu unwürdig und zu unbequem erscheint und dargestellt<lb/> wird. Um so trauriger freilich, wenn sich Damen besserer Stände nur für<lb/> Näschereien und unnötigen Luxus Geld durch Koufektivusarbeit verdienen wollen.<lb/> Was immer geschehen kann, um diesen das Handwerk zu legen, sollte will¬<lb/> kommen sein. Aber wer vermag hier die Grenze im einzelnen richtig zu ziehen<lb/> zwischen entbehrlichen und unentbehrlichen Zubußeverdienst? Auch bei den<lb/> Frauen und Töchtern von kleinen Beamten, Boten, Schutzleuten, Unteroffi¬<lb/> zieren, Angestellten staatlicher und privater Verkehrsanstalten, auch Handwerkern<lb/> und Arbeitern ist der in der Konfektionsarbeit erzielte Zubußeverdieust vielfach<lb/> entbehrlich. Oft wird er auch hier nur für Luxusausgaben verwendet, und<lb/> nicht selten thäten diese Frauen weit besser, ihre Zeit dem Haushalt lind den<lb/> Kindern zu widmen, als mit einem Übermaß von Arbeitszeit die Mittel zu<lb/> erwerben, nur ja nach außen hin auch etwas protzig thun zu können. Jeden¬<lb/> falls verschwindet aber in der ganzen Konfektionsarbeit die Bedeutung des ent¬<lb/> behrlichen Zubußcverdienstes gegenüber der des unentbehrlichen. Dieser be¬<lb/> herrscht die Situation im guten wie im bösen. Er ist vorhanden in hundert¬<lb/> tausend Fällen, mag er drei Mark oder fünfzehn Mark wöchentlich betragen,<lb/> mag er drei Monate oder das ganze Jahr hindurch dauern, mag er von<lb/> Frauen oder Mädchen, mag er neben dem Einkommen des Vaters, der Mutter,<lb/> der Geschwister oder eignem Einkommen aus andern Quellen zum Haushalt<lb/> zugeschossen werden. Das Familienleben aber ist es, was dem Zubußeverdieust<lb/> seine große, rettende Bedeutung giebt. Im Familienzusammenhalt und im<lb/> Zubußeverdienst liegt namentlich die Lösung des Rätsels, wie sich solche<lb/> Massen von Arbeiterinnen mit unzureichenden Lohne durchschlagen, sich durch¬<lb/> hungern können, wenn es nötig ist, ohne zu betteln, zu stehlen oder der<lb/> Schande zu verfallen. Wer Augen im Kopfe und das Herz auf dem rechten</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0362]
Männer fällt, ist freilich nicht genau zu sagen. Aber die Männerarbeit ver¬
schwindet ja in der Konfektion überhaupt im Vergleich zur Weiberarbeit,
und in dieser hat der Arbeitslohn anerkanntermaßen so sehr den Charakter
des Zubußeverdienstes, daß dadurch die ganze Entwicklung der Lohnverhültnisse
in diesem Industriezweige wesentlich mit bestimmt wird. Wir wollen die oft
mehr als nötig betonte Beschäftigung von Frauen und Töchtern der so¬
genannten höhern Stände für Konfektionsgeschäfte nur kurz erwähnen. Diese
Arbeit ist doch wohl nur auf wenige Artikel beschränkt, aber deshalb ist
durchaus noch nicht immer der mit ihr erzielte Verdienst ein entbehrlicher Zu¬
bußeverdienst. Kärgliche Witwenpensionen, zurückgcgcmgne Renten von mühsam
erworbnen oder erhaltnen kleinen Kapitalien finden dadurch oft eine wahrlich
sauer verdiente unentbehrliche Ergänzung. Die gerade diesen Arbeiterinnen von
den Konfektionsgeschäften mit Erfolg zugemuteten „Hungerlöhne" werfen auf
unsre sozialen Zustände ein nicht minder trübes Licht, wie die Löhne der Arbei¬
terinnen aus den untersten Gesellschaftsschichten, denen der für sie vortrefflich
geeignete Gesiudedienst zu unwürdig und zu unbequem erscheint und dargestellt
wird. Um so trauriger freilich, wenn sich Damen besserer Stände nur für
Näschereien und unnötigen Luxus Geld durch Koufektivusarbeit verdienen wollen.
Was immer geschehen kann, um diesen das Handwerk zu legen, sollte will¬
kommen sein. Aber wer vermag hier die Grenze im einzelnen richtig zu ziehen
zwischen entbehrlichen und unentbehrlichen Zubußeverdienst? Auch bei den
Frauen und Töchtern von kleinen Beamten, Boten, Schutzleuten, Unteroffi¬
zieren, Angestellten staatlicher und privater Verkehrsanstalten, auch Handwerkern
und Arbeitern ist der in der Konfektionsarbeit erzielte Zubußeverdieust vielfach
entbehrlich. Oft wird er auch hier nur für Luxusausgaben verwendet, und
nicht selten thäten diese Frauen weit besser, ihre Zeit dem Haushalt lind den
Kindern zu widmen, als mit einem Übermaß von Arbeitszeit die Mittel zu
erwerben, nur ja nach außen hin auch etwas protzig thun zu können. Jeden¬
falls verschwindet aber in der ganzen Konfektionsarbeit die Bedeutung des ent¬
behrlichen Zubußcverdienstes gegenüber der des unentbehrlichen. Dieser be¬
herrscht die Situation im guten wie im bösen. Er ist vorhanden in hundert¬
tausend Fällen, mag er drei Mark oder fünfzehn Mark wöchentlich betragen,
mag er drei Monate oder das ganze Jahr hindurch dauern, mag er von
Frauen oder Mädchen, mag er neben dem Einkommen des Vaters, der Mutter,
der Geschwister oder eignem Einkommen aus andern Quellen zum Haushalt
zugeschossen werden. Das Familienleben aber ist es, was dem Zubußeverdieust
seine große, rettende Bedeutung giebt. Im Familienzusammenhalt und im
Zubußeverdienst liegt namentlich die Lösung des Rätsels, wie sich solche
Massen von Arbeiterinnen mit unzureichenden Lohne durchschlagen, sich durch¬
hungern können, wenn es nötig ist, ohne zu betteln, zu stehlen oder der
Schande zu verfallen. Wer Augen im Kopfe und das Herz auf dem rechten
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