Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches heute im Besitz der Meinst wäre. Die Sozinldemokrnten können keine praktischen In Ungarn hat der diesseits der Leitha tote Liberalismus einen glänzenden Grenzboten IV 1896 43
Maßgebliches und Unmaßgebliches heute im Besitz der Meinst wäre. Die Sozinldemokrnten können keine praktischen In Ungarn hat der diesseits der Leitha tote Liberalismus einen glänzenden Grenzboten IV 1896 43
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0345" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223929"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_1048" prev="#ID_1047"> heute im Besitz der Meinst wäre. Die Sozinldemokrnten können keine praktischen<lb/> Erfolge für die Arbeiter erzielen, weil sie stets auf ein jutopisches?^ Endziel hin¬<lb/> weisen und dadurch die Massen mir zu neuem Haß aufstacheln, während wir stück¬<lb/> weise Reformen schaffen wollen. Die Sozialdemokrnten umschmeicheln die Masse,<lb/> sehen in jedem Arbeiter einen Tugendbold, in jedem Bürger eiuen Manu, der der<lb/> Korruption mindestens nahe steht; wir aber glauben, daß die Bürger nicht schlechter<lb/> sind als die Arbeiter, daß es überall gute und schlechte Menschen giebt." Die<lb/> Jämmerlichkeit des Liberalismus wird von den Herren gebührend bloßgestellt, und<lb/> die Zumutung, sich der bedrängten Juden anzunehmen, entschieden abgelehnt, aber<lb/> den Antisemitismus erkläre» sie geradezu sür eine Gefahr, ja für die Gefahr des<lb/> Augenblicks; nachdem er die Österreicher schon an sich gehörig versimpelt habe, stehe<lb/> er jetzt im Begriff, auf dem Wege über Luegcr das Volk deu Pfaffen und damit<lb/> unheilbarer Verdummung auszuliefern. Wenn man bedenkt, daß der österreichische<lb/> Klerus an die mythische Miß Vanghnn und ihren Teufel glaubt und trotz aller<lb/> verzweifelten Aufklärungsarbeit der reichsdeutschcn Zeutrumsblätter an diesem an¬<lb/> mutigen Glauben festhält, so kann man es den Wiener Universitätsprofessoren uicht<lb/> verargen, daß sie der drohenden feudal-kleriknleu Reichstagsmehrheit mit Bangen<lb/> entgegensehen. Die Arbeiterzeitung hat ihren Fanatismus so weit gezügelt, daß sie<lb/> die Favier als anständige Männer behandelt, d. h. als Männer, denen die Politik<lb/> nicht, wie den abgewirtschafteten Liberalen, ein Geldgeschäft ist, und als Männer<lb/> von Charakter, und daß sie über ihre Versammlungen objektiv berichtet; sie druckt<lb/> sogar die scharfe Charakteristik der Sozialdemokratie, die wir oben wiedergegeben<lb/> haben, mit Sperrschrift. Aber sie tadelt es, daß die Fabler zu früh darauf aus¬<lb/> gegangen seien, politische Erfolge zu erringen, und daß sie sich dadurch der Gefahr<lb/> ausgesetzt hätten, für die Judenliberalen zu arbeite» und in Abhängigkeit von ihnen<lb/> zu gerate». Die fünftausend Stimmen, die Philipvovich, Ofner und Krvnawetter<lb/> in der innern Stadt erhalten haben, seien doch gewiß nicht lauter Fabierflimmen,<lb/> sondern Stimme» von Juden und Judenfreunden, die es mit neue» Männern ver¬<lb/> suchen wollten, nachdem die alten abgewirtschaftet hätten; geradezu kompromittirend<lb/> sei es für die Sozialpolitiker, daß sich die Neue Freie Presse, das gemeinste und<lb/> verderblichste aller Judenblätter, in letzter Stunde entschlossen habe, sie unter ihre<lb/> Fittiche zu nehmen. Nun, von großen Erfolgen wird vor der Hand weder auf<lb/> diese, noch auf eine andre Weise die Rede sein können, aber eine Wohlthat bleibt<lb/> es sür die Wiener, daß die blödsinnig machende ewige Melodie der Semiten und<lb/> Antisemiten einmal durch die verständige Rede gescheiter Männer unterbrochen wird.<lb/> Mir die Stichwahl haben die Sozialpolitikcr ihren Wählern empfohlen, die Fortschritts-<lb/> tandidatcn den Antisemiten vorzuziehn; bekanntlich ist ihre Liste durchgegangen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1049" next="#ID_1050"> In Ungarn hat der diesseits der Leitha tote Liberalismus einen glänzenden<lb/> Triumph gefeiert. Ob es wohl derselbe Liberalismus sein »eng? Was ist über¬<lb/> haupt der ungarische Liberalismus für ein Ding? Vo« außen gesehen sieht er,<lb/> wenigstens bei den Wahlen, genau so aus wie der galizische Feudalismus, uur daß<lb/> Bestechung, Betrug, Prügel, Säbelhiebe, Wein- und Schuapslieferuugen von der<lb/> Regierung Bcmffys in weit großartigeren Maßstabe verwendet worden sind als<lb/> von der Regierung Badenis. Der Budapester Korrespondent der Frankfurter Zeitung<lb/> entschuldigt den liberalen Terrorismus auf folgende Weise: „Internationaler Kleri-<lb/> kalismus und österreichischer Feudalismus haben die Brandfackel ins Land geschleudert,<lb/> um deu Staat der selbstbewußten, freiheitsliebenden, liberalen ungarischen Mittel¬<lb/> klasse in Asche zu legen. Die klerikale Volkspartei sollte, unterstützt von Slowaken,<lb/> Serben, Rumänen und einem Bruchteil der Deutschen, die Mehrheit erlangen und</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV 1896 43</fw><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0345]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
heute im Besitz der Meinst wäre. Die Sozinldemokrnten können keine praktischen
Erfolge für die Arbeiter erzielen, weil sie stets auf ein jutopisches?^ Endziel hin¬
weisen und dadurch die Massen mir zu neuem Haß aufstacheln, während wir stück¬
weise Reformen schaffen wollen. Die Sozialdemokrnten umschmeicheln die Masse,
sehen in jedem Arbeiter einen Tugendbold, in jedem Bürger eiuen Manu, der der
Korruption mindestens nahe steht; wir aber glauben, daß die Bürger nicht schlechter
sind als die Arbeiter, daß es überall gute und schlechte Menschen giebt." Die
Jämmerlichkeit des Liberalismus wird von den Herren gebührend bloßgestellt, und
die Zumutung, sich der bedrängten Juden anzunehmen, entschieden abgelehnt, aber
den Antisemitismus erkläre» sie geradezu sür eine Gefahr, ja für die Gefahr des
Augenblicks; nachdem er die Österreicher schon an sich gehörig versimpelt habe, stehe
er jetzt im Begriff, auf dem Wege über Luegcr das Volk deu Pfaffen und damit
unheilbarer Verdummung auszuliefern. Wenn man bedenkt, daß der österreichische
Klerus an die mythische Miß Vanghnn und ihren Teufel glaubt und trotz aller
verzweifelten Aufklärungsarbeit der reichsdeutschcn Zeutrumsblätter an diesem an¬
mutigen Glauben festhält, so kann man es den Wiener Universitätsprofessoren uicht
verargen, daß sie der drohenden feudal-kleriknleu Reichstagsmehrheit mit Bangen
entgegensehen. Die Arbeiterzeitung hat ihren Fanatismus so weit gezügelt, daß sie
die Favier als anständige Männer behandelt, d. h. als Männer, denen die Politik
nicht, wie den abgewirtschafteten Liberalen, ein Geldgeschäft ist, und als Männer
von Charakter, und daß sie über ihre Versammlungen objektiv berichtet; sie druckt
sogar die scharfe Charakteristik der Sozialdemokratie, die wir oben wiedergegeben
haben, mit Sperrschrift. Aber sie tadelt es, daß die Fabler zu früh darauf aus¬
gegangen seien, politische Erfolge zu erringen, und daß sie sich dadurch der Gefahr
ausgesetzt hätten, für die Judenliberalen zu arbeite» und in Abhängigkeit von ihnen
zu gerate». Die fünftausend Stimmen, die Philipvovich, Ofner und Krvnawetter
in der innern Stadt erhalten haben, seien doch gewiß nicht lauter Fabierflimmen,
sondern Stimme» von Juden und Judenfreunden, die es mit neue» Männern ver¬
suchen wollten, nachdem die alten abgewirtschaftet hätten; geradezu kompromittirend
sei es für die Sozialpolitiker, daß sich die Neue Freie Presse, das gemeinste und
verderblichste aller Judenblätter, in letzter Stunde entschlossen habe, sie unter ihre
Fittiche zu nehmen. Nun, von großen Erfolgen wird vor der Hand weder auf
diese, noch auf eine andre Weise die Rede sein können, aber eine Wohlthat bleibt
es sür die Wiener, daß die blödsinnig machende ewige Melodie der Semiten und
Antisemiten einmal durch die verständige Rede gescheiter Männer unterbrochen wird.
Mir die Stichwahl haben die Sozialpolitikcr ihren Wählern empfohlen, die Fortschritts-
tandidatcn den Antisemiten vorzuziehn; bekanntlich ist ihre Liste durchgegangen.
In Ungarn hat der diesseits der Leitha tote Liberalismus einen glänzenden
Triumph gefeiert. Ob es wohl derselbe Liberalismus sein »eng? Was ist über¬
haupt der ungarische Liberalismus für ein Ding? Vo« außen gesehen sieht er,
wenigstens bei den Wahlen, genau so aus wie der galizische Feudalismus, uur daß
Bestechung, Betrug, Prügel, Säbelhiebe, Wein- und Schuapslieferuugen von der
Regierung Bcmffys in weit großartigeren Maßstabe verwendet worden sind als
von der Regierung Badenis. Der Budapester Korrespondent der Frankfurter Zeitung
entschuldigt den liberalen Terrorismus auf folgende Weise: „Internationaler Kleri-
kalismus und österreichischer Feudalismus haben die Brandfackel ins Land geschleudert,
um deu Staat der selbstbewußten, freiheitsliebenden, liberalen ungarischen Mittel¬
klasse in Asche zu legen. Die klerikale Volkspartei sollte, unterstützt von Slowaken,
Serben, Rumänen und einem Bruchteil der Deutschen, die Mehrheit erlangen und
Grenzboten IV 1896 43
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