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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Willibald Beyschlags Lebenserinnerungen

Dichtung "Der Grobschmied von Antwerpen" zu teil geworden. Aber
von 1845 an war keine Täuschung mehr über Kinkels Radikalismus möglich,
und da sich Beyschlag gleichzeitig stärker nach der konservativen Seite getrieben
fühlte, so hätte es vielleicht nicht einmal der Stürme des Jahres 1848 und
der revolutionären Thaten Kinkels bedurft, um die alten Freunde aus ein¬
ander zu führen. Resignirt sagt Beyschlag ans dem letzten Blatte, auf dem
er Kinkels gedenkt: "Ob ein menschliches, preußisches Recht bestand, einen
durch keinen Fahneneid gebundnen Mann, der unter der Flagge der Reichs¬
verfassung gegen Negierungstruppen gekämpft hatte, wie einen Banditen zu
erschießen, ist mir zweifelhaft geblieben, und die sogenannte Begnadigung zu
lebenslänglichem Spulen im Zuchthaus, die für einen Mann von Kinkels
Begabung und Bildung schlimmer war als eine tötliche Kugel, hat mir
weder christlich, noch königlich-edel erscheinen wollen. So habe ich dem un¬
glücklichen Manne die von Karl Schurz bewerkstelligte Befreiung gegönnt und
seine weitern Lebenswege von ferne mit wehmütiger Teilnahme begleitet.
Den Frieden mit seinem Gott und mit seinem Vaterlande hat er auf ihnen
uicht gefunden."

Nach vierjährigen Stadium, erst einundzwanzig Jahre alt, kehrte Bey¬
schlag im Herbst 1844 nach Frankfurt a. M. zurück. Er hatte das Gefühl,
zu früh zur Universität gekommen zu sein und wurde von dem Zweifel an seiner
unzulänglichen Kraft mehr als nötig überwältigt. Freilich waren die Kandi¬
datenverhältnisse, in die er nun eintrat, so unerquicklich und aussichtlos als
möglich. "Die evangelisch-lutherische Staatskirche, der ich angehörte, verfügte
in Stadt- und Landgebiet über achtzehn bis neunzehn Pfarrstellen, und nun
war ich in der Kandidatenliste gerade der achtzehnte; es mußten also eigentlich
erst alle im Amte stehenden Geistlichen sterben, ehe ich an die Reihe kam.
Wer vorm vierzigsten Jahr ins Pfarramt kam, konnte für ein Glückskind
gelten; wie mancher war dann abgemattet, in der langen Wartezeit verkümmert!
Dazu kam, daß bei den Pfarrwahlen wohl mehr noch als bei andern Ämter¬
besetzungen Protektion und Stimmeubcwerb entschieden; man sagte, der Erfolg
habe vor allem zwei Hauptbedingungen -- man müsse Freimaurer sein und
eine Frankfurtern, zur Braut haben, zwei Bedingungen, denen ich mich nicht
zu unterwerfen gedachte." Der tapfere Sinn des Verfassers tritt bei diesen
wie bei andern Stellen der Selbstbiographie immer entscheidender hervor. Die
Arbeit, die Beyschlag für die Wartejahre suchte und fand, Privatstunden und
Unterricht an Schulen, konnte ihn geistig nicht ausfüllen, auch daß er sich in
diesen Frankfurter Jahren vielfach und glücklich als Prediger versuchte, zog
ihn nicht von den Studien und der bewußten wissenschaftlichen Vertiefung ab.
Sein wissenschaftlicher Standpunkt dabei war ein konservativer, apologetischer
gegenüber dem Kritizismus der Tübinger Schule. Aber an der historisch-
kritischen Methode suchte er festzuhalten. "Die Inspiration des Schriftworts,


Willibald Beyschlags Lebenserinnerungen

Dichtung „Der Grobschmied von Antwerpen" zu teil geworden. Aber
von 1845 an war keine Täuschung mehr über Kinkels Radikalismus möglich,
und da sich Beyschlag gleichzeitig stärker nach der konservativen Seite getrieben
fühlte, so hätte es vielleicht nicht einmal der Stürme des Jahres 1848 und
der revolutionären Thaten Kinkels bedurft, um die alten Freunde aus ein¬
ander zu führen. Resignirt sagt Beyschlag ans dem letzten Blatte, auf dem
er Kinkels gedenkt: „Ob ein menschliches, preußisches Recht bestand, einen
durch keinen Fahneneid gebundnen Mann, der unter der Flagge der Reichs¬
verfassung gegen Negierungstruppen gekämpft hatte, wie einen Banditen zu
erschießen, ist mir zweifelhaft geblieben, und die sogenannte Begnadigung zu
lebenslänglichem Spulen im Zuchthaus, die für einen Mann von Kinkels
Begabung und Bildung schlimmer war als eine tötliche Kugel, hat mir
weder christlich, noch königlich-edel erscheinen wollen. So habe ich dem un¬
glücklichen Manne die von Karl Schurz bewerkstelligte Befreiung gegönnt und
seine weitern Lebenswege von ferne mit wehmütiger Teilnahme begleitet.
Den Frieden mit seinem Gott und mit seinem Vaterlande hat er auf ihnen
uicht gefunden."

Nach vierjährigen Stadium, erst einundzwanzig Jahre alt, kehrte Bey¬
schlag im Herbst 1844 nach Frankfurt a. M. zurück. Er hatte das Gefühl,
zu früh zur Universität gekommen zu sein und wurde von dem Zweifel an seiner
unzulänglichen Kraft mehr als nötig überwältigt. Freilich waren die Kandi¬
datenverhältnisse, in die er nun eintrat, so unerquicklich und aussichtlos als
möglich. „Die evangelisch-lutherische Staatskirche, der ich angehörte, verfügte
in Stadt- und Landgebiet über achtzehn bis neunzehn Pfarrstellen, und nun
war ich in der Kandidatenliste gerade der achtzehnte; es mußten also eigentlich
erst alle im Amte stehenden Geistlichen sterben, ehe ich an die Reihe kam.
Wer vorm vierzigsten Jahr ins Pfarramt kam, konnte für ein Glückskind
gelten; wie mancher war dann abgemattet, in der langen Wartezeit verkümmert!
Dazu kam, daß bei den Pfarrwahlen wohl mehr noch als bei andern Ämter¬
besetzungen Protektion und Stimmeubcwerb entschieden; man sagte, der Erfolg
habe vor allem zwei Hauptbedingungen — man müsse Freimaurer sein und
eine Frankfurtern, zur Braut haben, zwei Bedingungen, denen ich mich nicht
zu unterwerfen gedachte." Der tapfere Sinn des Verfassers tritt bei diesen
wie bei andern Stellen der Selbstbiographie immer entscheidender hervor. Die
Arbeit, die Beyschlag für die Wartejahre suchte und fand, Privatstunden und
Unterricht an Schulen, konnte ihn geistig nicht ausfüllen, auch daß er sich in
diesen Frankfurter Jahren vielfach und glücklich als Prediger versuchte, zog
ihn nicht von den Studien und der bewußten wissenschaftlichen Vertiefung ab.
Sein wissenschaftlicher Standpunkt dabei war ein konservativer, apologetischer
gegenüber dem Kritizismus der Tübinger Schule. Aber an der historisch-
kritischen Methode suchte er festzuhalten. „Die Inspiration des Schriftworts,


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[0334] Willibald Beyschlags Lebenserinnerungen Dichtung „Der Grobschmied von Antwerpen" zu teil geworden. Aber von 1845 an war keine Täuschung mehr über Kinkels Radikalismus möglich, und da sich Beyschlag gleichzeitig stärker nach der konservativen Seite getrieben fühlte, so hätte es vielleicht nicht einmal der Stürme des Jahres 1848 und der revolutionären Thaten Kinkels bedurft, um die alten Freunde aus ein¬ ander zu führen. Resignirt sagt Beyschlag ans dem letzten Blatte, auf dem er Kinkels gedenkt: „Ob ein menschliches, preußisches Recht bestand, einen durch keinen Fahneneid gebundnen Mann, der unter der Flagge der Reichs¬ verfassung gegen Negierungstruppen gekämpft hatte, wie einen Banditen zu erschießen, ist mir zweifelhaft geblieben, und die sogenannte Begnadigung zu lebenslänglichem Spulen im Zuchthaus, die für einen Mann von Kinkels Begabung und Bildung schlimmer war als eine tötliche Kugel, hat mir weder christlich, noch königlich-edel erscheinen wollen. So habe ich dem un¬ glücklichen Manne die von Karl Schurz bewerkstelligte Befreiung gegönnt und seine weitern Lebenswege von ferne mit wehmütiger Teilnahme begleitet. Den Frieden mit seinem Gott und mit seinem Vaterlande hat er auf ihnen uicht gefunden." Nach vierjährigen Stadium, erst einundzwanzig Jahre alt, kehrte Bey¬ schlag im Herbst 1844 nach Frankfurt a. M. zurück. Er hatte das Gefühl, zu früh zur Universität gekommen zu sein und wurde von dem Zweifel an seiner unzulänglichen Kraft mehr als nötig überwältigt. Freilich waren die Kandi¬ datenverhältnisse, in die er nun eintrat, so unerquicklich und aussichtlos als möglich. „Die evangelisch-lutherische Staatskirche, der ich angehörte, verfügte in Stadt- und Landgebiet über achtzehn bis neunzehn Pfarrstellen, und nun war ich in der Kandidatenliste gerade der achtzehnte; es mußten also eigentlich erst alle im Amte stehenden Geistlichen sterben, ehe ich an die Reihe kam. Wer vorm vierzigsten Jahr ins Pfarramt kam, konnte für ein Glückskind gelten; wie mancher war dann abgemattet, in der langen Wartezeit verkümmert! Dazu kam, daß bei den Pfarrwahlen wohl mehr noch als bei andern Ämter¬ besetzungen Protektion und Stimmeubcwerb entschieden; man sagte, der Erfolg habe vor allem zwei Hauptbedingungen — man müsse Freimaurer sein und eine Frankfurtern, zur Braut haben, zwei Bedingungen, denen ich mich nicht zu unterwerfen gedachte." Der tapfere Sinn des Verfassers tritt bei diesen wie bei andern Stellen der Selbstbiographie immer entscheidender hervor. Die Arbeit, die Beyschlag für die Wartejahre suchte und fand, Privatstunden und Unterricht an Schulen, konnte ihn geistig nicht ausfüllen, auch daß er sich in diesen Frankfurter Jahren vielfach und glücklich als Prediger versuchte, zog ihn nicht von den Studien und der bewußten wissenschaftlichen Vertiefung ab. Sein wissenschaftlicher Standpunkt dabei war ein konservativer, apologetischer gegenüber dem Kritizismus der Tübinger Schule. Aber an der historisch- kritischen Methode suchte er festzuhalten. „Die Inspiration des Schriftworts,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/334>, abgerufen am 08.01.2025.