Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.Juristische Randbemerkungen zum Fall Rotze Jurist vor dem Auslande derartige Anklagen gegen die Justiz seines Vater¬ Die zweite Beschuldigung schnöder Unkenntnis oder noch schnöderer Mi߬ Woraus glaubt Friedmcinn die Berechtigung zu einem Vorwurf entnehmen Aber Friedmann hat ganz gewiß nicht Recht, und es gelingt ihm nur Juristische Randbemerkungen zum Fall Rotze Jurist vor dem Auslande derartige Anklagen gegen die Justiz seines Vater¬ Die zweite Beschuldigung schnöder Unkenntnis oder noch schnöderer Mi߬ Woraus glaubt Friedmcinn die Berechtigung zu einem Vorwurf entnehmen Aber Friedmann hat ganz gewiß nicht Recht, und es gelingt ihm nur <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0032" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223616"/> <fw type="header" place="top"> Juristische Randbemerkungen zum Fall Rotze</fw><lb/> <p xml:id="ID_75" prev="#ID_74"> Jurist vor dem Auslande derartige Anklagen gegen die Justiz seines Vater¬<lb/> lands wider besseres Wissen erheben sollte, bloß um dadurch seinem Buche<lb/> einen größern Absatz zu verschaffen.</p><lb/> <p xml:id="ID_76"> Die zweite Beschuldigung schnöder Unkenntnis oder noch schnöderer Mi߬<lb/> achtung des Gesetzes, die Friedmann gegen dieselben Beamten erhebt, betrifft<lb/> ebenfalls die Vorschriften des Strafgesetzbuchs über die Verfolgung der An¬<lb/> tragsvergehen. Der von Friedmann wiederholt angeführte § 61 lautet wie<lb/> folgt: „Eine Handlung, deren Verfolgung nur auf Antrag eintritt, ist<lb/> nicht zu verfolgen, wenn der zum Antrage berechtigte es unterläßt, den Antrag<lb/> binnen drei Monaten zu stellen. Diese Frist beginnt mit dem Tage, seit<lb/> welchem der zum Antrage berechtigte von der Handlung und der Person des<lb/> Thäters Kenntnis gehabt hat." Jeder Fachmann wird mir bezeugen, daß<lb/> dieser Paragraph mit zu denen gehört, die dem Praktiker sozusagen in Fleisch<lb/> und Blut übergegangen sein müssen. Er gehört so sehr zu dem täglichen Hand¬<lb/> werkszeug der strafrechtlichen Praxis, daß man, sobald man es mit einem<lb/> Antragsdelikt zu thun hat. sast instinktiv zunächst darnach sieht, ob die drei¬<lb/> monatige Antragsfrist gewahrt ist. Nichts kann mithin leichtfertiger sein als<lb/> Friedmanns Vermutung, Geheimrat Brüggemann habe diese elementare Be¬<lb/> stimmung gar nicht gekannt.</p><lb/> <p xml:id="ID_77"> Woraus glaubt Friedmcinn die Berechtigung zu einem Vorwurf entnehmen<lb/> zu dürfen, der die Beamten, die er wirklich träfe, unbedingt zur Bekleidung<lb/> ihrer Ämter unfähig machen würde? Friedmann behauptet kurz und bündig<lb/> — je kürzer und hurtiger, desto besser —. daß die sämtlichen Strnfanträge,<lb/> die von den durch die anonymen Briefe beleidigten Personen gegen seinen<lb/> Klienten gestellt worden seien, bis auf einen einzigen erst nach Ablauf der<lb/> dreimonatigen Antragsfrist bei Gericht eingegangen und deshalb — bis auf<lb/> diese» einen — insgesamt unwirksam gewesen seien. Dies Hütten die Beamten<lb/> der Militürjnstiz entweder pflichtwidrig übersehen oder noch pflichtwidriger<lb/> nicht gerügt. Dafür, daß sie es nicht auf die Dauer übersehen konnten, wird<lb/> die ungemein rührige Verteidigung hinlänglich gesorgt haben. Es würde<lb/> also, wenn Friedmann Recht hätte, nur die Annahme einer absichtlichen<lb/> Rechtsverletzung übrig bleiben.</p><lb/> <p xml:id="ID_78" next="#ID_79"> Aber Friedmann hat ganz gewiß nicht Recht, und es gelingt ihm nur<lb/> dadurch, sich den Schein des Rechts zu geben, daß er mit taschenspielerhafter<lb/> Gewandtheit fortwährend die Begriffe „Kenntnis" und „Verdacht" mit einander<lb/> vertauscht. Die Antragsfrist läuft von dem Tage, an dem der Verletzte<lb/> Kenntnis von der Person des Thäters erlangt, nicht schon von dem Tage,<lb/> an dem sich fein Verdacht auf eine gewisse Person lenkt. Kenntnis ist aber,<lb/> nach Bindings treffender Bemerkung, zwar weniger als Gewißheit aber mehr<lb/> als Verdacht. Es ist Sache der richterlichen Beurteilung, den Zeitpunkt zu<lb/> ermitteln, wo die Gründe des Verdachts, den der Verletzte in Bezug auf die</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0032]
Juristische Randbemerkungen zum Fall Rotze
Jurist vor dem Auslande derartige Anklagen gegen die Justiz seines Vater¬
lands wider besseres Wissen erheben sollte, bloß um dadurch seinem Buche
einen größern Absatz zu verschaffen.
Die zweite Beschuldigung schnöder Unkenntnis oder noch schnöderer Mi߬
achtung des Gesetzes, die Friedmann gegen dieselben Beamten erhebt, betrifft
ebenfalls die Vorschriften des Strafgesetzbuchs über die Verfolgung der An¬
tragsvergehen. Der von Friedmann wiederholt angeführte § 61 lautet wie
folgt: „Eine Handlung, deren Verfolgung nur auf Antrag eintritt, ist
nicht zu verfolgen, wenn der zum Antrage berechtigte es unterläßt, den Antrag
binnen drei Monaten zu stellen. Diese Frist beginnt mit dem Tage, seit
welchem der zum Antrage berechtigte von der Handlung und der Person des
Thäters Kenntnis gehabt hat." Jeder Fachmann wird mir bezeugen, daß
dieser Paragraph mit zu denen gehört, die dem Praktiker sozusagen in Fleisch
und Blut übergegangen sein müssen. Er gehört so sehr zu dem täglichen Hand¬
werkszeug der strafrechtlichen Praxis, daß man, sobald man es mit einem
Antragsdelikt zu thun hat. sast instinktiv zunächst darnach sieht, ob die drei¬
monatige Antragsfrist gewahrt ist. Nichts kann mithin leichtfertiger sein als
Friedmanns Vermutung, Geheimrat Brüggemann habe diese elementare Be¬
stimmung gar nicht gekannt.
Woraus glaubt Friedmcinn die Berechtigung zu einem Vorwurf entnehmen
zu dürfen, der die Beamten, die er wirklich träfe, unbedingt zur Bekleidung
ihrer Ämter unfähig machen würde? Friedmann behauptet kurz und bündig
— je kürzer und hurtiger, desto besser —. daß die sämtlichen Strnfanträge,
die von den durch die anonymen Briefe beleidigten Personen gegen seinen
Klienten gestellt worden seien, bis auf einen einzigen erst nach Ablauf der
dreimonatigen Antragsfrist bei Gericht eingegangen und deshalb — bis auf
diese» einen — insgesamt unwirksam gewesen seien. Dies Hütten die Beamten
der Militürjnstiz entweder pflichtwidrig übersehen oder noch pflichtwidriger
nicht gerügt. Dafür, daß sie es nicht auf die Dauer übersehen konnten, wird
die ungemein rührige Verteidigung hinlänglich gesorgt haben. Es würde
also, wenn Friedmann Recht hätte, nur die Annahme einer absichtlichen
Rechtsverletzung übrig bleiben.
Aber Friedmann hat ganz gewiß nicht Recht, und es gelingt ihm nur
dadurch, sich den Schein des Rechts zu geben, daß er mit taschenspielerhafter
Gewandtheit fortwährend die Begriffe „Kenntnis" und „Verdacht" mit einander
vertauscht. Die Antragsfrist läuft von dem Tage, an dem der Verletzte
Kenntnis von der Person des Thäters erlangt, nicht schon von dem Tage,
an dem sich fein Verdacht auf eine gewisse Person lenkt. Kenntnis ist aber,
nach Bindings treffender Bemerkung, zwar weniger als Gewißheit aber mehr
als Verdacht. Es ist Sache der richterlichen Beurteilung, den Zeitpunkt zu
ermitteln, wo die Gründe des Verdachts, den der Verletzte in Bezug auf die
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