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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Willibald Beyschlags Lebenserinnermigen

nach und nach einige Künstler und Gelehrte auftauchen, "insonderheit scheint
der theologische Zug, nach schwäbischer Art in freiern Bahnen sich bewegend,
bei den höher strebenden Gliedern der Familie hervorgetreten zu sein." Willi¬
bald Beyschlag gehört einem Zweige der Familie an, der aus Schwaben über
Franken auf besondre Weise nach Frankfurt am Main gelangte. Sein Vater,
Johann August Beyschlag, ein gelernter Kaufmann, flüchtete im Jahre 1809
vor der bnirischen Konskription, die damals "vor allen Dingen dem Kaiser
Napoleon für seine Kriege Kanonenfutter zu liefern hatte," nach der ehemaligen
Reichsstadt und damaligen Hauptstadt des Dalbergschen Großhcrzogtums
Frankfurt, wo er so glücklich war, als Bcmkkommis Unterkommen zu finden,
sich nach dem Weltfrieden von 1815 mit einer schlichten, aber anmutigen Frank¬
furter Bürgerstochter verheiratete und als Wechfelmaller Selbständigkeit ge¬
wann. Als erster Sohn dieses Vaters wurde Willibald Beyschlag 1823 in
Frankfurt am Main geboren. Als er etwa sechs Jahre alt war, verschlimmerten
sich die bis dahin behaglichen Verhältnisse seines Elternhauses derart, daß sie
einige Jahre an Not und Mangel grenzten und auch nachher bescheidner als
zuvor blieben. Erst im Jahre 1834 gelang es dem Vater wieder, eine feste
Grundlage zu finden, und diese war, wenigstens zunächst, schmal genug. Er
wurde Buchhalter bei der aufblühenden Frankfurter Sparkasse, ein Posten, dem
die kaufmännischen Eigenschaften, die er wirklich hatte, Pünktlichkeit und Ge¬
wissenhaftigkeit, vorzüglich entsprachen. "Er war im Grunde kein geborner
Kaufmann, er hatte zu viel ideale Richtung und zu wenig kaltblütige Ruhe
und Umsicht, um es auf dem Tummelplatz der materiellen Interessen sonderlich
weit zu bringen." Auch jetzt noch dauerte es Jahre, bis die neue Stellung
mit der allmählichen Entwicklung der Sparkassenanstalt wirklich auskömmlich
wurde. Wenn der Vater dennoch alles, was in seinen Kräften stand, für die
Erziehung seiner Kinder that, wenn der Verfasser den Gesamteindruck knapper
Kinderjahre in die Worte zusammenfassen kann: "So einfach wir in Nahrung
und Kleidung gehalten wurden, es ging uns nichts ab. Ans unsre anständige,
reinliche und mangellose Erscheinung wurde von Vater und Mutter unverbrüchlich
gehalten, und was für unsre Bildung und Erziehung erforderlich schien, das
mußte übrig sein," so giebt er eine Charakteristik von Gesinnungen und Vor¬
gängen, die auch heute noch in taufenden von Familien vorhanden sind, aber
inzwischen einen unerfreulichen Beisatz von Qual und Druck erhalten haben,
der zu denken giebt. Wer möchte, wer dürfte heute noch mit Beyschlag freien
Herzens sagen: "So verdankten wir diesen knappen Zeiten viel mehr, als daß
wir etwas vermißt hätten; wir lernten fürs ganze Leben Einfachheit, Genüg¬
samkeit, sparsames Zuratehalteu, ohne den Sinn sür das Anmutige, für den
Schmuck des Lebens darum einzubüßen. Wir lernten, wie wenig man, um
froh und glücklich zu sein oder um Schönes zu genießen, des Überflusses
bedarf!"


Willibald Beyschlags Lebenserinnermigen

nach und nach einige Künstler und Gelehrte auftauchen, „insonderheit scheint
der theologische Zug, nach schwäbischer Art in freiern Bahnen sich bewegend,
bei den höher strebenden Gliedern der Familie hervorgetreten zu sein." Willi¬
bald Beyschlag gehört einem Zweige der Familie an, der aus Schwaben über
Franken auf besondre Weise nach Frankfurt am Main gelangte. Sein Vater,
Johann August Beyschlag, ein gelernter Kaufmann, flüchtete im Jahre 1809
vor der bnirischen Konskription, die damals „vor allen Dingen dem Kaiser
Napoleon für seine Kriege Kanonenfutter zu liefern hatte," nach der ehemaligen
Reichsstadt und damaligen Hauptstadt des Dalbergschen Großhcrzogtums
Frankfurt, wo er so glücklich war, als Bcmkkommis Unterkommen zu finden,
sich nach dem Weltfrieden von 1815 mit einer schlichten, aber anmutigen Frank¬
furter Bürgerstochter verheiratete und als Wechfelmaller Selbständigkeit ge¬
wann. Als erster Sohn dieses Vaters wurde Willibald Beyschlag 1823 in
Frankfurt am Main geboren. Als er etwa sechs Jahre alt war, verschlimmerten
sich die bis dahin behaglichen Verhältnisse seines Elternhauses derart, daß sie
einige Jahre an Not und Mangel grenzten und auch nachher bescheidner als
zuvor blieben. Erst im Jahre 1834 gelang es dem Vater wieder, eine feste
Grundlage zu finden, und diese war, wenigstens zunächst, schmal genug. Er
wurde Buchhalter bei der aufblühenden Frankfurter Sparkasse, ein Posten, dem
die kaufmännischen Eigenschaften, die er wirklich hatte, Pünktlichkeit und Ge¬
wissenhaftigkeit, vorzüglich entsprachen. „Er war im Grunde kein geborner
Kaufmann, er hatte zu viel ideale Richtung und zu wenig kaltblütige Ruhe
und Umsicht, um es auf dem Tummelplatz der materiellen Interessen sonderlich
weit zu bringen." Auch jetzt noch dauerte es Jahre, bis die neue Stellung
mit der allmählichen Entwicklung der Sparkassenanstalt wirklich auskömmlich
wurde. Wenn der Vater dennoch alles, was in seinen Kräften stand, für die
Erziehung seiner Kinder that, wenn der Verfasser den Gesamteindruck knapper
Kinderjahre in die Worte zusammenfassen kann: „So einfach wir in Nahrung
und Kleidung gehalten wurden, es ging uns nichts ab. Ans unsre anständige,
reinliche und mangellose Erscheinung wurde von Vater und Mutter unverbrüchlich
gehalten, und was für unsre Bildung und Erziehung erforderlich schien, das
mußte übrig sein," so giebt er eine Charakteristik von Gesinnungen und Vor¬
gängen, die auch heute noch in taufenden von Familien vorhanden sind, aber
inzwischen einen unerfreulichen Beisatz von Qual und Druck erhalten haben,
der zu denken giebt. Wer möchte, wer dürfte heute noch mit Beyschlag freien
Herzens sagen: „So verdankten wir diesen knappen Zeiten viel mehr, als daß
wir etwas vermißt hätten; wir lernten fürs ganze Leben Einfachheit, Genüg¬
samkeit, sparsames Zuratehalteu, ohne den Sinn sür das Anmutige, für den
Schmuck des Lebens darum einzubüßen. Wir lernten, wie wenig man, um
froh und glücklich zu sein oder um Schönes zu genießen, des Überflusses
bedarf!"


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/290>, abgerufen am 08.01.2025.