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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Vie Juristen in der Verwaltung der Staatseisenbahnen

fahrung im praktischen Leben gefestigten Charakter -- ab; nur mit diesen
Eigenschaften ist ein Vorgesetzter imstande, die auf allen Stufen der Beamten¬
schaft vorhandnen charakterlosen Streber, mögen sie nun in der Maske dienst¬
williger Ergebenheit, gediegnen Biedersinns oder auch salbungsvoller Frömmig¬
keit einhergehen, von sich fern zu halten und in ihre Schranken zurück¬
zuweisen. Der anerkannte Mangel an ausreichenden Fachkenntnissen und die
damit zusammenhängende Unselbständigkeit des Urteils der juristisch vor¬
gebildeten höhern Eisenbahnbeamten gewähren aber solchen Leuten vielfach
einen unheilvollen Einfluß auf ihre Entschließungen. Hierin kann selbstver¬
ständlich nicht ein Vorwurf gegen den Einzelnen, sondern nur gegen das so¬
genannte System erblickt werden. Es ist einmal ein Zug menschlicher Schwäche,
bei mangelnder Selbständigkeit des Urteils -- die wir nicht gern eingestehen
wollen oder dürfen -- am liebsten denen das Ohr zu leihen, die uns ihre
Ansicht geschickt unterzuschieben verstehe". Wie das Strebertum, das übrigens
eine gefährliche Fortpslanzungsfühigkeit bis in die untersten Schichten der
Beamtenschaft hat, ans Kosten andrer emporzukommen und niemandem außer
sich eine wohlwollende Berücksichtigung seiner persönlichen Wünsche gönnt, so
mißbraucht es auch seine Machtstellung zur schroffsten Behandlung gerade der
empfindlichsten Angelegenheiten: der Personalangelegenheiten bis hinab zu den
untersten. Einer solchen Entwicklung ist aber ein Umstand besonders günstig:
die schon oft beklagte vornehm kühle Haltung, der man so häufig unter den
Berwaltungsjuristen begegnet. Der Untergebne, nicht beherzt genug, seine
Wünsche und Beschwerden bei gelegentlicher Anwesenheit der Vorgesetzten
persönlich vorzutragen, hat sich deshalb mit der Zeit gewöhnt -- wenn es
'hin an der gebotnen vorsichtigen Ausdrucksweise fehlt --, seine Beschwerden
um Stellen anzubringen, von denen ihn fernzuhalten die Aufgabe einer ein¬
sichtigen Behörde wäre. Die sozialdemokratische Presse liefert ja fast täglich
Beispiele dieser Verirrung.

Die von diesen Verhältnissen nicht gerade unmittelbar berührte Beamten¬
schaft steht diesen Zustünden machtlos gegenüber; aber auch bei ihr wird durch
Unselbständigkeit der Vorgesetzten die Achtung nicht erhöht, ja der begabtere
Teil sieht in der vornehmen Absonderung und dem teilweise sehr scharfen Auf¬
treten der Juristen nichts andres als das Bestreben, die wegen des Mangels
°" Fachkenntnissen fehlende Autorität durch solche Mittel zu ersetzen. In
dies Gebiet füllt auch die bekannte Nörgelei über Formalitäten, die die Arbeits¬
lust der Beamtenschaft sehr Herabdrücken kann. Unter Umständen hat der
Mißmut hierüber sogar zu großer Erbitterung geführt, die sich dann in der
Aussprache über eine so unangemessene Behandlung im Kreise Angehöriger und
weiterer Bekannten Luft gemacht hat. Die in dem letzten Jahrzehnt vielfach
hervorgetretne Unzufriedenheit der mittlern Beamtenschaft ist namentlich auf das
unnatürliche Verhältnis zwischen ihr und ihren Vorgesetzten zurückzuführen.


Vie Juristen in der Verwaltung der Staatseisenbahnen

fahrung im praktischen Leben gefestigten Charakter — ab; nur mit diesen
Eigenschaften ist ein Vorgesetzter imstande, die auf allen Stufen der Beamten¬
schaft vorhandnen charakterlosen Streber, mögen sie nun in der Maske dienst¬
williger Ergebenheit, gediegnen Biedersinns oder auch salbungsvoller Frömmig¬
keit einhergehen, von sich fern zu halten und in ihre Schranken zurück¬
zuweisen. Der anerkannte Mangel an ausreichenden Fachkenntnissen und die
damit zusammenhängende Unselbständigkeit des Urteils der juristisch vor¬
gebildeten höhern Eisenbahnbeamten gewähren aber solchen Leuten vielfach
einen unheilvollen Einfluß auf ihre Entschließungen. Hierin kann selbstver¬
ständlich nicht ein Vorwurf gegen den Einzelnen, sondern nur gegen das so¬
genannte System erblickt werden. Es ist einmal ein Zug menschlicher Schwäche,
bei mangelnder Selbständigkeit des Urteils — die wir nicht gern eingestehen
wollen oder dürfen — am liebsten denen das Ohr zu leihen, die uns ihre
Ansicht geschickt unterzuschieben verstehe«. Wie das Strebertum, das übrigens
eine gefährliche Fortpslanzungsfühigkeit bis in die untersten Schichten der
Beamtenschaft hat, ans Kosten andrer emporzukommen und niemandem außer
sich eine wohlwollende Berücksichtigung seiner persönlichen Wünsche gönnt, so
mißbraucht es auch seine Machtstellung zur schroffsten Behandlung gerade der
empfindlichsten Angelegenheiten: der Personalangelegenheiten bis hinab zu den
untersten. Einer solchen Entwicklung ist aber ein Umstand besonders günstig:
die schon oft beklagte vornehm kühle Haltung, der man so häufig unter den
Berwaltungsjuristen begegnet. Der Untergebne, nicht beherzt genug, seine
Wünsche und Beschwerden bei gelegentlicher Anwesenheit der Vorgesetzten
persönlich vorzutragen, hat sich deshalb mit der Zeit gewöhnt — wenn es
'hin an der gebotnen vorsichtigen Ausdrucksweise fehlt —, seine Beschwerden
um Stellen anzubringen, von denen ihn fernzuhalten die Aufgabe einer ein¬
sichtigen Behörde wäre. Die sozialdemokratische Presse liefert ja fast täglich
Beispiele dieser Verirrung.

Die von diesen Verhältnissen nicht gerade unmittelbar berührte Beamten¬
schaft steht diesen Zustünden machtlos gegenüber; aber auch bei ihr wird durch
Unselbständigkeit der Vorgesetzten die Achtung nicht erhöht, ja der begabtere
Teil sieht in der vornehmen Absonderung und dem teilweise sehr scharfen Auf¬
treten der Juristen nichts andres als das Bestreben, die wegen des Mangels
°" Fachkenntnissen fehlende Autorität durch solche Mittel zu ersetzen. In
dies Gebiet füllt auch die bekannte Nörgelei über Formalitäten, die die Arbeits¬
lust der Beamtenschaft sehr Herabdrücken kann. Unter Umständen hat der
Mißmut hierüber sogar zu großer Erbitterung geführt, die sich dann in der
Aussprache über eine so unangemessene Behandlung im Kreise Angehöriger und
weiterer Bekannten Luft gemacht hat. Die in dem letzten Jahrzehnt vielfach
hervorgetretne Unzufriedenheit der mittlern Beamtenschaft ist namentlich auf das
unnatürliche Verhältnis zwischen ihr und ihren Vorgesetzten zurückzuführen.


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[0267] Vie Juristen in der Verwaltung der Staatseisenbahnen fahrung im praktischen Leben gefestigten Charakter — ab; nur mit diesen Eigenschaften ist ein Vorgesetzter imstande, die auf allen Stufen der Beamten¬ schaft vorhandnen charakterlosen Streber, mögen sie nun in der Maske dienst¬ williger Ergebenheit, gediegnen Biedersinns oder auch salbungsvoller Frömmig¬ keit einhergehen, von sich fern zu halten und in ihre Schranken zurück¬ zuweisen. Der anerkannte Mangel an ausreichenden Fachkenntnissen und die damit zusammenhängende Unselbständigkeit des Urteils der juristisch vor¬ gebildeten höhern Eisenbahnbeamten gewähren aber solchen Leuten vielfach einen unheilvollen Einfluß auf ihre Entschließungen. Hierin kann selbstver¬ ständlich nicht ein Vorwurf gegen den Einzelnen, sondern nur gegen das so¬ genannte System erblickt werden. Es ist einmal ein Zug menschlicher Schwäche, bei mangelnder Selbständigkeit des Urteils — die wir nicht gern eingestehen wollen oder dürfen — am liebsten denen das Ohr zu leihen, die uns ihre Ansicht geschickt unterzuschieben verstehe«. Wie das Strebertum, das übrigens eine gefährliche Fortpslanzungsfühigkeit bis in die untersten Schichten der Beamtenschaft hat, ans Kosten andrer emporzukommen und niemandem außer sich eine wohlwollende Berücksichtigung seiner persönlichen Wünsche gönnt, so mißbraucht es auch seine Machtstellung zur schroffsten Behandlung gerade der empfindlichsten Angelegenheiten: der Personalangelegenheiten bis hinab zu den untersten. Einer solchen Entwicklung ist aber ein Umstand besonders günstig: die schon oft beklagte vornehm kühle Haltung, der man so häufig unter den Berwaltungsjuristen begegnet. Der Untergebne, nicht beherzt genug, seine Wünsche und Beschwerden bei gelegentlicher Anwesenheit der Vorgesetzten persönlich vorzutragen, hat sich deshalb mit der Zeit gewöhnt — wenn es 'hin an der gebotnen vorsichtigen Ausdrucksweise fehlt —, seine Beschwerden um Stellen anzubringen, von denen ihn fernzuhalten die Aufgabe einer ein¬ sichtigen Behörde wäre. Die sozialdemokratische Presse liefert ja fast täglich Beispiele dieser Verirrung. Die von diesen Verhältnissen nicht gerade unmittelbar berührte Beamten¬ schaft steht diesen Zustünden machtlos gegenüber; aber auch bei ihr wird durch Unselbständigkeit der Vorgesetzten die Achtung nicht erhöht, ja der begabtere Teil sieht in der vornehmen Absonderung und dem teilweise sehr scharfen Auf¬ treten der Juristen nichts andres als das Bestreben, die wegen des Mangels °" Fachkenntnissen fehlende Autorität durch solche Mittel zu ersetzen. In dies Gebiet füllt auch die bekannte Nörgelei über Formalitäten, die die Arbeits¬ lust der Beamtenschaft sehr Herabdrücken kann. Unter Umständen hat der Mißmut hierüber sogar zu großer Erbitterung geführt, die sich dann in der Aussprache über eine so unangemessene Behandlung im Kreise Angehöriger und weiterer Bekannten Luft gemacht hat. Die in dem letzten Jahrzehnt vielfach hervorgetretne Unzufriedenheit der mittlern Beamtenschaft ist namentlich auf das unnatürliche Verhältnis zwischen ihr und ihren Vorgesetzten zurückzuführen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/267>, abgerufen am 06.01.2025.