Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches muß mein sagen, der Bauer ist rechtlos überliefert jenen Leuten, die ihm den Am wenigste" darf man sich darüber wundern, daß die Verhandlungen über Maßgebliches und Unmaßgebliches muß mein sagen, der Bauer ist rechtlos überliefert jenen Leuten, die ihm den Am wenigste» darf man sich darüber wundern, daß die Verhandlungen über <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0252" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223836"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_789" prev="#ID_788"> muß mein sagen, der Bauer ist rechtlos überliefert jenen Leuten, die ihm den<lb/> Schnaps liefern und dem Volke die letzte Kraft ans dem Hirn und den Muskeln<lb/> ziehen fLueger versteht, wie aus den folgenden hier ausgelassenen Sätzen hervorgeht,<lb/> nnter „jenen" Leuten die Juden, aber der eigentliche Schnapslieferant ist doch der<lb/> adliche Brenner, der Jude ist nur sein Helfers Der Minister sagte, es sei merk¬<lb/> würdig, daß wir einem oder zweien glaubten und nicht den übrigen sechzig ^pol¬<lb/> nischen Abgeordneten, die lauter Adelsvertreter sindj. „Eben weil Sie die Ver¬<lb/> hältnisse in Galizien immer mit einem Schleier bedecken, wird vielleicht mehr ge¬<lb/> glaubt, als nötig ist. Es ist merkwürdig, daß Sie uns förmlich verwehren wollen,<lb/> über die galizischen Verhältnisse zu sprechen. Zahlen wir denn nichts für Galizien?<lb/> Wer hat Ihnen denn die Bahnen gebaut? Wer hat das Geld zu den Reguli-<lb/> rungen gegeben? Sie nicht! Sie haben keins! Sie haben daher auch eigentlich<lb/> gar nichts zu reden, wenn nnr der zu reden hat, der zahlt. Merkwürdigerweise<lb/> reden Sie aber alles in Österreich, und wir, die zahlen, haben nichts zu sagen.<lb/> Ja, es muß über Galizien gesprochen werden, da wir ja von dort unsre Minister<lb/> haben; wissen wir, wie es in Galizien zugeht, so wissen wir auch, wie es unser<lb/> Freund Buberl, nebst Bninski und Gvluchowski, hier machen wird."</p><lb/> <p xml:id="ID_790" next="#ID_791"> Am wenigste» darf man sich darüber wundern, daß die Verhandlungen über<lb/> das Heimatsgesetz in unsrer Presse nur geringe Beachtung finden; denn gerade<lb/> solche Angelegenheiten, die den innersten Kern des Volkslebens berühren, interessiren<lb/> den Zeitnngsphilister am wenigsten und sind den Machern der öffentlichen Meinung<lb/> am unbequemsten. Erst wenn die lange Nichtbeachtung des notwendigen und<lb/> Wichtigen eine Katastrophe herbeiführt, wenden sich ihm die papiernen Klatschbasen<lb/> mit fruchtlosen Klageliedern zu. Die Verhandlungen des Abgeordnetenhauses be¬<lb/> weisen, daß die Wiener Arbeiterzeitung die Bedeutung der Frage nicht übertrieben<lb/> hat. In der Sitzung vom 12. Oktober bewies der Abgeordnete Roste, daß sich<lb/> das Gesetz auf 8 600 000 Personen oder sechsunddreißig Prozent der eisleithanischen<lb/> Bevölkerung bezieht, d. h. mehr als ein Drittel der „Staatsbürger" leben und<lb/> arbeiten an Orten, wo sie nicht heimatberechtigt sind, und werden bei eintretender<lb/> Arbeitsunfähigkeit oder Arbeitlosigkeit in ihre Heimat, d, h. an ihren Geburtsort<lb/> „abgeschoben," den manche schon als Kinder verlassen haben. In Wien stehen<lb/> 476000 „Einwohner" 880 000 „Fremden" gegenüber. Ja die „Heimat" fällt<lb/> bei zwei bis drei Millionen nicht einmal mit dem Geburtsorte zusammen; eine<lb/> Wienerin, die einen eingewanderten Tschechen geheiratet und des Mannes höhnisches<lb/> Geburtsnest niemals gesehen hat, wird, wenn, sie mittellos ist, samt Kindern nach<lb/> des Mannes Tode in dessen „Heimat abgeschoben." „Das Schubweseu hat einen<lb/> so ungeheuern Umfang angenommen, daß in Wien davon alljährlich 9000 Personen<lb/> betroffen werden, von denen 4000 zugeschoben und 6000 abgeschoben werden."<lb/> Roste erinnert an die zahlreichen Fälle, wo Leute, die nichts verbrochen haben,<lb/> bloß deswegen viele Monate in Haft gehalten werden, weil ihre Zuständigkeit<lb/> schwer zu ermitteln ist. Am 16- Oktober zählte der Abgeordnete von Czaykowski<lb/> Ortschaften auf, die so gut wie gar leine Bürger haben; Zizlov z. B. hat unter<lb/> seinen 40 000 Einwohnern nur 400 Heimatberechtigte, lind nun bedenke man,<lb/> daß die am Orte nicht heimatberechtigten mich nicht wahlberechtigt sind, wenigstens<lb/> nicht bei den Kommnnalwahlcn! Das mag früher dem von Hans ans nicht sehr<lb/> schneidigen und durch Not vollends abgestumpften österreichischen Arbeiter herzlich<lb/> gleichgiltig gewesen fein, aber jetzt, nachdem ihn die Sozialdemokratie aufgeweckt hat,<lb/> ist es das nicht mehr; er will die Gemeinde regieren helfen, anstatt sich nnr<lb/> regieren zu lassen. Wenn auch reichsdeutsche Blätter deu Widerstand der Industrie-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0252]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
muß mein sagen, der Bauer ist rechtlos überliefert jenen Leuten, die ihm den
Schnaps liefern und dem Volke die letzte Kraft ans dem Hirn und den Muskeln
ziehen fLueger versteht, wie aus den folgenden hier ausgelassenen Sätzen hervorgeht,
nnter „jenen" Leuten die Juden, aber der eigentliche Schnapslieferant ist doch der
adliche Brenner, der Jude ist nur sein Helfers Der Minister sagte, es sei merk¬
würdig, daß wir einem oder zweien glaubten und nicht den übrigen sechzig ^pol¬
nischen Abgeordneten, die lauter Adelsvertreter sindj. „Eben weil Sie die Ver¬
hältnisse in Galizien immer mit einem Schleier bedecken, wird vielleicht mehr ge¬
glaubt, als nötig ist. Es ist merkwürdig, daß Sie uns förmlich verwehren wollen,
über die galizischen Verhältnisse zu sprechen. Zahlen wir denn nichts für Galizien?
Wer hat Ihnen denn die Bahnen gebaut? Wer hat das Geld zu den Reguli-
rungen gegeben? Sie nicht! Sie haben keins! Sie haben daher auch eigentlich
gar nichts zu reden, wenn nnr der zu reden hat, der zahlt. Merkwürdigerweise
reden Sie aber alles in Österreich, und wir, die zahlen, haben nichts zu sagen.
Ja, es muß über Galizien gesprochen werden, da wir ja von dort unsre Minister
haben; wissen wir, wie es in Galizien zugeht, so wissen wir auch, wie es unser
Freund Buberl, nebst Bninski und Gvluchowski, hier machen wird."
Am wenigste» darf man sich darüber wundern, daß die Verhandlungen über
das Heimatsgesetz in unsrer Presse nur geringe Beachtung finden; denn gerade
solche Angelegenheiten, die den innersten Kern des Volkslebens berühren, interessiren
den Zeitnngsphilister am wenigsten und sind den Machern der öffentlichen Meinung
am unbequemsten. Erst wenn die lange Nichtbeachtung des notwendigen und
Wichtigen eine Katastrophe herbeiführt, wenden sich ihm die papiernen Klatschbasen
mit fruchtlosen Klageliedern zu. Die Verhandlungen des Abgeordnetenhauses be¬
weisen, daß die Wiener Arbeiterzeitung die Bedeutung der Frage nicht übertrieben
hat. In der Sitzung vom 12. Oktober bewies der Abgeordnete Roste, daß sich
das Gesetz auf 8 600 000 Personen oder sechsunddreißig Prozent der eisleithanischen
Bevölkerung bezieht, d. h. mehr als ein Drittel der „Staatsbürger" leben und
arbeiten an Orten, wo sie nicht heimatberechtigt sind, und werden bei eintretender
Arbeitsunfähigkeit oder Arbeitlosigkeit in ihre Heimat, d, h. an ihren Geburtsort
„abgeschoben," den manche schon als Kinder verlassen haben. In Wien stehen
476000 „Einwohner" 880 000 „Fremden" gegenüber. Ja die „Heimat" fällt
bei zwei bis drei Millionen nicht einmal mit dem Geburtsorte zusammen; eine
Wienerin, die einen eingewanderten Tschechen geheiratet und des Mannes höhnisches
Geburtsnest niemals gesehen hat, wird, wenn, sie mittellos ist, samt Kindern nach
des Mannes Tode in dessen „Heimat abgeschoben." „Das Schubweseu hat einen
so ungeheuern Umfang angenommen, daß in Wien davon alljährlich 9000 Personen
betroffen werden, von denen 4000 zugeschoben und 6000 abgeschoben werden."
Roste erinnert an die zahlreichen Fälle, wo Leute, die nichts verbrochen haben,
bloß deswegen viele Monate in Haft gehalten werden, weil ihre Zuständigkeit
schwer zu ermitteln ist. Am 16- Oktober zählte der Abgeordnete von Czaykowski
Ortschaften auf, die so gut wie gar leine Bürger haben; Zizlov z. B. hat unter
seinen 40 000 Einwohnern nur 400 Heimatberechtigte, lind nun bedenke man,
daß die am Orte nicht heimatberechtigten mich nicht wahlberechtigt sind, wenigstens
nicht bei den Kommnnalwahlcn! Das mag früher dem von Hans ans nicht sehr
schneidigen und durch Not vollends abgestumpften österreichischen Arbeiter herzlich
gleichgiltig gewesen fein, aber jetzt, nachdem ihn die Sozialdemokratie aufgeweckt hat,
ist es das nicht mehr; er will die Gemeinde regieren helfen, anstatt sich nnr
regieren zu lassen. Wenn auch reichsdeutsche Blätter deu Widerstand der Industrie-
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