Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.Skizzen aus unserm heutigen Volksleben ermahnte auch den Herrn Rechtsanwalt, die der Verteidigung gesteckten Grenzen Der Herr Pastor geriet außer sich, und auch der Herr Amtsrichter fragte Aber der Herr Rechtsanwalt drang -- was er wohl mich nicht erwartet Schließlich wurde auf zwanzig Mark Geldstrafe oder im Unvermögensfalle Das also war die erwartete Genugthuung! Der Herr Pastor Schlehmil kam Der Herr Pastor gab sich selber das Wort, nie wieder wegen Beleidigung zu Skizzen aus unserm heutigen Volksleben ermahnte auch den Herrn Rechtsanwalt, die der Verteidigung gesteckten Grenzen Der Herr Pastor geriet außer sich, und auch der Herr Amtsrichter fragte Aber der Herr Rechtsanwalt drang — was er wohl mich nicht erwartet Schließlich wurde auf zwanzig Mark Geldstrafe oder im Unvermögensfalle Das also war die erwartete Genugthuung! Der Herr Pastor Schlehmil kam Der Herr Pastor gab sich selber das Wort, nie wieder wegen Beleidigung zu <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0247" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223831"/> <fw type="header" place="top"> Skizzen aus unserm heutigen Volksleben</fw><lb/> <p xml:id="ID_755" prev="#ID_754"> ermahnte auch den Herrn Rechtsanwalt, die der Verteidigung gesteckten Grenzen<lb/> nicht zu überschreiten. Der ließ sich aber nicht stören und ging zu der Erörterung<lb/> der häuslichen und persönlichen Verhältnisse des Klägers über.</p><lb/> <p xml:id="ID_756"> Der Herr Pastor geriet außer sich, und auch der Herr Amtsrichter fragte<lb/> den Herrn Rechtsanwalt, „wieso" die Erörterung dieser Dinge zum Wahrheits¬<lb/> beweise gehöre? Der Herr Rechtsanwalt erwiderte, sein Beweisthema sei, zu<lb/> zeigen, daß der Herr Pastor die Bezeichnung Talmi-Bebel verdiene. Für einen<lb/> Pastor, wie er sein solle, sei diese Bezeichnung allerdings eine Beleidigung; für<lb/> einen Mann, wie Schlehmil, der seine Pastorale Thätigkeit hinter der des Politikers<lb/> und Agitators zurücktreten lasse, der, wie er aus seinen öffentlichen Äußerungen<lb/> nachweisen werde, Ansichten habe, die sich mit denen der Sozialdemokratie deckten,<lb/> könne die Bezeichnung Halbsozialist, denn das wolle das Wort sagen, nichts be¬<lb/> leidigendes haben. Er nehme für seinen Mandatar den Schutz des Z 193 (Wahr¬<lb/> nehmung berechtigter Interessen) in Anspruch und beantrage dessen kostenlose Frei¬<lb/> sprechung. Es sei undenkbar, daß ein Mann wie Kräuter, der allezeit furchtlos<lb/> unlautern und ungesunden Bestrebungen entgegengetreten sei, verurteilt werden<lb/> könnte.</p><lb/> <p xml:id="ID_757"> Aber der Herr Rechtsanwalt drang — was er wohl mich nicht erwartet<lb/> hatte — mit seinem Wahrheitsbeweise nicht dnrch. Wenn auch der Zeuge, so<lb/> führte der Richter aus, eine für einen Geistlichen befremdliche Stellung einnehme,<lb/> und wenn er auch Lehren verbreite, die unzweifelhaft sozialistisch seien, so habe<lb/> doch das Wort Talmi-Bebel ebenso unzweifelhaft einen beleidigenden Sinn. Auch<lb/> sei aus dem Zusammenhange, in dem das Wort gebraucht worden sei, die Absicht<lb/> der Beleidigung zu erkennen. Daß der Angeklagte berechtigte Interessen wahr¬<lb/> genommen habe, könne nicht zugegeben werden. Er würde erst dann den Schutz des<lb/> angeführten Paragraphen anrufen dürfen, wenn eine von dem Zeugen ins Leben<lb/> gerufne Bewegung seine Interessen thatsächlich berührt hätte. Das sei aber uicht<lb/> der Fall. Bei Abmessung der Strafe komme als erschwerend die Bildung des<lb/> Angeklagten in Betracht. Dieser hätte sich bewußt sein sollen, daß es nicht ge¬<lb/> stattet sei, jemand „Talmi-Bebel" zu nennen, als strafmildernd falle der Umstand<lb/> ins Gewicht, daß der Angeklagte schwer gereizt worden sei. Er, der Richter,<lb/> omne dem Zeugen nicht den Vorwurf ersparen, daß er die von seinem Amte ge¬<lb/> forderte Zurückhaltung nicht gewahrt habe.</p><lb/> <p xml:id="ID_758"> Schließlich wurde auf zwanzig Mark Geldstrafe oder im Unvermögensfalle<lb/> "uf vier Tage Gefängnis, sowie auf Einziehung der betreffenden Nummer des<lb/> Kreisblattes erkannt. Außerdem wurde der Besitzer des Blattes mit fünfzehn<lb/> Mark und Herr Pogge, weil er sich durch Ausgabe der Nummer (dnrch das bewußte<lb/> Muster) an der Verbreitung des beleidigenden Inhalts mit schuldig gemacht habe,<lb/> '">t zehn Mark bestraft.</p><lb/> <p xml:id="ID_759"> Das also war die erwartete Genugthuung! Der Herr Pastor Schlehmil kam<lb/> >us wie geprügelt, wie der eigentliche Verurteilte vor. Nicht allein, daß er die<lb/> Unverschämtheiten des Advokaten über sich hatte ergehen lassen müssen, er hatte sich<lb/> "und eine Kritik seiner Amtsführung von einem Juristen gefallen lassen müssen!</p><lb/> <p xml:id="ID_760" next="#ID_761"> Der Herr Pastor gab sich selber das Wort, nie wieder wegen Beleidigung zu<lb/> nagen. Herr Kräuter bezahlte seine zwanzig Mark mit Vergnügen und zog mit'einem Rechtsanwalt und einigen Gesinnungsgenossen in den Gasthof, um das fröh¬<lb/> liche Ereignis, daß sie einem von den Schwarzen etwas am Zeuge geflickt hatten,<lb/> nut el» paar Flaschen Extragutem zu feiern. Herr Leberecht Lamm war tief ver-<lb/> stummt. Er gehörte zu den altmodischen Leuten, die sich noch über eine Ver-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0247]
Skizzen aus unserm heutigen Volksleben
ermahnte auch den Herrn Rechtsanwalt, die der Verteidigung gesteckten Grenzen
nicht zu überschreiten. Der ließ sich aber nicht stören und ging zu der Erörterung
der häuslichen und persönlichen Verhältnisse des Klägers über.
Der Herr Pastor geriet außer sich, und auch der Herr Amtsrichter fragte
den Herrn Rechtsanwalt, „wieso" die Erörterung dieser Dinge zum Wahrheits¬
beweise gehöre? Der Herr Rechtsanwalt erwiderte, sein Beweisthema sei, zu
zeigen, daß der Herr Pastor die Bezeichnung Talmi-Bebel verdiene. Für einen
Pastor, wie er sein solle, sei diese Bezeichnung allerdings eine Beleidigung; für
einen Mann, wie Schlehmil, der seine Pastorale Thätigkeit hinter der des Politikers
und Agitators zurücktreten lasse, der, wie er aus seinen öffentlichen Äußerungen
nachweisen werde, Ansichten habe, die sich mit denen der Sozialdemokratie deckten,
könne die Bezeichnung Halbsozialist, denn das wolle das Wort sagen, nichts be¬
leidigendes haben. Er nehme für seinen Mandatar den Schutz des Z 193 (Wahr¬
nehmung berechtigter Interessen) in Anspruch und beantrage dessen kostenlose Frei¬
sprechung. Es sei undenkbar, daß ein Mann wie Kräuter, der allezeit furchtlos
unlautern und ungesunden Bestrebungen entgegengetreten sei, verurteilt werden
könnte.
Aber der Herr Rechtsanwalt drang — was er wohl mich nicht erwartet
hatte — mit seinem Wahrheitsbeweise nicht dnrch. Wenn auch der Zeuge, so
führte der Richter aus, eine für einen Geistlichen befremdliche Stellung einnehme,
und wenn er auch Lehren verbreite, die unzweifelhaft sozialistisch seien, so habe
doch das Wort Talmi-Bebel ebenso unzweifelhaft einen beleidigenden Sinn. Auch
sei aus dem Zusammenhange, in dem das Wort gebraucht worden sei, die Absicht
der Beleidigung zu erkennen. Daß der Angeklagte berechtigte Interessen wahr¬
genommen habe, könne nicht zugegeben werden. Er würde erst dann den Schutz des
angeführten Paragraphen anrufen dürfen, wenn eine von dem Zeugen ins Leben
gerufne Bewegung seine Interessen thatsächlich berührt hätte. Das sei aber uicht
der Fall. Bei Abmessung der Strafe komme als erschwerend die Bildung des
Angeklagten in Betracht. Dieser hätte sich bewußt sein sollen, daß es nicht ge¬
stattet sei, jemand „Talmi-Bebel" zu nennen, als strafmildernd falle der Umstand
ins Gewicht, daß der Angeklagte schwer gereizt worden sei. Er, der Richter,
omne dem Zeugen nicht den Vorwurf ersparen, daß er die von seinem Amte ge¬
forderte Zurückhaltung nicht gewahrt habe.
Schließlich wurde auf zwanzig Mark Geldstrafe oder im Unvermögensfalle
"uf vier Tage Gefängnis, sowie auf Einziehung der betreffenden Nummer des
Kreisblattes erkannt. Außerdem wurde der Besitzer des Blattes mit fünfzehn
Mark und Herr Pogge, weil er sich durch Ausgabe der Nummer (dnrch das bewußte
Muster) an der Verbreitung des beleidigenden Inhalts mit schuldig gemacht habe,
'">t zehn Mark bestraft.
Das also war die erwartete Genugthuung! Der Herr Pastor Schlehmil kam
>us wie geprügelt, wie der eigentliche Verurteilte vor. Nicht allein, daß er die
Unverschämtheiten des Advokaten über sich hatte ergehen lassen müssen, er hatte sich
"und eine Kritik seiner Amtsführung von einem Juristen gefallen lassen müssen!
Der Herr Pastor gab sich selber das Wort, nie wieder wegen Beleidigung zu
nagen. Herr Kräuter bezahlte seine zwanzig Mark mit Vergnügen und zog mit'einem Rechtsanwalt und einigen Gesinnungsgenossen in den Gasthof, um das fröh¬
liche Ereignis, daß sie einem von den Schwarzen etwas am Zeuge geflickt hatten,
nut el» paar Flaschen Extragutem zu feiern. Herr Leberecht Lamm war tief ver-
stummt. Er gehörte zu den altmodischen Leuten, die sich noch über eine Ver-
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |