Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.Skizzen aus unserm heutigen Volksleben Dem Herrn Pastor siel es wie Schuppen von den Augen. Lasset euer Licht Nach ein paar Tagen fuhr er mit einem halben Dutzend leidlich geratuer Als Herr Pastor Schlehmil eben eintreten wollte, begegnete ihm in der Thür Der Herr Pastor trat ein. Das Redaktionszimmer war ein düsterer, schmaler Er hieß den Herrn Pastor freundlich willkommen und nötigte ihn auf das Der Herr Pastor eröffnete das Gespräch, indem er sich über die große Be¬ Da haben Sie ganz Recht, mein guter Herr Pastor, erwiderte Herr Lamm, Skizzen aus unserm heutigen Volksleben Dem Herrn Pastor siel es wie Schuppen von den Augen. Lasset euer Licht Nach ein paar Tagen fuhr er mit einem halben Dutzend leidlich geratuer Als Herr Pastor Schlehmil eben eintreten wollte, begegnete ihm in der Thür Der Herr Pastor trat ein. Das Redaktionszimmer war ein düsterer, schmaler Er hieß den Herrn Pastor freundlich willkommen und nötigte ihn auf das Der Herr Pastor eröffnete das Gespräch, indem er sich über die große Be¬ Da haben Sie ganz Recht, mein guter Herr Pastor, erwiderte Herr Lamm, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0240" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223824"/> <fw type="header" place="top"> Skizzen aus unserm heutigen Volksleben</fw><lb/> <p xml:id="ID_715"> Dem Herrn Pastor siel es wie Schuppen von den Augen. Lasset euer Licht<lb/> leuchten vor den Leuten! hatte der Heiland gesagt. Das beschloß er zu thun, er<lb/> beschloß auf den Markt hinauszutreten und die Sprache der Gegenwart zu reden,<lb/> d. h. in der Zeitung zu schreiben. Er machte sich mit Feuereifer daran und ge¬<lb/> staltete seine Vorträge zu Aufsätzen für das Kreisblatt um. Aber merkwürdig!<lb/> die Aufsätze wurden alle zu lang, und ehe er sichs versah, hatten sie Text, Thema<lb/> und Teile. Es fehlte nur das Amen, so wäre die Predigt fertig gewesen.</p><lb/> <p xml:id="ID_716"> Nach ein paar Tagen fuhr er mit einem halben Dutzend leidlich geratuer<lb/> Aufsätze ausgerüstet in die Stadt, um den Besitzer und Drucker des Kreisblattes,<lb/> Herrn Leberecht Lamm, in christlich-sozialem Sinne zu beeinflussen. Dieser Herr<lb/> gehörte zu den angesehensten Bürgern der Kreisstadt. Wie hätte ihm auch nicht<lb/> der Besitz eines der schönsten Häuser der Stadt, der Besitz eines blühenden Ge¬<lb/> schäfts, der Besitz des Vertrauens der Bürgerschaft, die ihn zum unbesoldeten<lb/> Stadtrat erwählt hatte, endlich der Besitz einer Verwandtschaft, die ihn mit allen<lb/> maßgebenden Kreisen der Stadt verband, die Hochachtung aller Wohlmeinenden er¬<lb/> werben sollen! Es gab zwar auch übelmeiuende, die einander zuflüsterten, daß<lb/> Herr Leberecht Lamm die reine Null sei, und die es nicht vergessen konnten, daß<lb/> er in seiner Jugend ein armer Setzerlehrling gewesen war. Bis zum heutigen<lb/> Tage stehe es bei ihm bös mit der Orthographie, und wenn er nicht den guten<lb/> Pogge hätte, so brächte er nicht eine einzige Nummer seines Kreisblattes zu stände.<lb/> Aber das war nur böswillige Erfindung.</p><lb/> <p xml:id="ID_717"> Als Herr Pastor Schlehmil eben eintreten wollte, begegnete ihm in der Thür<lb/> der Rechtsanwalt Philippsohn. Der Herr Pastor grüßte gemessen, denn er fühlte<lb/> sich unangenehm berührt. Was machte der hier? dieser Demokrat, dieser kalt¬<lb/> herzige und kirchenfeindliche Mann? Nun war es um so nötiger, den entgegen¬<lb/> gesetzten Einfluß geltend zu machen.</p><lb/> <p xml:id="ID_718"> Der Herr Pastor trat ein. Das Redaktionszimmer war ein düsterer, schmaler<lb/> Raum, der neben seinem Hciuptfenfler zwei kleinere hatte. Das eine führte auf<lb/> die Hausflur. Dort saß der schon erwähnte Pogge und gab dem Publikum durchs<lb/> Feuster die Zeitungen aus, wie der Bäcker die Semmeln. Das andre Fenster<lb/> ging in die Druckerei. Dort saß Herr Leberecht Lamm an seinem Rcdccktions-<lb/> tische. Sein Haupt war mit einer etwas fuchsigen Perrücke bedeckt, seine Füße<lb/> steckten in ein paar alten Filzschuhen, und sein Leib in einem Hausrocke, deu man<lb/> ebenso gut hätte Schlafrock nennen können. Im übrigen war es ein freundliches<lb/> Männchen, dem man es ansah, daß er gern einen guten Tropfen trank.</p><lb/> <p xml:id="ID_719"> Er hieß den Herrn Pastor freundlich willkommen und nötigte ihn auf das<lb/> alte Kanapee, auf dem eben der Herr Nechtsanwcüt gesessen hatte, lehnte sich in<lb/> seinen Sessel zurück, schob die Gläser seiner dicken Stahlbrille auf die Stiru und<lb/> ließ erwartungsvoll einen Dcinmen um den andern kreisen.</p><lb/> <p xml:id="ID_720"> Der Herr Pastor eröffnete das Gespräch, indem er sich über die große Be¬<lb/> deutung der Presse sür das politische und soziale Leben der Gegenwart verbreitete.</p><lb/> <p xml:id="ID_721" next="#ID_722"> Da haben Sie ganz Recht, mein guter Herr Pastor, erwiderte Herr Lamm,<lb/> die Bedeutung der Presse kann gar nicht hoch genng angeschlagen werden. Ich<lb/> vertrete ja nur das Nimzigcr Kreisblatt, aber glauben Sie mir, Herr Pastor,<lb/> unsre Fäden reichen weit, sie reichen hoch hinan. — Dabei sendete er einen Zu¬<lb/> stimmung fordernden Blick auf Pogge, der ein halb Dutzend mal nachdrücklich mit<lb/> dem Kopfe nickte. — Haben Sie unsern Leitartikel vom Sonnabend schon gelesen?<lb/> Wir sind der Anmaßung Amerikas höchst energisch entgegengetreten und haben<lb/> Jnuehaltuttg der Verträge und gerechtere Beda»dlung unsers Zuckers gefordert.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0240]
Skizzen aus unserm heutigen Volksleben
Dem Herrn Pastor siel es wie Schuppen von den Augen. Lasset euer Licht
leuchten vor den Leuten! hatte der Heiland gesagt. Das beschloß er zu thun, er
beschloß auf den Markt hinauszutreten und die Sprache der Gegenwart zu reden,
d. h. in der Zeitung zu schreiben. Er machte sich mit Feuereifer daran und ge¬
staltete seine Vorträge zu Aufsätzen für das Kreisblatt um. Aber merkwürdig!
die Aufsätze wurden alle zu lang, und ehe er sichs versah, hatten sie Text, Thema
und Teile. Es fehlte nur das Amen, so wäre die Predigt fertig gewesen.
Nach ein paar Tagen fuhr er mit einem halben Dutzend leidlich geratuer
Aufsätze ausgerüstet in die Stadt, um den Besitzer und Drucker des Kreisblattes,
Herrn Leberecht Lamm, in christlich-sozialem Sinne zu beeinflussen. Dieser Herr
gehörte zu den angesehensten Bürgern der Kreisstadt. Wie hätte ihm auch nicht
der Besitz eines der schönsten Häuser der Stadt, der Besitz eines blühenden Ge¬
schäfts, der Besitz des Vertrauens der Bürgerschaft, die ihn zum unbesoldeten
Stadtrat erwählt hatte, endlich der Besitz einer Verwandtschaft, die ihn mit allen
maßgebenden Kreisen der Stadt verband, die Hochachtung aller Wohlmeinenden er¬
werben sollen! Es gab zwar auch übelmeiuende, die einander zuflüsterten, daß
Herr Leberecht Lamm die reine Null sei, und die es nicht vergessen konnten, daß
er in seiner Jugend ein armer Setzerlehrling gewesen war. Bis zum heutigen
Tage stehe es bei ihm bös mit der Orthographie, und wenn er nicht den guten
Pogge hätte, so brächte er nicht eine einzige Nummer seines Kreisblattes zu stände.
Aber das war nur böswillige Erfindung.
Als Herr Pastor Schlehmil eben eintreten wollte, begegnete ihm in der Thür
der Rechtsanwalt Philippsohn. Der Herr Pastor grüßte gemessen, denn er fühlte
sich unangenehm berührt. Was machte der hier? dieser Demokrat, dieser kalt¬
herzige und kirchenfeindliche Mann? Nun war es um so nötiger, den entgegen¬
gesetzten Einfluß geltend zu machen.
Der Herr Pastor trat ein. Das Redaktionszimmer war ein düsterer, schmaler
Raum, der neben seinem Hciuptfenfler zwei kleinere hatte. Das eine führte auf
die Hausflur. Dort saß der schon erwähnte Pogge und gab dem Publikum durchs
Feuster die Zeitungen aus, wie der Bäcker die Semmeln. Das andre Fenster
ging in die Druckerei. Dort saß Herr Leberecht Lamm an seinem Rcdccktions-
tische. Sein Haupt war mit einer etwas fuchsigen Perrücke bedeckt, seine Füße
steckten in ein paar alten Filzschuhen, und sein Leib in einem Hausrocke, deu man
ebenso gut hätte Schlafrock nennen können. Im übrigen war es ein freundliches
Männchen, dem man es ansah, daß er gern einen guten Tropfen trank.
Er hieß den Herrn Pastor freundlich willkommen und nötigte ihn auf das
alte Kanapee, auf dem eben der Herr Nechtsanwcüt gesessen hatte, lehnte sich in
seinen Sessel zurück, schob die Gläser seiner dicken Stahlbrille auf die Stiru und
ließ erwartungsvoll einen Dcinmen um den andern kreisen.
Der Herr Pastor eröffnete das Gespräch, indem er sich über die große Be¬
deutung der Presse sür das politische und soziale Leben der Gegenwart verbreitete.
Da haben Sie ganz Recht, mein guter Herr Pastor, erwiderte Herr Lamm,
die Bedeutung der Presse kann gar nicht hoch genng angeschlagen werden. Ich
vertrete ja nur das Nimzigcr Kreisblatt, aber glauben Sie mir, Herr Pastor,
unsre Fäden reichen weit, sie reichen hoch hinan. — Dabei sendete er einen Zu¬
stimmung fordernden Blick auf Pogge, der ein halb Dutzend mal nachdrücklich mit
dem Kopfe nickte. — Haben Sie unsern Leitartikel vom Sonnabend schon gelesen?
Wir sind der Anmaßung Amerikas höchst energisch entgegengetreten und haben
Jnuehaltuttg der Verträge und gerechtere Beda»dlung unsers Zuckers gefordert.
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