Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.Skizzen aus unserm heutigen Volksleben griff gebraucht hätten, Organisation und Agitation. Das heiße hier in Gro߬ Die Frau Pastorin schüttelte den Kopf und faud viele Schmierigkeiten. Wo Aber der Herr Pastor wies die Versuchung, die ihm in Gestalt seiner lieben Die Frau Pastorin schwieg erschrocken, denn wenn der Herr Pastor von seinem Die Schwierigkeiten, die die Frau Pastorin geahnt hatte, waren in der That Der Frau Pastorin genügte aber das Studirzimmer nicht. Sie gab ihre Es schlug sechs Uhr, aber niemand kam; es wurde ein viertel auf Sieben, Ein Gefühl von Bitterkeit stieg in seiner Seele auf, aber er bekämpfte es Nun wendete sich der Herr Pastor an wohlgesinnte Gutsbesitzer im Dorfe. Er Skizzen aus unserm heutigen Volksleben griff gebraucht hätten, Organisation und Agitation. Das heiße hier in Gro߬ Die Frau Pastorin schüttelte den Kopf und faud viele Schmierigkeiten. Wo Aber der Herr Pastor wies die Versuchung, die ihm in Gestalt seiner lieben Die Frau Pastorin schwieg erschrocken, denn wenn der Herr Pastor von seinem Die Schwierigkeiten, die die Frau Pastorin geahnt hatte, waren in der That Der Frau Pastorin genügte aber das Studirzimmer nicht. Sie gab ihre Es schlug sechs Uhr, aber niemand kam; es wurde ein viertel auf Sieben, Ein Gefühl von Bitterkeit stieg in seiner Seele auf, aber er bekämpfte es Nun wendete sich der Herr Pastor an wohlgesinnte Gutsbesitzer im Dorfe. Er <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0238" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223822"/> <fw type="header" place="top"> Skizzen aus unserm heutigen Volksleben</fw><lb/> <p xml:id="ID_701" prev="#ID_700"> griff gebraucht hätten, Organisation und Agitation. Das heiße hier in Gro߬<lb/> weizendorf: die Zusammenfassung der guten Elemente zu einem Verein, einem<lb/> antisozialen Arbeiterverein.</p><lb/> <p xml:id="ID_702"> Die Frau Pastorin schüttelte den Kopf und faud viele Schmierigkeiten. Wo<lb/> sich denn der Verein versammeln sollte? Im Kruge gehe es nicht, da der Krugwirt<lb/> ein ganz unkirchlicher Mann sei, im neuen Gasthause auch uicht, denn da ver¬<lb/> kehrten nur die Leute aus dem Ostendorfe, und bei Nümplers sei der Saal zu<lb/> klein. Ob die Ziegeleiarbeiter auch mitmachen sollten? Was die Frau Generalin<lb/> dazu sagen würde? Und ob der liebe Maun nicht lieber die Hände von der<lb/> Sache lassen wolle? Denn es gäbe doch nur viel Arbeit und viel Ärger, und zu<lb/> ändern wäre an der Sache doch nichts.</p><lb/> <p xml:id="ID_703"> Aber der Herr Pastor wies die Versuchung, die ihm in Gestalt seiner lieben<lb/> Frau entgegentrat, weit von sich. Es sei seine heilige Pflicht, die Sache nicht<lb/> gehen zu lassen, wie sie wolle, es sei ihm „ins Gewissen geschoben" worden, für<lb/> seine gefährdete Herde einzutreten. Der Verein müsse gegründet werden und<lb/> müsse sich versammeln, und wenn es hier in des Pastors Studirstube sein sollte!</p><lb/> <p xml:id="ID_704"> Die Frau Pastorin schwieg erschrocken, denn wenn der Herr Pastor von seinem<lb/> Pastoralen Gewissen zu reden anfing, mußte mau vorsichtig sein.</p><lb/> <p xml:id="ID_705"> Die Schwierigkeiten, die die Frau Pastorin geahnt hatte, waren in der That<lb/> vorhanden, die Lokalfrage erwies sich als ein fast überwindliches Hindernis, und<lb/> mancher andre würde entmutigt die Unternehmung aufgegeben haben. Nicht so<lb/> Pastor Schlehmil: er entschied, daß die Versammlungen im Pfarrhause stattfinden<lb/> sollten. Er hielt den nächsten Sonntag eine bewegliche Ansprache, die mit der<lb/> ebenso herzlichen wie dringlichen Aufforderung schloß, die wohlgesinnten Arbeiter<lb/> von Großweizendorf möchten sich heute Abend um sechs Uhr zu einer Besprechung<lb/> im Pfarrhause einfinden.</p><lb/> <p xml:id="ID_706"> Der Frau Pastorin genügte aber das Studirzimmer nicht. Sie gab ihre<lb/> große Stube her, ließ durch Friederiken alle Stühle im Hanse zusammentragen<lb/> und setzte den großen Wasserkessel aufs Feuer, um die wohlgesinnten Arbeiter mit<lb/> einer Tasse Thee zu stärken. Daß zum Thee auch etwas knuspriges Gebäck ge¬<lb/> hörte, war selbstverständlich. Der Herr Pastor hatte einen Vortrag über den<lb/> Materialismus und seine Abwehr ausgearbeitet und wartete mit Spannung auf<lb/> sein Publikum.</p><lb/> <p xml:id="ID_707"> Es schlug sechs Uhr, aber niemand kam; es wurde ein viertel auf Sieben,<lb/> die Hansglocke schwieg beharrlich. Der Herr Pastor ging in nervöser Unruhe im<lb/> Zimmer auf und ab. Gegen halb sieben Uhr kam ein Trupp Menschen die Straße<lb/> herauf. Mau hörte eine Zeit lang vor der Hofthür murmelnde Laute, denn<lb/> verlief sichs, und es wurde wieder still. Das erwartete Publikum aber saß wie<lb/> gewöhnlich auf der Kirchhofsmauer und baumelte mit den Beinen. Als es sieben<lb/> Uhr geworden war, trug Friederike die Stühle wieder fort, und die Frau Pastorin<lb/> setzte ihren Kessel vom Feuer. Sie hatte leider keine Gegenliebe für ihren Thee<lb/> gefunden, was sie einigermaßen kränkte. Ebenso wenig hatte der Herr Pastor<lb/> Liebhaber für seine „Darbietung" gefunden, was ihn noch mehr kränkte.</p><lb/> <p xml:id="ID_708"> Ein Gefühl von Bitterkeit stieg in seiner Seele auf, aber er bekämpfte es<lb/> und fand sich schnell wieder zurecht. Der erste Hieb war vergeblich gewesen, aber<lb/> welcher Baum fällt auf den ersten Hieb? Er fragte sich und andre, woran es<lb/> gelegen habe, daß niemand gekommen sei. Da erfuhr er denn, daß man sichs nicht<lb/> getraut habe, weil niemand der erste habe sein wollen.</p><lb/> <p xml:id="ID_709" next="#ID_710"> Nun wendete sich der Herr Pastor an wohlgesinnte Gutsbesitzer im Dorfe. Er</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0238]
Skizzen aus unserm heutigen Volksleben
griff gebraucht hätten, Organisation und Agitation. Das heiße hier in Gro߬
weizendorf: die Zusammenfassung der guten Elemente zu einem Verein, einem
antisozialen Arbeiterverein.
Die Frau Pastorin schüttelte den Kopf und faud viele Schmierigkeiten. Wo
sich denn der Verein versammeln sollte? Im Kruge gehe es nicht, da der Krugwirt
ein ganz unkirchlicher Mann sei, im neuen Gasthause auch uicht, denn da ver¬
kehrten nur die Leute aus dem Ostendorfe, und bei Nümplers sei der Saal zu
klein. Ob die Ziegeleiarbeiter auch mitmachen sollten? Was die Frau Generalin
dazu sagen würde? Und ob der liebe Maun nicht lieber die Hände von der
Sache lassen wolle? Denn es gäbe doch nur viel Arbeit und viel Ärger, und zu
ändern wäre an der Sache doch nichts.
Aber der Herr Pastor wies die Versuchung, die ihm in Gestalt seiner lieben
Frau entgegentrat, weit von sich. Es sei seine heilige Pflicht, die Sache nicht
gehen zu lassen, wie sie wolle, es sei ihm „ins Gewissen geschoben" worden, für
seine gefährdete Herde einzutreten. Der Verein müsse gegründet werden und
müsse sich versammeln, und wenn es hier in des Pastors Studirstube sein sollte!
Die Frau Pastorin schwieg erschrocken, denn wenn der Herr Pastor von seinem
Pastoralen Gewissen zu reden anfing, mußte mau vorsichtig sein.
Die Schwierigkeiten, die die Frau Pastorin geahnt hatte, waren in der That
vorhanden, die Lokalfrage erwies sich als ein fast überwindliches Hindernis, und
mancher andre würde entmutigt die Unternehmung aufgegeben haben. Nicht so
Pastor Schlehmil: er entschied, daß die Versammlungen im Pfarrhause stattfinden
sollten. Er hielt den nächsten Sonntag eine bewegliche Ansprache, die mit der
ebenso herzlichen wie dringlichen Aufforderung schloß, die wohlgesinnten Arbeiter
von Großweizendorf möchten sich heute Abend um sechs Uhr zu einer Besprechung
im Pfarrhause einfinden.
Der Frau Pastorin genügte aber das Studirzimmer nicht. Sie gab ihre
große Stube her, ließ durch Friederiken alle Stühle im Hanse zusammentragen
und setzte den großen Wasserkessel aufs Feuer, um die wohlgesinnten Arbeiter mit
einer Tasse Thee zu stärken. Daß zum Thee auch etwas knuspriges Gebäck ge¬
hörte, war selbstverständlich. Der Herr Pastor hatte einen Vortrag über den
Materialismus und seine Abwehr ausgearbeitet und wartete mit Spannung auf
sein Publikum.
Es schlug sechs Uhr, aber niemand kam; es wurde ein viertel auf Sieben,
die Hansglocke schwieg beharrlich. Der Herr Pastor ging in nervöser Unruhe im
Zimmer auf und ab. Gegen halb sieben Uhr kam ein Trupp Menschen die Straße
herauf. Mau hörte eine Zeit lang vor der Hofthür murmelnde Laute, denn
verlief sichs, und es wurde wieder still. Das erwartete Publikum aber saß wie
gewöhnlich auf der Kirchhofsmauer und baumelte mit den Beinen. Als es sieben
Uhr geworden war, trug Friederike die Stühle wieder fort, und die Frau Pastorin
setzte ihren Kessel vom Feuer. Sie hatte leider keine Gegenliebe für ihren Thee
gefunden, was sie einigermaßen kränkte. Ebenso wenig hatte der Herr Pastor
Liebhaber für seine „Darbietung" gefunden, was ihn noch mehr kränkte.
Ein Gefühl von Bitterkeit stieg in seiner Seele auf, aber er bekämpfte es
und fand sich schnell wieder zurecht. Der erste Hieb war vergeblich gewesen, aber
welcher Baum fällt auf den ersten Hieb? Er fragte sich und andre, woran es
gelegen habe, daß niemand gekommen sei. Da erfuhr er denn, daß man sichs nicht
getraut habe, weil niemand der erste habe sein wollen.
Nun wendete sich der Herr Pastor an wohlgesinnte Gutsbesitzer im Dorfe. Er
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