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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Lrlebtes und Beobachtetes aus Rußland,

in allen nur denkbaren Formen zu Haus, in Neapel und im Orient kann es
nicht schlimmer sein; überall wird man von mehr oder minder widerlichen
Gestalten beider Geschlechter geradezu verfolgt, und die Mehrzahl ist betrunken.

Auffällig ist, wie viel deutsche und französische Namen auf den Firmen¬
schildern stehen; in Petersburg meist in lateinischen und russischen Buchstaben,
in Moskau vielfach uur in russischen. Hier spiegelt sich das Verhältnis von
Ausländern und Russen im Handel äußerlich wieder. Allerdings thut man
gut, auch in Luder, die einen deutschen Namen tragen, seine Wünsche russisch
vorzubringen, denn die Leute mit deutschem Namen verstehen meist kein Deutsch.
Man kann aber die Beobachtung machen, daß fast alle Geschäfte, in denen die
bessere russische Gesellschaft ihre Einkäufe macht, ausländischen Ursprungs sind.
In Moskau kauft man nicht in den Rjadh. den "Reihen," jenem wunderbar
schönen Bazarpalast am Noten Platz, in dessen glasüberdachten dreistöckigen
Hallen nur echt russische Firmen ihre Waren auslegen; man kauft in den
Passagen am Großen Theater, an der Schmiedebrücke, in der Twerskaja: dort
sind die eleganten Läden, wie sie etwa der Geschäftsgegend der Regent Street
in London, der Leipziger Straße in Berlin entsprechen. Und diese Luder sind
fast ausnahmslos deutsch oder französisch, mitunter auch englisch. Der große
Ausfuhrhandel, der Welthandel Rußlands ist in deutschen Händen, der große
Binnenhandel wird von den Russen selbst betrieben; die seinen Detailgeschäfte
aber, namentlich alles was Luxus und Mode betrifft, sind in der Hand von
Ausländern. Daß Buchhändler, Juweliere, Photographen usw. meist Nicht-
russen sind, ist selbstverständlich.

Wunderlich nehmen sich die ausländischen Namen in russischer Form aus.
Der Russe denkt nicht daran, wie etwa wir, dem ausländischen Namen seine
Form zu lassen. Er nimmt den Namen, wie er ausgesprochen wird, und setzt
ihn so in russische Buchstaben. Der Russe hat kein "h," er setzt ohne Be¬
denken dafür ein "g"; er hat kein "ü," er macht daraus "ju" oder "i"; "ö"
wird zu "e" usw. Graf Görtz und Herr Herz werden beide zu Gerz; Lewe
bezeichnet sowohl Herrn Löwe wie Herrn Lever (einen französischen Weinhändler
in Moskau); aus dem ehrlichen deutschen Namen Hübner wird russisch Gjubner.
Namentlich französische Namen nehmen manchmal sehr komische Gestalt an.
Aus Couturier wird Kutjurje, aus Tremblay Tramble, aus Suchard Sjuschar.
Die Liste der fremden Fürstlichkeiten und ihres Gefolges, wie sie in russischen
Zeitungen bei der Krönung abgedruckt wurde, gab zu solchen Verballhornungen
reiche Gelegenheit. Wer erkennt in dem russischen Wort Willjom, wenn ers
geschrieben sieht, den preußischen General Villaume; Herr von Schön fand sich
als Fon-Sehen, Oberst von Palvzieux-Falconnet als Palesje-Faljkone; der
vielgefeierte französische Abgesandte war als Buadefr zu lesen.

Dazu stimmt es, daß auch Fremdwörter mit größtem Gleichmut russifizirt
werden. Der Russe spricht von Kamergeren und von Goffrejlin (Hoffräulein),


Lrlebtes und Beobachtetes aus Rußland,

in allen nur denkbaren Formen zu Haus, in Neapel und im Orient kann es
nicht schlimmer sein; überall wird man von mehr oder minder widerlichen
Gestalten beider Geschlechter geradezu verfolgt, und die Mehrzahl ist betrunken.

Auffällig ist, wie viel deutsche und französische Namen auf den Firmen¬
schildern stehen; in Petersburg meist in lateinischen und russischen Buchstaben,
in Moskau vielfach uur in russischen. Hier spiegelt sich das Verhältnis von
Ausländern und Russen im Handel äußerlich wieder. Allerdings thut man
gut, auch in Luder, die einen deutschen Namen tragen, seine Wünsche russisch
vorzubringen, denn die Leute mit deutschem Namen verstehen meist kein Deutsch.
Man kann aber die Beobachtung machen, daß fast alle Geschäfte, in denen die
bessere russische Gesellschaft ihre Einkäufe macht, ausländischen Ursprungs sind.
In Moskau kauft man nicht in den Rjadh. den „Reihen," jenem wunderbar
schönen Bazarpalast am Noten Platz, in dessen glasüberdachten dreistöckigen
Hallen nur echt russische Firmen ihre Waren auslegen; man kauft in den
Passagen am Großen Theater, an der Schmiedebrücke, in der Twerskaja: dort
sind die eleganten Läden, wie sie etwa der Geschäftsgegend der Regent Street
in London, der Leipziger Straße in Berlin entsprechen. Und diese Luder sind
fast ausnahmslos deutsch oder französisch, mitunter auch englisch. Der große
Ausfuhrhandel, der Welthandel Rußlands ist in deutschen Händen, der große
Binnenhandel wird von den Russen selbst betrieben; die seinen Detailgeschäfte
aber, namentlich alles was Luxus und Mode betrifft, sind in der Hand von
Ausländern. Daß Buchhändler, Juweliere, Photographen usw. meist Nicht-
russen sind, ist selbstverständlich.

Wunderlich nehmen sich die ausländischen Namen in russischer Form aus.
Der Russe denkt nicht daran, wie etwa wir, dem ausländischen Namen seine
Form zu lassen. Er nimmt den Namen, wie er ausgesprochen wird, und setzt
ihn so in russische Buchstaben. Der Russe hat kein „h," er setzt ohne Be¬
denken dafür ein „g"; er hat kein „ü," er macht daraus „ju" oder „i"; „ö"
wird zu „e" usw. Graf Görtz und Herr Herz werden beide zu Gerz; Lewe
bezeichnet sowohl Herrn Löwe wie Herrn Lever (einen französischen Weinhändler
in Moskau); aus dem ehrlichen deutschen Namen Hübner wird russisch Gjubner.
Namentlich französische Namen nehmen manchmal sehr komische Gestalt an.
Aus Couturier wird Kutjurje, aus Tremblay Tramble, aus Suchard Sjuschar.
Die Liste der fremden Fürstlichkeiten und ihres Gefolges, wie sie in russischen
Zeitungen bei der Krönung abgedruckt wurde, gab zu solchen Verballhornungen
reiche Gelegenheit. Wer erkennt in dem russischen Wort Willjom, wenn ers
geschrieben sieht, den preußischen General Villaume; Herr von Schön fand sich
als Fon-Sehen, Oberst von Palvzieux-Falconnet als Palesje-Faljkone; der
vielgefeierte französische Abgesandte war als Buadefr zu lesen.

Dazu stimmt es, daß auch Fremdwörter mit größtem Gleichmut russifizirt
werden. Der Russe spricht von Kamergeren und von Goffrejlin (Hoffräulein),


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[0231] Lrlebtes und Beobachtetes aus Rußland, in allen nur denkbaren Formen zu Haus, in Neapel und im Orient kann es nicht schlimmer sein; überall wird man von mehr oder minder widerlichen Gestalten beider Geschlechter geradezu verfolgt, und die Mehrzahl ist betrunken. Auffällig ist, wie viel deutsche und französische Namen auf den Firmen¬ schildern stehen; in Petersburg meist in lateinischen und russischen Buchstaben, in Moskau vielfach uur in russischen. Hier spiegelt sich das Verhältnis von Ausländern und Russen im Handel äußerlich wieder. Allerdings thut man gut, auch in Luder, die einen deutschen Namen tragen, seine Wünsche russisch vorzubringen, denn die Leute mit deutschem Namen verstehen meist kein Deutsch. Man kann aber die Beobachtung machen, daß fast alle Geschäfte, in denen die bessere russische Gesellschaft ihre Einkäufe macht, ausländischen Ursprungs sind. In Moskau kauft man nicht in den Rjadh. den „Reihen," jenem wunderbar schönen Bazarpalast am Noten Platz, in dessen glasüberdachten dreistöckigen Hallen nur echt russische Firmen ihre Waren auslegen; man kauft in den Passagen am Großen Theater, an der Schmiedebrücke, in der Twerskaja: dort sind die eleganten Läden, wie sie etwa der Geschäftsgegend der Regent Street in London, der Leipziger Straße in Berlin entsprechen. Und diese Luder sind fast ausnahmslos deutsch oder französisch, mitunter auch englisch. Der große Ausfuhrhandel, der Welthandel Rußlands ist in deutschen Händen, der große Binnenhandel wird von den Russen selbst betrieben; die seinen Detailgeschäfte aber, namentlich alles was Luxus und Mode betrifft, sind in der Hand von Ausländern. Daß Buchhändler, Juweliere, Photographen usw. meist Nicht- russen sind, ist selbstverständlich. Wunderlich nehmen sich die ausländischen Namen in russischer Form aus. Der Russe denkt nicht daran, wie etwa wir, dem ausländischen Namen seine Form zu lassen. Er nimmt den Namen, wie er ausgesprochen wird, und setzt ihn so in russische Buchstaben. Der Russe hat kein „h," er setzt ohne Be¬ denken dafür ein „g"; er hat kein „ü," er macht daraus „ju" oder „i"; „ö" wird zu „e" usw. Graf Görtz und Herr Herz werden beide zu Gerz; Lewe bezeichnet sowohl Herrn Löwe wie Herrn Lever (einen französischen Weinhändler in Moskau); aus dem ehrlichen deutschen Namen Hübner wird russisch Gjubner. Namentlich französische Namen nehmen manchmal sehr komische Gestalt an. Aus Couturier wird Kutjurje, aus Tremblay Tramble, aus Suchard Sjuschar. Die Liste der fremden Fürstlichkeiten und ihres Gefolges, wie sie in russischen Zeitungen bei der Krönung abgedruckt wurde, gab zu solchen Verballhornungen reiche Gelegenheit. Wer erkennt in dem russischen Wort Willjom, wenn ers geschrieben sieht, den preußischen General Villaume; Herr von Schön fand sich als Fon-Sehen, Oberst von Palvzieux-Falconnet als Palesje-Faljkone; der vielgefeierte französische Abgesandte war als Buadefr zu lesen. Dazu stimmt es, daß auch Fremdwörter mit größtem Gleichmut russifizirt werden. Der Russe spricht von Kamergeren und von Goffrejlin (Hoffräulein),

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/231>, abgerufen am 06.01.2025.