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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Erlebtes und Beobachtetes aus Rußland

und Tolstoi selbst ist diesen Gebilden seiner Phantasie mittlerweile selbst nach¬
gefolgt und geberdet sich äußerlich als Mushik.

Die dritte Gruppe, die man auf der Straße sieht, ist der gebildete Mensch
in europäischer Kleidung -- sie wiegt in Petersburg vor, in Moskau wird
sie sich mit der nationalen Tracht die Wage halten. Die vierte Gruppe
endlich ist die Uniform. Uniform trägt in Nußland, was nur einigermaßen
nach Korporation aussieht. Der Beamte hat, im Bureau wenigstens stets,
seinen blauen Nock mit goldnen Knöpfen an; der Student muß heute, nachdem
ihm die freie Zivilkleiduug übel bekommen war, wieder die Mütze mit breitem,
blauem Rand und den Überrock mit blauem Kragen tragen, bei festlichen Ge¬
legenheiten ziert den, der sichs leisten kann, ein eleganter Dreimaster, eine
Art Waffenrock mit gestickten Kragen und ein Galanteriedegen. Verschiedne
hohe Schulen, so die juristische Akademie in Petersburg, die nur für Adliche
zugänglich ist, haben ihre besondern Abzeichen. Der Grund dieser Wieder¬
einführung der Uniform für die Musensöhne liegt in den Stndentenunruhcn
der achtziger Jahre; da "Zivil" zu tragen ihnen wie den Offizieren schlechthin
unmöglich ist, sind diese uniformirten Studenten, wo sie sich nur öffentlich
zeige", einer steten Kontrolle unterworfen. Der Gymnasiast trägt dunkelblauen
Rock mit Silber, der Realschüler schwarzen Nock mit Gold; als Schulanzug
haben sie eine bequeme graue Joppe. Die Ingenieure, selbst die Zivilingenieure,
tragen eine Art Uniform, auch auf dem Mantel eine Art Achselstücke, der
Vergbanbeflisscne, der Lehrer -- sie alle sind durch ihre mehr oder weniger
militärisch zugestutzte Kleidung sofort in ihrem Stande erkenntlich. Und dazu
kommt nun das Militär selbst. In Petersburg sieht man eine unglaubliche
Meuge Soldaten und Offiziere, und sie machen auf der Straße einen vortreff¬
lichen Eindruck, in Moskau treten sie nicht so hervor. Der Unterschied zwischen
Garde und Linie ist scharf ausgeprägt. Freilich findet man auch unter den
Offizieren der Garde, namentlich bei der Gardeinfanterie, manche, die sich für
ein militärisch geschultes deutsches Auge etwas wunderlich ausnehmen, sehr
viele tragen Vollbärte, aber wenig gepflegt, auch Brillei;, und es ist ein ko¬
mischer Anblick, einen Leutnant von den Kosaken, die doch auch heute noch
den Anschein einer naturwüchsigen Völkerschaft, uicht eiues beliebigen Kavallerie¬
regiments erwecken, so durchs Gelehrtenglas in die Welt blicken zu sehen.
Aber trotz dieses nicht immer ganz "militärischen" Aussehens, auch trotz der
oft sehr laugen Haare haben die Herren von der Garde in ihrer ganzen Hal¬
tung und in ihrem ganzen Auftreten etwas schneidiges und elegantes; der
Offizier in der Provinz hält sich nachlässiger, hält nicht soviel auf propres
Aussehen der Uniform, kurz, er macht keinen so guten Eindruck. Das gilt
natürlich anch vom gemeinen Soldaten. Die Uniform gleicht am meisten der
des deutschen Heeres. Das hat seine geschichtliche Begründung. Unter
Alexander III. hat man freilich ans diese Ähnlichkeit, so weit es ging, ver-


Erlebtes und Beobachtetes aus Rußland

und Tolstoi selbst ist diesen Gebilden seiner Phantasie mittlerweile selbst nach¬
gefolgt und geberdet sich äußerlich als Mushik.

Die dritte Gruppe, die man auf der Straße sieht, ist der gebildete Mensch
in europäischer Kleidung — sie wiegt in Petersburg vor, in Moskau wird
sie sich mit der nationalen Tracht die Wage halten. Die vierte Gruppe
endlich ist die Uniform. Uniform trägt in Nußland, was nur einigermaßen
nach Korporation aussieht. Der Beamte hat, im Bureau wenigstens stets,
seinen blauen Nock mit goldnen Knöpfen an; der Student muß heute, nachdem
ihm die freie Zivilkleiduug übel bekommen war, wieder die Mütze mit breitem,
blauem Rand und den Überrock mit blauem Kragen tragen, bei festlichen Ge¬
legenheiten ziert den, der sichs leisten kann, ein eleganter Dreimaster, eine
Art Waffenrock mit gestickten Kragen und ein Galanteriedegen. Verschiedne
hohe Schulen, so die juristische Akademie in Petersburg, die nur für Adliche
zugänglich ist, haben ihre besondern Abzeichen. Der Grund dieser Wieder¬
einführung der Uniform für die Musensöhne liegt in den Stndentenunruhcn
der achtziger Jahre; da „Zivil" zu tragen ihnen wie den Offizieren schlechthin
unmöglich ist, sind diese uniformirten Studenten, wo sie sich nur öffentlich
zeige», einer steten Kontrolle unterworfen. Der Gymnasiast trägt dunkelblauen
Rock mit Silber, der Realschüler schwarzen Nock mit Gold; als Schulanzug
haben sie eine bequeme graue Joppe. Die Ingenieure, selbst die Zivilingenieure,
tragen eine Art Uniform, auch auf dem Mantel eine Art Achselstücke, der
Vergbanbeflisscne, der Lehrer — sie alle sind durch ihre mehr oder weniger
militärisch zugestutzte Kleidung sofort in ihrem Stande erkenntlich. Und dazu
kommt nun das Militär selbst. In Petersburg sieht man eine unglaubliche
Meuge Soldaten und Offiziere, und sie machen auf der Straße einen vortreff¬
lichen Eindruck, in Moskau treten sie nicht so hervor. Der Unterschied zwischen
Garde und Linie ist scharf ausgeprägt. Freilich findet man auch unter den
Offizieren der Garde, namentlich bei der Gardeinfanterie, manche, die sich für
ein militärisch geschultes deutsches Auge etwas wunderlich ausnehmen, sehr
viele tragen Vollbärte, aber wenig gepflegt, auch Brillei;, und es ist ein ko¬
mischer Anblick, einen Leutnant von den Kosaken, die doch auch heute noch
den Anschein einer naturwüchsigen Völkerschaft, uicht eiues beliebigen Kavallerie¬
regiments erwecken, so durchs Gelehrtenglas in die Welt blicken zu sehen.
Aber trotz dieses nicht immer ganz „militärischen" Aussehens, auch trotz der
oft sehr laugen Haare haben die Herren von der Garde in ihrer ganzen Hal¬
tung und in ihrem ganzen Auftreten etwas schneidiges und elegantes; der
Offizier in der Provinz hält sich nachlässiger, hält nicht soviel auf propres
Aussehen der Uniform, kurz, er macht keinen so guten Eindruck. Das gilt
natürlich anch vom gemeinen Soldaten. Die Uniform gleicht am meisten der
des deutschen Heeres. Das hat seine geschichtliche Begründung. Unter
Alexander III. hat man freilich ans diese Ähnlichkeit, so weit es ging, ver-


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[0229] Erlebtes und Beobachtetes aus Rußland und Tolstoi selbst ist diesen Gebilden seiner Phantasie mittlerweile selbst nach¬ gefolgt und geberdet sich äußerlich als Mushik. Die dritte Gruppe, die man auf der Straße sieht, ist der gebildete Mensch in europäischer Kleidung — sie wiegt in Petersburg vor, in Moskau wird sie sich mit der nationalen Tracht die Wage halten. Die vierte Gruppe endlich ist die Uniform. Uniform trägt in Nußland, was nur einigermaßen nach Korporation aussieht. Der Beamte hat, im Bureau wenigstens stets, seinen blauen Nock mit goldnen Knöpfen an; der Student muß heute, nachdem ihm die freie Zivilkleiduug übel bekommen war, wieder die Mütze mit breitem, blauem Rand und den Überrock mit blauem Kragen tragen, bei festlichen Ge¬ legenheiten ziert den, der sichs leisten kann, ein eleganter Dreimaster, eine Art Waffenrock mit gestickten Kragen und ein Galanteriedegen. Verschiedne hohe Schulen, so die juristische Akademie in Petersburg, die nur für Adliche zugänglich ist, haben ihre besondern Abzeichen. Der Grund dieser Wieder¬ einführung der Uniform für die Musensöhne liegt in den Stndentenunruhcn der achtziger Jahre; da „Zivil" zu tragen ihnen wie den Offizieren schlechthin unmöglich ist, sind diese uniformirten Studenten, wo sie sich nur öffentlich zeige», einer steten Kontrolle unterworfen. Der Gymnasiast trägt dunkelblauen Rock mit Silber, der Realschüler schwarzen Nock mit Gold; als Schulanzug haben sie eine bequeme graue Joppe. Die Ingenieure, selbst die Zivilingenieure, tragen eine Art Uniform, auch auf dem Mantel eine Art Achselstücke, der Vergbanbeflisscne, der Lehrer — sie alle sind durch ihre mehr oder weniger militärisch zugestutzte Kleidung sofort in ihrem Stande erkenntlich. Und dazu kommt nun das Militär selbst. In Petersburg sieht man eine unglaubliche Meuge Soldaten und Offiziere, und sie machen auf der Straße einen vortreff¬ lichen Eindruck, in Moskau treten sie nicht so hervor. Der Unterschied zwischen Garde und Linie ist scharf ausgeprägt. Freilich findet man auch unter den Offizieren der Garde, namentlich bei der Gardeinfanterie, manche, die sich für ein militärisch geschultes deutsches Auge etwas wunderlich ausnehmen, sehr viele tragen Vollbärte, aber wenig gepflegt, auch Brillei;, und es ist ein ko¬ mischer Anblick, einen Leutnant von den Kosaken, die doch auch heute noch den Anschein einer naturwüchsigen Völkerschaft, uicht eiues beliebigen Kavallerie¬ regiments erwecken, so durchs Gelehrtenglas in die Welt blicken zu sehen. Aber trotz dieses nicht immer ganz „militärischen" Aussehens, auch trotz der oft sehr laugen Haare haben die Herren von der Garde in ihrer ganzen Hal¬ tung und in ihrem ganzen Auftreten etwas schneidiges und elegantes; der Offizier in der Provinz hält sich nachlässiger, hält nicht soviel auf propres Aussehen der Uniform, kurz, er macht keinen so guten Eindruck. Das gilt natürlich anch vom gemeinen Soldaten. Die Uniform gleicht am meisten der des deutschen Heeres. Das hat seine geschichtliche Begründung. Unter Alexander III. hat man freilich ans diese Ähnlichkeit, so weit es ging, ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/229>, abgerufen am 06.01.2025.