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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Die deutsche Auswanderung nach Brasilien

und hört das Gras wachsen, aber bei gerechter Beurteilung wird man der
vielseitigen Befähigung dieses nach Treitschke "begabtesten und leidenschaftlichsten
der süddeutschen Stämme" und im besondern seiner Anpassungsfähigkeit, die
ihn ganz besonders zum Kolonisten befähigen, seine Achtung nicht versagen
können. Gerade in den Ländern, mit deren wirtschaftlicher Erschließung kaum
der Anfang gemacht ist, kommt es vor allem darauf an, daß man alle vor-
handnen Möglichkeiten probirt; neben dem mit gewohntem deutschem Fleiß
nach der Schablone arbeitenden Kolonisten bedarf es vor allem auch der
Pioniere, die zu der Eröffnung neuer Hilfsquellen Beruf und Fähigkeit haben.
Wie wenig ist aber bisher in Südbrasilien für den Weinbau geschehen! Erst
in neuester Zeit ist es in Rio Grande gelungen, mit den französischen Weinen
-- Frankreich zieht riesige Summen aus Brasilien durch die mannichfaltigsten
Artikel von seinen unzähligen Galanterie- und Luxuswaren an bis zu seinen
viel begehrten Litteraturerzeugnissen -- mit dem einheimischen Gewächs einiger¬
maßen erfolgreich in Wettbewerb zu treten. Und doch ist die Gefahr des Er¬
frierens der Neben völlig ausgeschlossen, und der Weinstock wirft einen reichern
Ertrag ab als bei uns und bedarf uach den ersten Jahren kaum einer Pflege
mehr. Einen Beweis dafür, welche Möglichkeiten auf landwirtschaftlichen Gebiete
noch offen stehen, bietet auch der Umstand, daß man den Hopfen für das viele
Bier, das drüben gebraut wird, immer noch aus Deutschland bezieht. So
gern wir unsrer einheimischen Landwirtschaft und unserm Großhandel diesen
Verdienst gönnen, so wahrscheinlich ist es doch, daß sich mit der Zeit tüchtige
Landwirte auch dieser Kultur bemächtigen werden; der Ausfall, den unsre
heimische Produktion dadurch erleiden wird, wird dann schon wieder durch deu
Bedarf von Bierbrauereiartikeln und ähnlichem ausgeglichen werden.

Ganz besonders für die Heranziehung des süddeutschen Kleinbauern spricht
auch der jetzige Stand der ländlichen Arbeiterfrage in Preußen, namentlich der
ostelbischen Gebiete. Sollten die Agenten der beiden konzessionirten deutschen
Dampfschiffahrtsgesellschaften eine lebhafte Agitation unter der Landbevölkerung
dieser Landesteile versuchen wollen, so könnte das leicht eine scharfe Abwehr
von Seiten unsrer Agrarier im Reichstag oder preußischen Landtag hervor¬
rufen. Dabei würde sich der süddeutsche Kleinbauer öfter als der Tagelöhner
des Nordens nicht mit ganz leeren Händen nach dem Auswanderungshafen
begeben. Freilich daran, daß sich wohlhabende Bauern aus Württemberg zur
Auswandrnng entschließen könnten, wird vorläufig nur selten zu denken sein;
je günstiger sich aber die Verhältnisse drüben gestalten, um so öfter werden
auch reiche Landwirte, des fruchtlosen Ringens mit überlegnen Mächten müde,
ihr Glück drüben versuchen.

Aber nicht nur der deutsche Bauer, sondern auch der kleine Handwerker
wird mehr als bisher der Auswandrnng zuzuführen sein. Vor allem sind die
Schmiede und Stellmacher im Urwalde gesuchte Leute. In der Regel werden


Die deutsche Auswanderung nach Brasilien

und hört das Gras wachsen, aber bei gerechter Beurteilung wird man der
vielseitigen Befähigung dieses nach Treitschke „begabtesten und leidenschaftlichsten
der süddeutschen Stämme" und im besondern seiner Anpassungsfähigkeit, die
ihn ganz besonders zum Kolonisten befähigen, seine Achtung nicht versagen
können. Gerade in den Ländern, mit deren wirtschaftlicher Erschließung kaum
der Anfang gemacht ist, kommt es vor allem darauf an, daß man alle vor-
handnen Möglichkeiten probirt; neben dem mit gewohntem deutschem Fleiß
nach der Schablone arbeitenden Kolonisten bedarf es vor allem auch der
Pioniere, die zu der Eröffnung neuer Hilfsquellen Beruf und Fähigkeit haben.
Wie wenig ist aber bisher in Südbrasilien für den Weinbau geschehen! Erst
in neuester Zeit ist es in Rio Grande gelungen, mit den französischen Weinen
— Frankreich zieht riesige Summen aus Brasilien durch die mannichfaltigsten
Artikel von seinen unzähligen Galanterie- und Luxuswaren an bis zu seinen
viel begehrten Litteraturerzeugnissen — mit dem einheimischen Gewächs einiger¬
maßen erfolgreich in Wettbewerb zu treten. Und doch ist die Gefahr des Er¬
frierens der Neben völlig ausgeschlossen, und der Weinstock wirft einen reichern
Ertrag ab als bei uns und bedarf uach den ersten Jahren kaum einer Pflege
mehr. Einen Beweis dafür, welche Möglichkeiten auf landwirtschaftlichen Gebiete
noch offen stehen, bietet auch der Umstand, daß man den Hopfen für das viele
Bier, das drüben gebraut wird, immer noch aus Deutschland bezieht. So
gern wir unsrer einheimischen Landwirtschaft und unserm Großhandel diesen
Verdienst gönnen, so wahrscheinlich ist es doch, daß sich mit der Zeit tüchtige
Landwirte auch dieser Kultur bemächtigen werden; der Ausfall, den unsre
heimische Produktion dadurch erleiden wird, wird dann schon wieder durch deu
Bedarf von Bierbrauereiartikeln und ähnlichem ausgeglichen werden.

Ganz besonders für die Heranziehung des süddeutschen Kleinbauern spricht
auch der jetzige Stand der ländlichen Arbeiterfrage in Preußen, namentlich der
ostelbischen Gebiete. Sollten die Agenten der beiden konzessionirten deutschen
Dampfschiffahrtsgesellschaften eine lebhafte Agitation unter der Landbevölkerung
dieser Landesteile versuchen wollen, so könnte das leicht eine scharfe Abwehr
von Seiten unsrer Agrarier im Reichstag oder preußischen Landtag hervor¬
rufen. Dabei würde sich der süddeutsche Kleinbauer öfter als der Tagelöhner
des Nordens nicht mit ganz leeren Händen nach dem Auswanderungshafen
begeben. Freilich daran, daß sich wohlhabende Bauern aus Württemberg zur
Auswandrnng entschließen könnten, wird vorläufig nur selten zu denken sein;
je günstiger sich aber die Verhältnisse drüben gestalten, um so öfter werden
auch reiche Landwirte, des fruchtlosen Ringens mit überlegnen Mächten müde,
ihr Glück drüben versuchen.

Aber nicht nur der deutsche Bauer, sondern auch der kleine Handwerker
wird mehr als bisher der Auswandrnng zuzuführen sein. Vor allem sind die
Schmiede und Stellmacher im Urwalde gesuchte Leute. In der Regel werden


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[0215] Die deutsche Auswanderung nach Brasilien und hört das Gras wachsen, aber bei gerechter Beurteilung wird man der vielseitigen Befähigung dieses nach Treitschke „begabtesten und leidenschaftlichsten der süddeutschen Stämme" und im besondern seiner Anpassungsfähigkeit, die ihn ganz besonders zum Kolonisten befähigen, seine Achtung nicht versagen können. Gerade in den Ländern, mit deren wirtschaftlicher Erschließung kaum der Anfang gemacht ist, kommt es vor allem darauf an, daß man alle vor- handnen Möglichkeiten probirt; neben dem mit gewohntem deutschem Fleiß nach der Schablone arbeitenden Kolonisten bedarf es vor allem auch der Pioniere, die zu der Eröffnung neuer Hilfsquellen Beruf und Fähigkeit haben. Wie wenig ist aber bisher in Südbrasilien für den Weinbau geschehen! Erst in neuester Zeit ist es in Rio Grande gelungen, mit den französischen Weinen — Frankreich zieht riesige Summen aus Brasilien durch die mannichfaltigsten Artikel von seinen unzähligen Galanterie- und Luxuswaren an bis zu seinen viel begehrten Litteraturerzeugnissen — mit dem einheimischen Gewächs einiger¬ maßen erfolgreich in Wettbewerb zu treten. Und doch ist die Gefahr des Er¬ frierens der Neben völlig ausgeschlossen, und der Weinstock wirft einen reichern Ertrag ab als bei uns und bedarf uach den ersten Jahren kaum einer Pflege mehr. Einen Beweis dafür, welche Möglichkeiten auf landwirtschaftlichen Gebiete noch offen stehen, bietet auch der Umstand, daß man den Hopfen für das viele Bier, das drüben gebraut wird, immer noch aus Deutschland bezieht. So gern wir unsrer einheimischen Landwirtschaft und unserm Großhandel diesen Verdienst gönnen, so wahrscheinlich ist es doch, daß sich mit der Zeit tüchtige Landwirte auch dieser Kultur bemächtigen werden; der Ausfall, den unsre heimische Produktion dadurch erleiden wird, wird dann schon wieder durch deu Bedarf von Bierbrauereiartikeln und ähnlichem ausgeglichen werden. Ganz besonders für die Heranziehung des süddeutschen Kleinbauern spricht auch der jetzige Stand der ländlichen Arbeiterfrage in Preußen, namentlich der ostelbischen Gebiete. Sollten die Agenten der beiden konzessionirten deutschen Dampfschiffahrtsgesellschaften eine lebhafte Agitation unter der Landbevölkerung dieser Landesteile versuchen wollen, so könnte das leicht eine scharfe Abwehr von Seiten unsrer Agrarier im Reichstag oder preußischen Landtag hervor¬ rufen. Dabei würde sich der süddeutsche Kleinbauer öfter als der Tagelöhner des Nordens nicht mit ganz leeren Händen nach dem Auswanderungshafen begeben. Freilich daran, daß sich wohlhabende Bauern aus Württemberg zur Auswandrnng entschließen könnten, wird vorläufig nur selten zu denken sein; je günstiger sich aber die Verhältnisse drüben gestalten, um so öfter werden auch reiche Landwirte, des fruchtlosen Ringens mit überlegnen Mächten müde, ihr Glück drüben versuchen. Aber nicht nur der deutsche Bauer, sondern auch der kleine Handwerker wird mehr als bisher der Auswandrnng zuzuführen sein. Vor allem sind die Schmiede und Stellmacher im Urwalde gesuchte Leute. In der Regel werden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/215>, abgerufen am 08.01.2025.