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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Die deutsche Auswanderung nach Brasilien

schwebenden Schätzung eines dort lebenden Deutschen (in einer Zuschrift an
die in Sav Paulo erscheinende "Germania") statt der etwa 250000 Ein¬
wohner, die es zur Zeit hat, bequem fünfzehn Millionen aufnehmen könnte.

Nehmen wir nun an, daß die brasilische Regierung die Absicht hätte,
in große Bezirke von Parana und Santa Catharina einen Strom von Aus¬
wandrern zu lenken, daß ferner nach dem bisherigen Verfahren ein Agent mit
der Beschaffung von Auswandrern betraut würde und das Recht erhielte, in
ganz Deutschland für seine Zwecke zu rekrntiren, so giebt es bei den herrschenden
Verhältnissen keineswegs Bürgschaften dafür, daß sich für den deutschen Kolo¬
nisten nicht vielfach dieselben traurigen Erfahrungen wiederholen, die schon
einmal der Auswandruug nach Südbrasilien den Lebensnerv unterbunden
haben. Es wäre daher wohl zu wünschen, daß sich weitere deutsche An-
siedlungsgesellschasten bildeten, um die Kolonisation in die Hand zu nehmen,
Gesellschaften, denen drüben deutsche Vereinigungen in den Städten, die dem
"devoluteu" (für die Vermessung und Besiedlung bestimmten) Land am nächsten
liegen, in die Hände zu arbeiten hätten. Sodann wäre nach einer Reform
der Konsularvertretung zu streben, wonach die Geschäfte mehr als bisher
Berufskonsuln übertragen würden, die sich in ganz andrer Weise, als es bisher
geschah, den Interessen der deutschen Kolonisation zu widmen hätten. Mußte
man doch bisher immer die Klage hören, daß sich die Italiener vielfach eines
bessern Schutzes bei ihren Konsulaten zu erfreuen hätten als die Deutschen.
Daß freilich in dieser Hinsicht der Bogen auch zu straff gespannt werden
kann, lehrt uns die Entstehung des neuesten, vom deutschen Standpunkt aus
nicht unerfreulichen brasilisch-italienischen Konflikts. Berufskonsuln Hütten vor
allem auch bei den Kolonisationsunternehmungen, die von staatlicher Seite
ohne das Zwischenglied einer zuverlässigen deutscheu Gesellschaft eingeleitet
werden, darauf zu achten, daß die neuen Ankömmlinge aus dem deutschen
Vaterlande nicht in Verhältnisse verpflanzt werden, in denen sie es bei dem
redlichsten Bemühen und bei der angestrengtesten Arbeit zu nichts bringen können,
namentlich dem oft gerügten Mißstand entgegenzutreten, daß bei der Ankunft
der Kolonisten noch gar keine Anstalten zum Vermessen des Landes getroffen
waren, sodaß diese zuweilen, des langen Wartens müde, sich verzogen oder
auf elende Weise zu Grunde gingen.

Vou ganz besondrer Wichtigkeit ist es aber, daß mit allen Mitteln darauf
hingewirkt wird, nur Leute, die sich wirklich für die drüben bestehenden Ver¬
hältnisse eignen, der Auswandruug zuzuführen. Mit Recht tritt die "Germania"
im Interesse von Deutschlands Ausehen und Einfluß im Ausland wie in dem
der. drüben ansässigen deutschen Kolonisten, die sich durch zähen Fleiß und Aus¬
dauer ihre jetzige geachtete Stellung geschaffen haben, dafür ein, daß nicht
planlos eine Masseneinwanderung in Szene gesetzt werde, sondern daß nur
Leute, die durch ihren Beruf und ihre Berufsthätigkeit im Hinblick auf die


Die deutsche Auswanderung nach Brasilien

schwebenden Schätzung eines dort lebenden Deutschen (in einer Zuschrift an
die in Sav Paulo erscheinende „Germania") statt der etwa 250000 Ein¬
wohner, die es zur Zeit hat, bequem fünfzehn Millionen aufnehmen könnte.

Nehmen wir nun an, daß die brasilische Regierung die Absicht hätte,
in große Bezirke von Parana und Santa Catharina einen Strom von Aus¬
wandrern zu lenken, daß ferner nach dem bisherigen Verfahren ein Agent mit
der Beschaffung von Auswandrern betraut würde und das Recht erhielte, in
ganz Deutschland für seine Zwecke zu rekrntiren, so giebt es bei den herrschenden
Verhältnissen keineswegs Bürgschaften dafür, daß sich für den deutschen Kolo¬
nisten nicht vielfach dieselben traurigen Erfahrungen wiederholen, die schon
einmal der Auswandruug nach Südbrasilien den Lebensnerv unterbunden
haben. Es wäre daher wohl zu wünschen, daß sich weitere deutsche An-
siedlungsgesellschasten bildeten, um die Kolonisation in die Hand zu nehmen,
Gesellschaften, denen drüben deutsche Vereinigungen in den Städten, die dem
„devoluteu" (für die Vermessung und Besiedlung bestimmten) Land am nächsten
liegen, in die Hände zu arbeiten hätten. Sodann wäre nach einer Reform
der Konsularvertretung zu streben, wonach die Geschäfte mehr als bisher
Berufskonsuln übertragen würden, die sich in ganz andrer Weise, als es bisher
geschah, den Interessen der deutschen Kolonisation zu widmen hätten. Mußte
man doch bisher immer die Klage hören, daß sich die Italiener vielfach eines
bessern Schutzes bei ihren Konsulaten zu erfreuen hätten als die Deutschen.
Daß freilich in dieser Hinsicht der Bogen auch zu straff gespannt werden
kann, lehrt uns die Entstehung des neuesten, vom deutschen Standpunkt aus
nicht unerfreulichen brasilisch-italienischen Konflikts. Berufskonsuln Hütten vor
allem auch bei den Kolonisationsunternehmungen, die von staatlicher Seite
ohne das Zwischenglied einer zuverlässigen deutscheu Gesellschaft eingeleitet
werden, darauf zu achten, daß die neuen Ankömmlinge aus dem deutschen
Vaterlande nicht in Verhältnisse verpflanzt werden, in denen sie es bei dem
redlichsten Bemühen und bei der angestrengtesten Arbeit zu nichts bringen können,
namentlich dem oft gerügten Mißstand entgegenzutreten, daß bei der Ankunft
der Kolonisten noch gar keine Anstalten zum Vermessen des Landes getroffen
waren, sodaß diese zuweilen, des langen Wartens müde, sich verzogen oder
auf elende Weise zu Grunde gingen.

Vou ganz besondrer Wichtigkeit ist es aber, daß mit allen Mitteln darauf
hingewirkt wird, nur Leute, die sich wirklich für die drüben bestehenden Ver¬
hältnisse eignen, der Auswandruug zuzuführen. Mit Recht tritt die „Germania"
im Interesse von Deutschlands Ausehen und Einfluß im Ausland wie in dem
der. drüben ansässigen deutschen Kolonisten, die sich durch zähen Fleiß und Aus¬
dauer ihre jetzige geachtete Stellung geschaffen haben, dafür ein, daß nicht
planlos eine Masseneinwanderung in Szene gesetzt werde, sondern daß nur
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/212>, abgerufen am 08.01.2025.