Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches geordneten Rechtsstaate, in einer gesitteten und gebildeten Gesellschaft möglich, und Von dem litterarischen Aufsichtsrat, deu der findige Direktor lediglich zu höhern Maßgebliches und Unmaßgebliches geordneten Rechtsstaate, in einer gesitteten und gebildeten Gesellschaft möglich, und Von dem litterarischen Aufsichtsrat, deu der findige Direktor lediglich zu höhern <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0206" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223790"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_609" prev="#ID_608"> geordneten Rechtsstaate, in einer gesitteten und gebildeten Gesellschaft möglich, und<lb/> wo bleibt der Staatsanwalt? Weder der Baumeister Sehring, der übrigens durch den<lb/> Bau seiue unstreitig außergewöhnliche Begabung bewiesen hat, noch der zunächst Be¬<lb/> teiligte und zum künftigen Direktor ausersehene Herr Paul Blumenreich hatte das, was<lb/> nach Montecuenli auch zum Kriegführeu am notwendigsten ist: Geld. Nicht nur das,<lb/> auch alle Möglichkeiten, das Theateruuternehmen materiell zu fundiren, waren, wie<lb/> Blumenreich offen erklärt, erschöpft — alle Bankdirektoren Deutschlands — auch<lb/> die dümmsten! — waren vergeblich angegangen, und alle „Tiergartenprotzen/' bei<lb/> denen Sehring verkehrte, hatten denkend abgelehnt. Aber der Ban war eine<lb/> zwingende Notwendigkeit für Sehring; er hatte, sagt Blumenreich, nicht nur<lb/> keinerlei Vermögen, sondern Schulden, „seine" Häuser waren unvernünftig mit<lb/> Hypotheken belastet, seine Mieter zum Teil uur „Attrapen"; sie bezahlten entweder<lb/> sehr geringe, die Zinsen nicht annähernd deckende, oder — uoch kürzer — gar<lb/> keine Mieter. Aufträge hatte der vielgenannte und vielgerühmte Meister auch uicht,<lb/> wenigstens keinen, der der Rede wert war. „Und doch wurde ein gastliches Haus ge¬<lb/> führt und ein Leben, daß der sozialen Stufe entsprach, auf der er stand. Noch<lb/> vor kurzem hatte in seinen: entzückend schönen Heim ein Souper mit Ball statt¬<lb/> gefunden, das mehr als tausend Mark gekostet hatte. Aber das war nur geschehen,<lb/> um einen der Gäste, einen Generalkonsul und Direktor einer großen Bank, für das<lb/> Theater »heranzukriegen« — vergeblich, wie Sehring später wütend erzählte."<lb/> Das Theater „mußte" aber, um des ruhmdürstigen und auftrngebedürftigen Sehring,<lb/> um des ehrgeizigen, sich schon längst nach einem Direktivnsposten sehnenden<lb/> Blumenreich willen gebaut werden; Geld war keins da, aber was Schädels? Eine<lb/> ganze Anzahl von Bauuuteruehmeru hat, wie die Praxis zeigt, kein Geld; „wenn<lb/> aus dem zu schaffenden Unternehmen eine anständige »Nentablitn't« zu erhoffen<lb/> ist, dann ist anch Geld zu haben." Diese Erfahrung machten, obgleich auf großen<lb/> Umwegen, auch Sehriug und Blumenreich. Zunächst gelang es dem vermögeulosen<lb/> Baumeister, das Grundstück im Werte von 800 000 Mark ohne Anzahlung zu<lb/> kaufen; es kostete ihn viel Mühe, die fünftausend Mark aufzubringen, die für<lb/> Stempel uno Kosten bar zu bezahlen waren. „Es ist ja wahr, schreibt Blumenreich<lb/> in seiner Schrift, es war ein Kunststück, was bereits geleistet worden; zuvörderst<lb/> hatte ich etwas Geld angeschafft, damit die Ausschachtuugsarbeiteu beginnen konnten.<lb/> Komisch genug machte sichs ja, ans dem Riesenterrain ganze sieben oder acht Mann<lb/> »buddeln« zu sehen; aber diese sieben oder acht Mann wollten doch am Sonn¬<lb/> abend ihre nahezu — zweihundert Mark haben, und fiir mehr hätte es nicht<lb/> gereicht!" Sehr drollig ging auch der Kauf der ersten Steine vor sich. Steine<lb/> sind nämlich ein sogenannter Kassaartikel — mau giebt sie im allgemeinen nur<lb/> gegen Barzahlung ab. Und es mußte doch endlich mit der Fundameutiruug be¬<lb/> gonnen werden. Da zogen sie denn beide hinaus nach dem Salzufer, wo gerade<lb/> einige Kahuladungen Steine lagen. Es verstand zwar keiner etwas davon, aber<lb/> sie thaten sehr wichtig, fanden den „Brand" des Steines leidlich, stellten anch die<lb/> Größe genau fest und kauften noch an demselben Abend die Steine, die sie dank der<lb/> Blumenreichschen Überredungskunst mit einem von ihm acceptirten Wechsel bezahlten.</p><lb/> <p xml:id="ID_610" next="#ID_611"> Von dem litterarischen Aufsichtsrat, deu der findige Direktor lediglich zu höhern<lb/> Reklamezwecken angeblich einsetzen wollte, und dem sehr bedeutende nennen der<lb/> heutigen Litteratnrwclt angehören, Wollen wir um der uicht sehr glänzenden Rolle<lb/> willen, die diese Herren dabei spielen, an dieser Stelle schweigen. Deu Betroffnen<lb/> wird das Bewußtsein, auf den dicken Leim des Herrn Blumenreich gegangen<lb/> zu sein, Strafe genug bilden. Als Kuriosum erwähnen wir nur, daß Gerhard</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0206]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
geordneten Rechtsstaate, in einer gesitteten und gebildeten Gesellschaft möglich, und
wo bleibt der Staatsanwalt? Weder der Baumeister Sehring, der übrigens durch den
Bau seiue unstreitig außergewöhnliche Begabung bewiesen hat, noch der zunächst Be¬
teiligte und zum künftigen Direktor ausersehene Herr Paul Blumenreich hatte das, was
nach Montecuenli auch zum Kriegführeu am notwendigsten ist: Geld. Nicht nur das,
auch alle Möglichkeiten, das Theateruuternehmen materiell zu fundiren, waren, wie
Blumenreich offen erklärt, erschöpft — alle Bankdirektoren Deutschlands — auch
die dümmsten! — waren vergeblich angegangen, und alle „Tiergartenprotzen/' bei
denen Sehring verkehrte, hatten denkend abgelehnt. Aber der Ban war eine
zwingende Notwendigkeit für Sehring; er hatte, sagt Blumenreich, nicht nur
keinerlei Vermögen, sondern Schulden, „seine" Häuser waren unvernünftig mit
Hypotheken belastet, seine Mieter zum Teil uur „Attrapen"; sie bezahlten entweder
sehr geringe, die Zinsen nicht annähernd deckende, oder — uoch kürzer — gar
keine Mieter. Aufträge hatte der vielgenannte und vielgerühmte Meister auch uicht,
wenigstens keinen, der der Rede wert war. „Und doch wurde ein gastliches Haus ge¬
führt und ein Leben, daß der sozialen Stufe entsprach, auf der er stand. Noch
vor kurzem hatte in seinen: entzückend schönen Heim ein Souper mit Ball statt¬
gefunden, das mehr als tausend Mark gekostet hatte. Aber das war nur geschehen,
um einen der Gäste, einen Generalkonsul und Direktor einer großen Bank, für das
Theater »heranzukriegen« — vergeblich, wie Sehring später wütend erzählte."
Das Theater „mußte" aber, um des ruhmdürstigen und auftrngebedürftigen Sehring,
um des ehrgeizigen, sich schon längst nach einem Direktivnsposten sehnenden
Blumenreich willen gebaut werden; Geld war keins da, aber was Schädels? Eine
ganze Anzahl von Bauuuteruehmeru hat, wie die Praxis zeigt, kein Geld; „wenn
aus dem zu schaffenden Unternehmen eine anständige »Nentablitn't« zu erhoffen
ist, dann ist anch Geld zu haben." Diese Erfahrung machten, obgleich auf großen
Umwegen, auch Sehriug und Blumenreich. Zunächst gelang es dem vermögeulosen
Baumeister, das Grundstück im Werte von 800 000 Mark ohne Anzahlung zu
kaufen; es kostete ihn viel Mühe, die fünftausend Mark aufzubringen, die für
Stempel uno Kosten bar zu bezahlen waren. „Es ist ja wahr, schreibt Blumenreich
in seiner Schrift, es war ein Kunststück, was bereits geleistet worden; zuvörderst
hatte ich etwas Geld angeschafft, damit die Ausschachtuugsarbeiteu beginnen konnten.
Komisch genug machte sichs ja, ans dem Riesenterrain ganze sieben oder acht Mann
»buddeln« zu sehen; aber diese sieben oder acht Mann wollten doch am Sonn¬
abend ihre nahezu — zweihundert Mark haben, und fiir mehr hätte es nicht
gereicht!" Sehr drollig ging auch der Kauf der ersten Steine vor sich. Steine
sind nämlich ein sogenannter Kassaartikel — mau giebt sie im allgemeinen nur
gegen Barzahlung ab. Und es mußte doch endlich mit der Fundameutiruug be¬
gonnen werden. Da zogen sie denn beide hinaus nach dem Salzufer, wo gerade
einige Kahuladungen Steine lagen. Es verstand zwar keiner etwas davon, aber
sie thaten sehr wichtig, fanden den „Brand" des Steines leidlich, stellten anch die
Größe genau fest und kauften noch an demselben Abend die Steine, die sie dank der
Blumenreichschen Überredungskunst mit einem von ihm acceptirten Wechsel bezahlten.
Von dem litterarischen Aufsichtsrat, deu der findige Direktor lediglich zu höhern
Reklamezwecken angeblich einsetzen wollte, und dem sehr bedeutende nennen der
heutigen Litteratnrwclt angehören, Wollen wir um der uicht sehr glänzenden Rolle
willen, die diese Herren dabei spielen, an dieser Stelle schweigen. Deu Betroffnen
wird das Bewußtsein, auf den dicken Leim des Herrn Blumenreich gegangen
zu sein, Strafe genug bilden. Als Kuriosum erwähnen wir nur, daß Gerhard
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |