Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.einen Brettnagel selbst anzufertigen, und wahrscheinlich würden sie heute noch Mit den Gegnern der Sozialdemokratie halte ich den Konkurrenzkampf einen Brettnagel selbst anzufertigen, und wahrscheinlich würden sie heute noch Mit den Gegnern der Sozialdemokratie halte ich den Konkurrenzkampf <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0020" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223604"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_31" prev="#ID_30"> einen Brettnagel selbst anzufertigen, und wahrscheinlich würden sie heute noch<lb/> so handeln — die in England überHand nehmenden Schutzzollgelüste beweisen<lb/> es —, wenn sie nur könnten. Endlich werden sich die Herren wegen der Ver¬<lb/> nichtung der „Minderwertigen" schlüssig machen müssen, die keineswegs von der<lb/> Natur besorgt wird. Das angebliche Gesetz, wonach die Natur das Kranke<lb/> und Entartete vernichten, das Gesunde und Starke leben lassen soll, erleidet<lb/> wenigstens innerhalb der Menschheit soviel Ausnahmen, daß des Menschen<lb/> planmäßige Thätigkeit nachhelfen muß, wenn es zur Geltung kommen soll.<lb/> In der Völkerwanderung sind ganze edle germanische Volksstämme, wie die<lb/> Goten und Vandalen, vollständig ausgestorben, Nachkommen der entarteten<lb/> Römer leben wahrscheinlich jetzt noch. Heute sterben die edel angelegten<lb/> Polynesier aus, während sich die vielfach entarteten Chinesen ungezieferartig<lb/> vermehren. Noch weniger als für die Vernichtung des Kranken sorgt die<lb/> Natur für die Verminderung des dem Menschen Schädlichen und sür die Ver¬<lb/> mehrung des Nützlichen. Es ist dem Lavastrom wie dem Gießbach gleich,<lb/> ob er gute oder schlechte Menschen, Weinstöcke oder Unkraut vernichtet. Nicht<lb/> die Natur, sondern der Mensch rottet Schlangen und Raubtiere aus und ver¬<lb/> mehrt das Nutzvieh, nicht die Natur, sondern der Mensch hat unsre milch¬<lb/> reichen Rinderrassen und edel gestalteten Pferde gezüchtet. Die Leitung des<lb/> Ausleseprozesses steht also bis zu einem gewissen Grade in des^ Menschen<lb/> Hand, und er hat sich zu entscheiden, in welche Richtung er ihn drängen will.</p><lb/> <p xml:id="ID_32" next="#ID_33"> Mit den Gegnern der Sozialdemokratie halte ich den Konkurrenzkampf<lb/> für ein notwendiges Element des Selektiousprozesfes. Als dessen Ziel stelle<lb/> ich nicht etwa die Vervollkommung des Menschengeschlechts hin, an die ich<lb/> nicht glaube. Ich sehe in der Menschheit keinen Fortschritt anßer dem tech¬<lb/> nischen. Weder ein neues Organ hat der Menschenleib im Verlauf der Jahr¬<lb/> tausende erworben, noch hat er sich verschönert, noch ist eine Verschönerung<lb/> über das Ideal der Antike hinaus denkbar. Mit allen unsern Tugenden<lb/> müssen wir uns vor den Tugendhelden alter Zeiten verkriechen. Keiner unsrer<lb/> bescheidnen Gelehrten denkt daran, sich einem Aristoteles gleich zu achten; einen<lb/> unsrer heutigen Staatsmänner für einen Cäsar zu halten wäre lächerlich, und<lb/> wollte sich ein moderner Prophet, der auf der Kanzel oder in der Zeitung<lb/> predigt, neben Jesaja stellen, so wäre das Lästerung. Nur eben, um sich auf<lb/> der erlangten Höhe der körperlichen Kraft und Schönheit, der Intelligenz und<lb/> Moral zu erhalten, bedarf es des fortwährenden Kampfes zwischen Personen,<lb/> Parteien und Völkern. In diesen Kämpfen siegt natürlich jedesmal der Über¬<lb/> legne, und daß der Sieger über den Besiegten herrscht, ist in der Ordnung;<lb/> indem ich das anerkenne, und dazu noch das, daß es demnach jederzeit Herren<lb/> und Knechte, Unterschiede des Vermögens und des Standes geben muß, und daß<lb/> die sozialistische Utopie eben Utopie ist, bin ich mit Tille Sozialaristokrat. Aber<lb/> ich fasse zugleich die Kehrseiten dieser Kämpfe ins Ange, deren es drei giebt.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0020]
einen Brettnagel selbst anzufertigen, und wahrscheinlich würden sie heute noch
so handeln — die in England überHand nehmenden Schutzzollgelüste beweisen
es —, wenn sie nur könnten. Endlich werden sich die Herren wegen der Ver¬
nichtung der „Minderwertigen" schlüssig machen müssen, die keineswegs von der
Natur besorgt wird. Das angebliche Gesetz, wonach die Natur das Kranke
und Entartete vernichten, das Gesunde und Starke leben lassen soll, erleidet
wenigstens innerhalb der Menschheit soviel Ausnahmen, daß des Menschen
planmäßige Thätigkeit nachhelfen muß, wenn es zur Geltung kommen soll.
In der Völkerwanderung sind ganze edle germanische Volksstämme, wie die
Goten und Vandalen, vollständig ausgestorben, Nachkommen der entarteten
Römer leben wahrscheinlich jetzt noch. Heute sterben die edel angelegten
Polynesier aus, während sich die vielfach entarteten Chinesen ungezieferartig
vermehren. Noch weniger als für die Vernichtung des Kranken sorgt die
Natur für die Verminderung des dem Menschen Schädlichen und sür die Ver¬
mehrung des Nützlichen. Es ist dem Lavastrom wie dem Gießbach gleich,
ob er gute oder schlechte Menschen, Weinstöcke oder Unkraut vernichtet. Nicht
die Natur, sondern der Mensch rottet Schlangen und Raubtiere aus und ver¬
mehrt das Nutzvieh, nicht die Natur, sondern der Mensch hat unsre milch¬
reichen Rinderrassen und edel gestalteten Pferde gezüchtet. Die Leitung des
Ausleseprozesses steht also bis zu einem gewissen Grade in des^ Menschen
Hand, und er hat sich zu entscheiden, in welche Richtung er ihn drängen will.
Mit den Gegnern der Sozialdemokratie halte ich den Konkurrenzkampf
für ein notwendiges Element des Selektiousprozesfes. Als dessen Ziel stelle
ich nicht etwa die Vervollkommung des Menschengeschlechts hin, an die ich
nicht glaube. Ich sehe in der Menschheit keinen Fortschritt anßer dem tech¬
nischen. Weder ein neues Organ hat der Menschenleib im Verlauf der Jahr¬
tausende erworben, noch hat er sich verschönert, noch ist eine Verschönerung
über das Ideal der Antike hinaus denkbar. Mit allen unsern Tugenden
müssen wir uns vor den Tugendhelden alter Zeiten verkriechen. Keiner unsrer
bescheidnen Gelehrten denkt daran, sich einem Aristoteles gleich zu achten; einen
unsrer heutigen Staatsmänner für einen Cäsar zu halten wäre lächerlich, und
wollte sich ein moderner Prophet, der auf der Kanzel oder in der Zeitung
predigt, neben Jesaja stellen, so wäre das Lästerung. Nur eben, um sich auf
der erlangten Höhe der körperlichen Kraft und Schönheit, der Intelligenz und
Moral zu erhalten, bedarf es des fortwährenden Kampfes zwischen Personen,
Parteien und Völkern. In diesen Kämpfen siegt natürlich jedesmal der Über¬
legne, und daß der Sieger über den Besiegten herrscht, ist in der Ordnung;
indem ich das anerkenne, und dazu noch das, daß es demnach jederzeit Herren
und Knechte, Unterschiede des Vermögens und des Standes geben muß, und daß
die sozialistische Utopie eben Utopie ist, bin ich mit Tille Sozialaristokrat. Aber
ich fasse zugleich die Kehrseiten dieser Kämpfe ins Ange, deren es drei giebt.
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