Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.Die englischen Gewerkvereine arbeiten, sie verwirren und überrumpeln, die Parteikvnjunkturen ausnutzen, Die englischen Gewerkvereine arbeiten, sie verwirren und überrumpeln, die Parteikvnjunkturen ausnutzen, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0173" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223757"/> <fw type="header" place="top"> Die englischen Gewerkvereine</fw><lb/> <p xml:id="ID_505" prev="#ID_504" next="#ID_506"> arbeiten, sie verwirren und überrumpeln, die Parteikvnjunkturen ausnutzen,<lb/> das konnten die Arbeiter freilich nicht im Jahre 1825, wo sie noch gar keine<lb/> politischen Rechte hatten; was sie konnten: schreien, klagen, streiken, agitiren,<lb/> drohen, die herrschenden Klassen erschrecken, dabei einander gegenseitig unterstützen,<lb/> das haben sie ja gethan. Das Eingreifen der Juristen aber war besonders des¬<lb/> wegen nötig, weil die Arbeiter vor Gericht und vor Parlamentskommissioneii<lb/> unbeholfen waren, den Nerv der Streitfrage gewöhnlich nicht erfaßten und,<lb/> wenn sie ihn erfaßten, sich nicht korrekt auszudrücken verstanden. So waren<lb/> sie den Gerichtshöfen gegenüber, die grundsätzlich auf der Seite ihrer Gegner<lb/> standen, ganz hilflos, und auch nach der gesetzlichen Aufhebung des Koalitions¬<lb/> verbots fanden sich hunderterlei gesetzliche Vorwände, die Vereine zu verfolgen.<lb/> Einer dieser Advokaten, Roberts, den die Bergarbeiter 1844 mit 20000 Mark<lb/> Gehalt anstellten, legte 1851 in einem Briefe an die Friendly Soeieth der<lb/> Hartglasarbeiter seine Auffassung der fraglichen Gesetze dar und fügte bei:<lb/> „Aber es ist ungemein schwer, jene aus der euch feindlich gesinnten Klasse<lb/> hervorgegangnen Leute dazu zu bringen, die Dinge in diesem Lichte zu sehen.<lb/> Es giebt in den Gerichtshöfen ehrliche Männer, die nichts als ihre Pflicht<lb/> erfüllen wollen. Aber ihre Neigungen und Verhältnisse hindern sie daran.<lb/> Sie hören euern Gegnern nicht nur oft, sondern gern zu und lernen so den<lb/> Fall mehr kennen, wie er gegen euch steht, als was darin zu euern Gunsten<lb/> spricht. Euch hören sie auch an, aber in welcher Gemütsverfassung! An¬<lb/> geklagter, Sie haben das Recht, alles zu sagen, was Ihnen nötig erscheint,<lb/> der Gerichtshof muß Sie anhören; aber überlegen Sie genau usw. Im<lb/> Verkehr der Richter mit euern Gegnern werdet ihr das Lächeln herzlichen<lb/> Wohlwollens, euch gegenüber spöttisches Hohnlächeln beobachten. Dann kennt<lb/> man die Macht eurer Vereinigungen, und das erregt natürlich den Wunsch,<lb/> sie um jeden Preis zu unterdrücken. Hundert andre Dinge: Meetings, po¬<lb/> litische Verbindungen, Verbindungen durch Heiraten, Hoffnungen auf Erbschaften<lb/> wirken in derselben Richtung. Und so ist es mir denn noch nie vorgekommen, daß<lb/> ein Friedensrichter die Vereinbarung von Meistern, einen lästigen Burschen nicht<lb/> zu beschäftigen, als eine ungesetzliche Handlung betrachtet hätte; kehrt den<lb/> Fall aber um, und sofort wird eine fürchterliche Verschwörung daraus."<lb/> Roberts erzählt sodann, daß er als Vertreter der Kohlenarbeiter jedem Unter¬<lb/> drückungsversuche mit gesetzlichen Mitteln entgegengetreten sei und damit bewirkt<lb/> habe, daß die Versuche gänzlich aufgehört hätten. Ein sehr beliebtes Mittel,<lb/> dem Koalitionsrecht von hinten beizukommen, war die Bestrafung des „Picketing"<lb/> als einer Bedrohung oder Vergewaltigung. Man versteht unter Picketing das<lb/> Aufstellen von Wachtposten, die Streikbrecher vom Eintritt in die Fabrik oder<lb/> Grube abzuhalten haben. Ohne diese Maßregel, versichern die Arbeitervertreter,<lb/> sei ein Streik nicht durchzuführen, das Koalitionsrecht daher inhaltlos. Sie<lb/> sei sogar unter Umstünden für die Unternehmer nützlich, indem sie die Arbeiter</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0173]
Die englischen Gewerkvereine
arbeiten, sie verwirren und überrumpeln, die Parteikvnjunkturen ausnutzen,
das konnten die Arbeiter freilich nicht im Jahre 1825, wo sie noch gar keine
politischen Rechte hatten; was sie konnten: schreien, klagen, streiken, agitiren,
drohen, die herrschenden Klassen erschrecken, dabei einander gegenseitig unterstützen,
das haben sie ja gethan. Das Eingreifen der Juristen aber war besonders des¬
wegen nötig, weil die Arbeiter vor Gericht und vor Parlamentskommissioneii
unbeholfen waren, den Nerv der Streitfrage gewöhnlich nicht erfaßten und,
wenn sie ihn erfaßten, sich nicht korrekt auszudrücken verstanden. So waren
sie den Gerichtshöfen gegenüber, die grundsätzlich auf der Seite ihrer Gegner
standen, ganz hilflos, und auch nach der gesetzlichen Aufhebung des Koalitions¬
verbots fanden sich hunderterlei gesetzliche Vorwände, die Vereine zu verfolgen.
Einer dieser Advokaten, Roberts, den die Bergarbeiter 1844 mit 20000 Mark
Gehalt anstellten, legte 1851 in einem Briefe an die Friendly Soeieth der
Hartglasarbeiter seine Auffassung der fraglichen Gesetze dar und fügte bei:
„Aber es ist ungemein schwer, jene aus der euch feindlich gesinnten Klasse
hervorgegangnen Leute dazu zu bringen, die Dinge in diesem Lichte zu sehen.
Es giebt in den Gerichtshöfen ehrliche Männer, die nichts als ihre Pflicht
erfüllen wollen. Aber ihre Neigungen und Verhältnisse hindern sie daran.
Sie hören euern Gegnern nicht nur oft, sondern gern zu und lernen so den
Fall mehr kennen, wie er gegen euch steht, als was darin zu euern Gunsten
spricht. Euch hören sie auch an, aber in welcher Gemütsverfassung! An¬
geklagter, Sie haben das Recht, alles zu sagen, was Ihnen nötig erscheint,
der Gerichtshof muß Sie anhören; aber überlegen Sie genau usw. Im
Verkehr der Richter mit euern Gegnern werdet ihr das Lächeln herzlichen
Wohlwollens, euch gegenüber spöttisches Hohnlächeln beobachten. Dann kennt
man die Macht eurer Vereinigungen, und das erregt natürlich den Wunsch,
sie um jeden Preis zu unterdrücken. Hundert andre Dinge: Meetings, po¬
litische Verbindungen, Verbindungen durch Heiraten, Hoffnungen auf Erbschaften
wirken in derselben Richtung. Und so ist es mir denn noch nie vorgekommen, daß
ein Friedensrichter die Vereinbarung von Meistern, einen lästigen Burschen nicht
zu beschäftigen, als eine ungesetzliche Handlung betrachtet hätte; kehrt den
Fall aber um, und sofort wird eine fürchterliche Verschwörung daraus."
Roberts erzählt sodann, daß er als Vertreter der Kohlenarbeiter jedem Unter¬
drückungsversuche mit gesetzlichen Mitteln entgegengetreten sei und damit bewirkt
habe, daß die Versuche gänzlich aufgehört hätten. Ein sehr beliebtes Mittel,
dem Koalitionsrecht von hinten beizukommen, war die Bestrafung des „Picketing"
als einer Bedrohung oder Vergewaltigung. Man versteht unter Picketing das
Aufstellen von Wachtposten, die Streikbrecher vom Eintritt in die Fabrik oder
Grube abzuhalten haben. Ohne diese Maßregel, versichern die Arbeitervertreter,
sei ein Streik nicht durchzuführen, das Koalitionsrecht daher inhaltlos. Sie
sei sogar unter Umstünden für die Unternehmer nützlich, indem sie die Arbeiter
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