Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.reproduzirende Kunst, sie versuchen sich die Scharen der Sänger und Spieler, Einhalt gethan werden muß diesem Treiben, um das sich weder das reproduzirende Kunst, sie versuchen sich die Scharen der Sänger und Spieler, Einhalt gethan werden muß diesem Treiben, um das sich weder das <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0168" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223752"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_496" prev="#ID_495"> reproduzirende Kunst, sie versuchen sich die Scharen der Sänger und Spieler,<lb/> Sängerinnen und Spielerinnen dienstbar zu machen, sie erfinden Konzertsterne<lb/> und Bühnengöttinen, sie sind unablässig bemüht, zur Vereinfachung und bessern<lb/> Ausbeutung des Geschäfts alle Erfolge auf wenige Häupter zu hüufeu. Es<lb/> ist ihnen vollkommen gleichgiltig, in welchen Verhältnis der Erfolg zur Leistung<lb/> steht, sie haben nichts gegen wirkliches Talent und sogar nichts gegen künst¬<lb/> lerischen Ernst einzuwenden, sie fragen lediglich nach der äußern Geltung<lb/> der künstlich hergestellten „Sensation." Sie haben auf musikalischen Gebiet<lb/> ein vollständiges künstlerisches Protzeutum geschaffen, dem wahrhafte, ja<lb/> große Talente und Mittelmäßigkeiten in buntem Wechsel angehören, dessen<lb/> Kennzeichen es ist, daß es die Aufmerksamkeit und die Teilnahme des<lb/> Publikums allein beansprucht, daß es mit tiefster Verachtung auf Kunstge-<lb/> nossen herabsieht, die trotz vorzüglicher Leistungen keine „Sensation" erregt<lb/> haben, daß es sich die Gunst des Glücks als Verdienst anrechnet, daß es den<lb/> Köhlerglauben zu fördern trachtet, als ob zwischen ihnen, den Spitzen, und<lb/> dem hunderttausendköpfigen durch unsre Konservatorien und Musikschulen in<lb/> gewissenloser, ja ruchloser Weise vermehrten musikalischen Proletariat kein Talent<lb/> und keine Leistung zu finden wäre. Die Kvuzertagentureu verschmähen zwar<lb/> die Steuergroschen auch dieses Proletariats nicht, aber sie sind vor alle» Dingen<lb/> eifrig bestrebt, die Vorstellung zu erhalten und zu verbreiten, daß nur die<lb/> von ihnen auf Aktien gegründeten Berühmtheiten wert wären, gehört und<lb/> genannt zu inertem, sie „kreiren" in jeder Saison ein neues Genie, gleichviel<lb/> ob Sängerin, Geiger, Klavierspieler oder bloß Pultgenie. Sie vermehren mit<lb/> Hilfe thörichter reklamesüchtiger Zeitungen den Wahn, daß es außerhalb des<lb/> Neklameringes nichts Schönes, Großes, nicht einmal etwas Tüchtiges gebe.<lb/> Sie rechnen auf die Unnatur unsrer künstlerischen Zustände, die Reklamesucht<lb/> der Massen, die Gleichgiltigkeit gegen alle innere Wahrheit, gegen die edle<lb/> Einfachheit, ohne die es doch in letzter Instanz keine große Kunst giebt. Der<lb/> Ruhm auf Aktien und das damit verbundn« Geschäft können natürlich ohne<lb/> wirkliche Leistungen nicht gemacht werden, aber wer fragt darnach ob die ge¬<lb/> feierten, betriebsmäßig in den Vordergrund gedrängten Leistungen in der That<lb/> die vorzüglichsten sind, wen kümmert es, wie viele gleich gute Leistungen bei<lb/> diesem bvrsenmäßigen schwindelhafter Emportreiben einzelner Werte zu Boden<lb/> getreten werden? Wir müßten weit ausholen, um die zu einem Drittel furcht¬<lb/> baren, zum andern widerwärtigen, zum letzten Drittel komischen Einzelheiten<lb/> dieser ganzen Wirtschaft zu schildern; wer irgend etwas von ihnen weiß,<lb/> wissen will (der Wille dazu sehlt an nur allzuvielen Stellen), weiß auch, daß<lb/> gerade auf diesem Gebiete der Erfolg auf Aktien wahrhaft verwüstende Wirk¬<lb/> ungen gehabt hat und noch hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_497" next="#ID_498"> Einhalt gethan werden muß diesem Treiben, um das sich weder das<lb/> Börscugesetz noch das Gesetz gegen unlautern Wettbewerb kümmern kaun. Zu</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0168]
reproduzirende Kunst, sie versuchen sich die Scharen der Sänger und Spieler,
Sängerinnen und Spielerinnen dienstbar zu machen, sie erfinden Konzertsterne
und Bühnengöttinen, sie sind unablässig bemüht, zur Vereinfachung und bessern
Ausbeutung des Geschäfts alle Erfolge auf wenige Häupter zu hüufeu. Es
ist ihnen vollkommen gleichgiltig, in welchen Verhältnis der Erfolg zur Leistung
steht, sie haben nichts gegen wirkliches Talent und sogar nichts gegen künst¬
lerischen Ernst einzuwenden, sie fragen lediglich nach der äußern Geltung
der künstlich hergestellten „Sensation." Sie haben auf musikalischen Gebiet
ein vollständiges künstlerisches Protzeutum geschaffen, dem wahrhafte, ja
große Talente und Mittelmäßigkeiten in buntem Wechsel angehören, dessen
Kennzeichen es ist, daß es die Aufmerksamkeit und die Teilnahme des
Publikums allein beansprucht, daß es mit tiefster Verachtung auf Kunstge-
nossen herabsieht, die trotz vorzüglicher Leistungen keine „Sensation" erregt
haben, daß es sich die Gunst des Glücks als Verdienst anrechnet, daß es den
Köhlerglauben zu fördern trachtet, als ob zwischen ihnen, den Spitzen, und
dem hunderttausendköpfigen durch unsre Konservatorien und Musikschulen in
gewissenloser, ja ruchloser Weise vermehrten musikalischen Proletariat kein Talent
und keine Leistung zu finden wäre. Die Kvuzertagentureu verschmähen zwar
die Steuergroschen auch dieses Proletariats nicht, aber sie sind vor alle» Dingen
eifrig bestrebt, die Vorstellung zu erhalten und zu verbreiten, daß nur die
von ihnen auf Aktien gegründeten Berühmtheiten wert wären, gehört und
genannt zu inertem, sie „kreiren" in jeder Saison ein neues Genie, gleichviel
ob Sängerin, Geiger, Klavierspieler oder bloß Pultgenie. Sie vermehren mit
Hilfe thörichter reklamesüchtiger Zeitungen den Wahn, daß es außerhalb des
Neklameringes nichts Schönes, Großes, nicht einmal etwas Tüchtiges gebe.
Sie rechnen auf die Unnatur unsrer künstlerischen Zustände, die Reklamesucht
der Massen, die Gleichgiltigkeit gegen alle innere Wahrheit, gegen die edle
Einfachheit, ohne die es doch in letzter Instanz keine große Kunst giebt. Der
Ruhm auf Aktien und das damit verbundn« Geschäft können natürlich ohne
wirkliche Leistungen nicht gemacht werden, aber wer fragt darnach ob die ge¬
feierten, betriebsmäßig in den Vordergrund gedrängten Leistungen in der That
die vorzüglichsten sind, wen kümmert es, wie viele gleich gute Leistungen bei
diesem bvrsenmäßigen schwindelhafter Emportreiben einzelner Werte zu Boden
getreten werden? Wir müßten weit ausholen, um die zu einem Drittel furcht¬
baren, zum andern widerwärtigen, zum letzten Drittel komischen Einzelheiten
dieser ganzen Wirtschaft zu schildern; wer irgend etwas von ihnen weiß,
wissen will (der Wille dazu sehlt an nur allzuvielen Stellen), weiß auch, daß
gerade auf diesem Gebiete der Erfolg auf Aktien wahrhaft verwüstende Wirk¬
ungen gehabt hat und noch hat.
Einhalt gethan werden muß diesem Treiben, um das sich weder das
Börscugesetz noch das Gesetz gegen unlautern Wettbewerb kümmern kaun. Zu
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