Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.Der Lrfolg auf Aktie" Archiven oder Museen die Vorbedingungen irgend welcher wissenschaftlichen Weit mißlicher sieht es schon auf dem Gebiete der Litteratur im engern Der Lrfolg auf Aktie« Archiven oder Museen die Vorbedingungen irgend welcher wissenschaftlichen Weit mißlicher sieht es schon auf dem Gebiete der Litteratur im engern <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0163" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223747"/> <fw type="header" place="top"> Der Lrfolg auf Aktie«</fw><lb/> <p xml:id="ID_486" prev="#ID_485"> Archiven oder Museen die Vorbedingungen irgend welcher wissenschaftlichen<lb/> Leistungen sind, da ist es ein glücklicher, beinahe ein unerhörter Ausnahme-<lb/> fall, wenn irgend ein Nichtkapitalist mit den reichen Mitstrebenden in Wett¬<lb/> bewerb treten kann. Und die Forderungen an erhöhte Bedeutung wissenschaft¬<lb/> licher Arbeiten fallen auf einzelnen wissenschaftlichen Gebieten mehr und mehr<lb/> mit der Größe des Geldaufwandes zusammen, den sich der einzelne für seine<lb/> Studien leisten kann. Hier läßt sich überall noch von unerfreulichen, aber bis<lb/> zu einem gewissen Punkt unvermeidlichen Entwicklungen sprechen, der unmittel¬<lb/> bare Anteil des Besitzes an wissenschaftliche» Forschungen und Forschungs¬<lb/> ergebnissen schafft Begünstigungen, aber doch nicht gerade Monopole und er¬<lb/> barmungslose Rechte. Und da neben den Wissenschaften, die in der Haupt¬<lb/> sache dem Kapitalismus ausgeliefert sind, andre stehen und blühen, bei denen<lb/> die Besitzfrage nebensächlich und untergeordnet bleibt, da namentlich an den<lb/> Hochschulen die alten Maßstäbe der Leistung und des Verdienstes bis jetzt nur<lb/> vereinzelt mit den neuen vertauscht sind, so läßt sich nicht sagen, daß wir eine<lb/> Wissenschaft auf Aktien hätten, und so wenig es an Kliquen fehlt, die sich<lb/> Rücken an Rücken lehnen und sich auf die Gleichheit stattlicher Lebenshaltung<lb/> viel zu gute thun, zu einem geschlossenen Ring sind sie noch nicht geworden.</p><lb/> <p xml:id="ID_487" next="#ID_488"> Weit mißlicher sieht es schon auf dem Gebiete der Litteratur im engern<lb/> Sinne aus, wo der Erfolg auf Aktien mit Bewußtsein und Berechnung er¬<lb/> strebt und erreicht wird. Die eigentümlichste und bedenklichste Erscheinung ist<lb/> hier die Zusammensetzung ganzer litterarischer Schulen oder Gruppen aus<lb/> jungen reichen Leuten. Die erste Generation der Naturalisten, der spezifisch<lb/> Modernen (bei denen die einzelnen Geschlechtsfolgen kaum durch fünf Jahre<lb/> von einander getrennt sind) schloß viel litterarisches Zigeunertum in sich.<lb/> Arme Teufel, die in ihren Dachstuben die Litteratur und die Welt umstürzten,<lb/> der freien Liebe pflegten und im Dunst düsterer Kneipen die Neuordnung des<lb/> Himmels und der Erde besorgten, waren einige Jahre hindurch die Haupt¬<lb/> vertreter der „Moderne." Zur ehrlichen und wohlberechtigten Entrüstung über<lb/> die Frivolität und die selbstgefällige Flachheit der herrschenden Modelitieratur<lb/> gesellte sich bei ihnen der Groll über die großen Tantiemen und Honorare der<lb/> Zerren Lindau und Blumenthal, der Herren Dahn und Ebers, der Fräulein<lb/> Marlitt und Bürstenbinder. Die „neue Richtung" hatte kein Publikum, sollte<lb/> keins haben, man experimentirte nur für die Eingeweihten, die Gesinnungs¬<lb/> genossen, man empfand aber gleichwohl hart und bitter, daß die gemeine Not<lb/> des Lebens nicht vor den großen Worten weicht. Weil man es nicht lassen<lb/> konnte, grollend nach den Erfolgen der Modedramatiker und Modeerzähler zu<lb/> schielen, ergab sich jene ganz schiefe Auffassung der deutschen Litteraturentwick-<lb/> lnng, nach der die deutsche Litteratur in den sechziger und siebziger Jahren<lb/> nicht von Freytag und Keller, von Storm und Heyse, von Wilbrandt und<lb/> Anzengruber, von C. F. Meyer und Wilhelm Raabe, sondern von Lindau und</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0163]
Der Lrfolg auf Aktie«
Archiven oder Museen die Vorbedingungen irgend welcher wissenschaftlichen
Leistungen sind, da ist es ein glücklicher, beinahe ein unerhörter Ausnahme-
fall, wenn irgend ein Nichtkapitalist mit den reichen Mitstrebenden in Wett¬
bewerb treten kann. Und die Forderungen an erhöhte Bedeutung wissenschaft¬
licher Arbeiten fallen auf einzelnen wissenschaftlichen Gebieten mehr und mehr
mit der Größe des Geldaufwandes zusammen, den sich der einzelne für seine
Studien leisten kann. Hier läßt sich überall noch von unerfreulichen, aber bis
zu einem gewissen Punkt unvermeidlichen Entwicklungen sprechen, der unmittel¬
bare Anteil des Besitzes an wissenschaftliche» Forschungen und Forschungs¬
ergebnissen schafft Begünstigungen, aber doch nicht gerade Monopole und er¬
barmungslose Rechte. Und da neben den Wissenschaften, die in der Haupt¬
sache dem Kapitalismus ausgeliefert sind, andre stehen und blühen, bei denen
die Besitzfrage nebensächlich und untergeordnet bleibt, da namentlich an den
Hochschulen die alten Maßstäbe der Leistung und des Verdienstes bis jetzt nur
vereinzelt mit den neuen vertauscht sind, so läßt sich nicht sagen, daß wir eine
Wissenschaft auf Aktien hätten, und so wenig es an Kliquen fehlt, die sich
Rücken an Rücken lehnen und sich auf die Gleichheit stattlicher Lebenshaltung
viel zu gute thun, zu einem geschlossenen Ring sind sie noch nicht geworden.
Weit mißlicher sieht es schon auf dem Gebiete der Litteratur im engern
Sinne aus, wo der Erfolg auf Aktien mit Bewußtsein und Berechnung er¬
strebt und erreicht wird. Die eigentümlichste und bedenklichste Erscheinung ist
hier die Zusammensetzung ganzer litterarischer Schulen oder Gruppen aus
jungen reichen Leuten. Die erste Generation der Naturalisten, der spezifisch
Modernen (bei denen die einzelnen Geschlechtsfolgen kaum durch fünf Jahre
von einander getrennt sind) schloß viel litterarisches Zigeunertum in sich.
Arme Teufel, die in ihren Dachstuben die Litteratur und die Welt umstürzten,
der freien Liebe pflegten und im Dunst düsterer Kneipen die Neuordnung des
Himmels und der Erde besorgten, waren einige Jahre hindurch die Haupt¬
vertreter der „Moderne." Zur ehrlichen und wohlberechtigten Entrüstung über
die Frivolität und die selbstgefällige Flachheit der herrschenden Modelitieratur
gesellte sich bei ihnen der Groll über die großen Tantiemen und Honorare der
Zerren Lindau und Blumenthal, der Herren Dahn und Ebers, der Fräulein
Marlitt und Bürstenbinder. Die „neue Richtung" hatte kein Publikum, sollte
keins haben, man experimentirte nur für die Eingeweihten, die Gesinnungs¬
genossen, man empfand aber gleichwohl hart und bitter, daß die gemeine Not
des Lebens nicht vor den großen Worten weicht. Weil man es nicht lassen
konnte, grollend nach den Erfolgen der Modedramatiker und Modeerzähler zu
schielen, ergab sich jene ganz schiefe Auffassung der deutschen Litteraturentwick-
lnng, nach der die deutsche Litteratur in den sechziger und siebziger Jahren
nicht von Freytag und Keller, von Storm und Heyse, von Wilbrandt und
Anzengruber, von C. F. Meyer und Wilhelm Raabe, sondern von Lindau und
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