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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Der Lrfolg auf Aktien

künstlerisches und geselliges Leben durchsetzt hat, sie vergessen, daß es sich hier
um Dinge handelt, die aus "Begleiterscheinungen" einer Ära der geistigen
Überproduktion nach und nach maßgebende Haupterscheinungen geworden sind.

Natürlich kann bei dem Aktienwesen, das wir hier im Auge haben, nicht
von gedruckten, gestempelten und unterschriebnen Aktien in imwrg, die Rede
sein, und ebenso wenig können Generalversammlungen abgehalten und Ver-
waltungsrüte bestellt werden. Höchstens da, wo äußerlich sichtbare geschäftliche
Sammelpunkte für die Gewinnung von "Erfolgen" geschaffen werden -- Zeit¬
schriften, Versnchsbühnen, Theater auf Anteilscheine, litterarische und künstle¬
rische Genossenschaften --, tritt die übliche und für jedermann erkennbare
Form der Aktiengesellschaft auf. Gerade hier zeigt sich das Äußere der
ehrenhaftesten, sachlichen Unternehmung oder Vereinigung dem Äußern einer
schwindelhafter Neklameassekuranz so ähnlich, daß dem unbefangnen Publikum
die Unterscheidung kaum zuzumuten ist. Denn die Schwierigkeit der Unter¬
scheidung, des Jneinanderspiels wohlberechtigter und verderblicher Erscheinungen
mag Ursache sein, daß man sich scheut, der ganzen Frage näher zu treten,
während alle Welt weiß, welchen Anteil an den Erfolgen auf wissenschaftlichem
und künstlerischem Gebiet das Kapital -- nicht das Kapital an Talent, Geist
und Wissen -- sondern das Geld, der materielle Besitz gewonnen hat, und
daß dieser Anteil zum öffentlichen Mißgeschick geworden ist. In tausend fein
verästelten, zum Teil kaum erkennbaren Adern durchzieht der Erfolg auf Aktien
die Litteratur und Kunst der Gegenwart, auch die "Gebildeten" werden immer
unfähiger, die echten, aus eigner Kraft und eignem Recht stammenden Wirkungen
von solchen zu trennen, die von außen her, mit Kapitaleinsatz, gemacht werden.
Längst schon handelt es sich dabei nicht mehr um die "Imponderabilien," die
zu aller Zeit dem Besitzenden einen gewissen Vorzug vor dem Armen und
uur auf seine Arbeit Angewiesenen gaben, sondern um die bewußte Zurück¬
drängung und Unterschätzung der geistigen Kraft und des schöpferische" Ver¬
mögens zu Gunsten der mitarbeitenden, unnötig, unerlaubt und geradezu
unwürdig ins Spiel gebrachten Kapitalkräfte.

Es ist schwer zu sagen, wo diese bewußte Zurücksetzung anfängt. Ein
geistreicher Jurist einer kleinen deutschen Universität meinte mit bitterm, über¬
treibendem und doch höchst bezeichnendem Spott: "An unsrer Hochschule werden
demnächst die Lehrstühle an den Meistbietenden versteigert werden." Kein
Zweifel, daß bei einer ganzen Reihe von Stellenbesetzungen dieser Art die
wissenschaftliche Tüchtigkeit in zweiter, die Fähigkeit zu glänzender, weithin¬
sichtbarer "Repräsentation" in erster Linie in Frage kommt. Die Beispiele
fügt jeder, der das liest, ohne weiteres aus dem Kreise seiner eignen Erfah¬
rungen hinzu. An und für sich hat die Entwicklung einzelner Wissenschaften
die von Haus aus Unbemittelten, wenn auch noch so Befähigten zurückgescheucht.
Wo weit ausgedehnte exotische Reisen, Studienjahre in zahlreichen ausländischen


Der Lrfolg auf Aktien

künstlerisches und geselliges Leben durchsetzt hat, sie vergessen, daß es sich hier
um Dinge handelt, die aus „Begleiterscheinungen" einer Ära der geistigen
Überproduktion nach und nach maßgebende Haupterscheinungen geworden sind.

Natürlich kann bei dem Aktienwesen, das wir hier im Auge haben, nicht
von gedruckten, gestempelten und unterschriebnen Aktien in imwrg, die Rede
sein, und ebenso wenig können Generalversammlungen abgehalten und Ver-
waltungsrüte bestellt werden. Höchstens da, wo äußerlich sichtbare geschäftliche
Sammelpunkte für die Gewinnung von „Erfolgen" geschaffen werden — Zeit¬
schriften, Versnchsbühnen, Theater auf Anteilscheine, litterarische und künstle¬
rische Genossenschaften —, tritt die übliche und für jedermann erkennbare
Form der Aktiengesellschaft auf. Gerade hier zeigt sich das Äußere der
ehrenhaftesten, sachlichen Unternehmung oder Vereinigung dem Äußern einer
schwindelhafter Neklameassekuranz so ähnlich, daß dem unbefangnen Publikum
die Unterscheidung kaum zuzumuten ist. Denn die Schwierigkeit der Unter¬
scheidung, des Jneinanderspiels wohlberechtigter und verderblicher Erscheinungen
mag Ursache sein, daß man sich scheut, der ganzen Frage näher zu treten,
während alle Welt weiß, welchen Anteil an den Erfolgen auf wissenschaftlichem
und künstlerischem Gebiet das Kapital — nicht das Kapital an Talent, Geist
und Wissen — sondern das Geld, der materielle Besitz gewonnen hat, und
daß dieser Anteil zum öffentlichen Mißgeschick geworden ist. In tausend fein
verästelten, zum Teil kaum erkennbaren Adern durchzieht der Erfolg auf Aktien
die Litteratur und Kunst der Gegenwart, auch die „Gebildeten" werden immer
unfähiger, die echten, aus eigner Kraft und eignem Recht stammenden Wirkungen
von solchen zu trennen, die von außen her, mit Kapitaleinsatz, gemacht werden.
Längst schon handelt es sich dabei nicht mehr um die „Imponderabilien," die
zu aller Zeit dem Besitzenden einen gewissen Vorzug vor dem Armen und
uur auf seine Arbeit Angewiesenen gaben, sondern um die bewußte Zurück¬
drängung und Unterschätzung der geistigen Kraft und des schöpferische» Ver¬
mögens zu Gunsten der mitarbeitenden, unnötig, unerlaubt und geradezu
unwürdig ins Spiel gebrachten Kapitalkräfte.

Es ist schwer zu sagen, wo diese bewußte Zurücksetzung anfängt. Ein
geistreicher Jurist einer kleinen deutschen Universität meinte mit bitterm, über¬
treibendem und doch höchst bezeichnendem Spott: „An unsrer Hochschule werden
demnächst die Lehrstühle an den Meistbietenden versteigert werden." Kein
Zweifel, daß bei einer ganzen Reihe von Stellenbesetzungen dieser Art die
wissenschaftliche Tüchtigkeit in zweiter, die Fähigkeit zu glänzender, weithin¬
sichtbarer „Repräsentation" in erster Linie in Frage kommt. Die Beispiele
fügt jeder, der das liest, ohne weiteres aus dem Kreise seiner eignen Erfah¬
rungen hinzu. An und für sich hat die Entwicklung einzelner Wissenschaften
die von Haus aus Unbemittelten, wenn auch noch so Befähigten zurückgescheucht.
Wo weit ausgedehnte exotische Reisen, Studienjahre in zahlreichen ausländischen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/162>, abgerufen am 06.01.2025.