Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.Erlebtes und Beobachtetes aus Rußland Zunächst sind manche Zweige der Industrie, die früher in Rußland nicht In Moskau und im Innern Rußlands beginnen sich die Russen selbst Einen Zweig der Industrie haben sich die Russen immer mehr erobert: Knoop war der Pfadfinder; in den von ihm erschlossenen Weg ergoß sich Erlebtes und Beobachtetes aus Rußland Zunächst sind manche Zweige der Industrie, die früher in Rußland nicht In Moskau und im Innern Rußlands beginnen sich die Russen selbst Einen Zweig der Industrie haben sich die Russen immer mehr erobert: Knoop war der Pfadfinder; in den von ihm erschlossenen Weg ergoß sich <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0142" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223726"/> <fw type="header" place="top"> Erlebtes und Beobachtetes aus Rußland</fw><lb/> <p xml:id="ID_422"> Zunächst sind manche Zweige der Industrie, die früher in Rußland nicht<lb/> vorhanden waren, jetzt dadurch in Nußland vertreten, daß deutsche Firmen<lb/> während des Zollkriegs und auch schon vorher dicht an der Grenze zweite<lb/> Fabriken ausschließlich für den Vertrieb in Rußland errichteten. So ist z. B.<lb/> Lodz ziemlich schnell zu einer bedeutenden Fabrikstadt emporgewachsen. Ferner<lb/> ist neuerdings in Polen eine rege Industrie entstanden, insbesondre sür die<lb/> bis dahin nur aus dem Auslande bezognen Galanteriewaren. Diese Industrie<lb/> ist wesentlich in jüdischen und in deutschen Hunden. Die gesamte Petersburger<lb/> Industrie — und sie ist trotz des Aufblühens von Moskau noch sehr be¬<lb/> deutend — ist im Besitz von Deutschen, daneben auch von Engländern. Nur<lb/> in der Tabakindustrie haben sich im Laufe der letzten Jahrzehnte russische<lb/> Firmen Platz verschafft. Daß die Industrie der Ostseeprovinzen ganz und gar<lb/> deutsch ist, braucht nicht gesagt zu werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_423"> In Moskau und im Innern Rußlands beginnen sich die Russen selbst<lb/> mehr und mehr zu rühren. Die metallurgische Industrie z. B. (namentlich<lb/> im Ural) gehört jetzt Nüssen und wird von Russen geleitet. Die Eisenwerke<lb/> in Südrußland sind im Besitz französischer und belgischer Gesellschaften, sie<lb/> werden von Franzosen und Belgiern geleitet. Dasselbe gilt von den süd¬<lb/> russischen Kohlenwerken. Aber eine sehr große Zahl von Fabriken aller Zweige,<lb/> namentlich des Moskaner Bezirks, ist heute noch in deutscher Hand.</p><lb/> <p xml:id="ID_424"> Einen Zweig der Industrie haben sich die Russen immer mehr erobert:<lb/> den, der heute die größte Beachtung unter den russischen gewerblichen Unter¬<lb/> nehmungen verdient: die Textilindustrie, vor allem die Baumwolliudustrie.<lb/> Begründet hat sie in Nußland ein Deutscher, Ludwig Knoop, ein kauf¬<lb/> männisches Genie; ihm ist es zu verdanken, daß diese Industrie im Sturm¬<lb/> schritt Deutschland und Frankreich überholt hat und heute nur von der eng¬<lb/> lischen und amerikanischen übertroffen wird. Auf ihn geht die „Kreuholmer<lb/> Manufaktur" in Narwa zurück, Spinnerei und Weberei, die größte Spinnerei<lb/> der Welt; sie hat 430000 Spindeln neben 2160 Webstühlen in Thätigkeit<lb/> und einen Jahresumsatz von etwa zwölf Millionen Rubeln.</p><lb/> <p xml:id="ID_425" next="#ID_426"> Knoop war der Pfadfinder; in den von ihm erschlossenen Weg ergoß sich<lb/> massenhaftes russisches Kapital. Die technischen Direktoren dieser russischen<lb/> Fabriken sind aber meist nicht Russen, sondern vorwiegend Engländer, auch<lb/> Deutsche. Vor allem sind da die vier großen — von einander unabhängigen —<lb/> Fabriken der Familien Morosvw zu nennen, alle in dem Moskaner Bezirk;<lb/> sie umfassen Spinnerei, Weberei, Färberei und Druckerei und liefern namentlich<lb/> jenen billigen bedruckten Kattun, der von der russischen bäuerlichen Bevölkerung<lb/> so gern getragen wird. Die größte dieser vier Fabriken hat siebzehn, die<lb/> kleinste zehn Millionen Rubel jährlichen Umsatz. Die Morosowsche Fabrik<lb/> in Twer allein beschäftigt gegen 11000 Arbeiter. Neben den Morosowschen<lb/> giebt es aber uoch über zwanzig bedeutende Fabriken dieses Zweigs, deren In-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0142]
Erlebtes und Beobachtetes aus Rußland
Zunächst sind manche Zweige der Industrie, die früher in Rußland nicht
vorhanden waren, jetzt dadurch in Nußland vertreten, daß deutsche Firmen
während des Zollkriegs und auch schon vorher dicht an der Grenze zweite
Fabriken ausschließlich für den Vertrieb in Rußland errichteten. So ist z. B.
Lodz ziemlich schnell zu einer bedeutenden Fabrikstadt emporgewachsen. Ferner
ist neuerdings in Polen eine rege Industrie entstanden, insbesondre sür die
bis dahin nur aus dem Auslande bezognen Galanteriewaren. Diese Industrie
ist wesentlich in jüdischen und in deutschen Hunden. Die gesamte Petersburger
Industrie — und sie ist trotz des Aufblühens von Moskau noch sehr be¬
deutend — ist im Besitz von Deutschen, daneben auch von Engländern. Nur
in der Tabakindustrie haben sich im Laufe der letzten Jahrzehnte russische
Firmen Platz verschafft. Daß die Industrie der Ostseeprovinzen ganz und gar
deutsch ist, braucht nicht gesagt zu werden.
In Moskau und im Innern Rußlands beginnen sich die Russen selbst
mehr und mehr zu rühren. Die metallurgische Industrie z. B. (namentlich
im Ural) gehört jetzt Nüssen und wird von Russen geleitet. Die Eisenwerke
in Südrußland sind im Besitz französischer und belgischer Gesellschaften, sie
werden von Franzosen und Belgiern geleitet. Dasselbe gilt von den süd¬
russischen Kohlenwerken. Aber eine sehr große Zahl von Fabriken aller Zweige,
namentlich des Moskaner Bezirks, ist heute noch in deutscher Hand.
Einen Zweig der Industrie haben sich die Russen immer mehr erobert:
den, der heute die größte Beachtung unter den russischen gewerblichen Unter¬
nehmungen verdient: die Textilindustrie, vor allem die Baumwolliudustrie.
Begründet hat sie in Nußland ein Deutscher, Ludwig Knoop, ein kauf¬
männisches Genie; ihm ist es zu verdanken, daß diese Industrie im Sturm¬
schritt Deutschland und Frankreich überholt hat und heute nur von der eng¬
lischen und amerikanischen übertroffen wird. Auf ihn geht die „Kreuholmer
Manufaktur" in Narwa zurück, Spinnerei und Weberei, die größte Spinnerei
der Welt; sie hat 430000 Spindeln neben 2160 Webstühlen in Thätigkeit
und einen Jahresumsatz von etwa zwölf Millionen Rubeln.
Knoop war der Pfadfinder; in den von ihm erschlossenen Weg ergoß sich
massenhaftes russisches Kapital. Die technischen Direktoren dieser russischen
Fabriken sind aber meist nicht Russen, sondern vorwiegend Engländer, auch
Deutsche. Vor allem sind da die vier großen — von einander unabhängigen —
Fabriken der Familien Morosvw zu nennen, alle in dem Moskaner Bezirk;
sie umfassen Spinnerei, Weberei, Färberei und Druckerei und liefern namentlich
jenen billigen bedruckten Kattun, der von der russischen bäuerlichen Bevölkerung
so gern getragen wird. Die größte dieser vier Fabriken hat siebzehn, die
kleinste zehn Millionen Rubel jährlichen Umsatz. Die Morosowsche Fabrik
in Twer allein beschäftigt gegen 11000 Arbeiter. Neben den Morosowschen
giebt es aber uoch über zwanzig bedeutende Fabriken dieses Zweigs, deren In-
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