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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Erlebtes und Beobachtetes aus Rußland

was ja begreiflich ist, und in gewissen Kreisen des Hofadels. Im übrigen
läßt sich der Standpunkt der Russen dahin zusammenfassen: die Franzosen sind
ihnen sympathisch, während sie gegen die Deutschen eine Abneigung haben;
aber Frankreich zuliebe sich in Gefahren zu stürzen, fällt ihnen gar nicht
ein. Ist Frankreich ihr "Freund," gut, so mag es ihnen gefüllig sein; denn
Rußlands Freund sein heißt ihnen Rußlands Diener sein. Nur darf Frankreich
keine Gegendienste verlangen außer einem gewissen herablassenden Wohlwollen.

Unter den Sehenswürdigkeiten Moskaus kommt die russisch-französische
Freundschaft zum Ausdruck in -- zwei Glaskasten, einem im Historischen
Museum und einem im Polytechnischen Museum. Die Glaskasten enthalten
allerlei kunstgewerbliche Erzeugnisse zur Erinnerung an Kronstäbe und Toulon,
an den Tod Camoes und an den Tod Alexanders III., wohl sämtlich aus
Frankreich stammend, mehr überschwänglich als geschmackvoll: Statuetten,
Taschentücher, Cigarrenspitzen u. tgi. Sonst ist Moskau voll von Denkmälern --
der Feindschaft gegen die Franzosen. 1812 gilt den Russen als das glor¬
reichste Jahr ihrer Geschichte, und was Schnee und Kälte und das Feuer,
worin Moskau aufloderte, für sie gethan haben, das rechnen sie sich selbst
zum Ruhm an. Im Kreml liegen die 875 im Jahre 1812 erbeuteten Ge¬
schützrohre; die "Triumphpforte" am Anfang der Twerskaja ist "zur Erinnerung
an die Thaten Alexanders I. 1812" errichtet worden; fast in jeder Kirche
giebt es Erinnerungen an die Plünderung durch die Franzosen, und schmun¬
zelnd wird dem Besucher erzählt, wie oft sie Gegenstünde aus Goldblech oder
Kupfer als echtes Gold mitgenommen, massiv goldnen Schmuck aber stehen
gelassen haben, da sie ihn für unecht hielten. Das hervorragendste Denkmal
der "Erlösung" von den Franzosen aber ist der Chram Spassitelja, der Er¬
lösertempel, Rußlands schönste Kirche. Unter Nikolaus I. zur Erinnerung an
1812 begonnen, ist sie freilich erst 1883, in den Tagen, wo man sich zur
Freundschaft mit Frankreich entschloß, fertig geworden. Welche Ironie, daß
gerade während der Festtage von Toulon in allen Kirchen Rußlands, wie
alljährlich an dem bestimmten Tage, der Dankgottesdienst abgehalten wurde
sür die Befreiung von den Franzosen! Und eines Lächelns kann man sich
auch nicht erwehren, wenn man in der Peter-Pauls-Kathedrale der Peters¬
burger Festung den riesigen Silberkranz auf rotem Sammet sieht, den die
"Frcmznskaja Armja" beim Tode Alexanders III. gesandt hat: die Widmung
in russischer Sprache, als könnten die Enkel der "großen Armee" nicht anders
sprechen als russisch!

Aber mag auch der Überschwang der Huldigungen, zu denen sich die
Franzosen hinreißen lassen, den Russen manchmal ein Lächeln abnötigen, sie
fühlen sich doch geschmeichelt. Denn mit dem Ausländerhaß hat ihnen die
Periode Alexanders III. auch einen Nationalstolz gegeben, wie sie ihn in
diesem Maße früher nicht hatten.


Erlebtes und Beobachtetes aus Rußland

was ja begreiflich ist, und in gewissen Kreisen des Hofadels. Im übrigen
läßt sich der Standpunkt der Russen dahin zusammenfassen: die Franzosen sind
ihnen sympathisch, während sie gegen die Deutschen eine Abneigung haben;
aber Frankreich zuliebe sich in Gefahren zu stürzen, fällt ihnen gar nicht
ein. Ist Frankreich ihr „Freund," gut, so mag es ihnen gefüllig sein; denn
Rußlands Freund sein heißt ihnen Rußlands Diener sein. Nur darf Frankreich
keine Gegendienste verlangen außer einem gewissen herablassenden Wohlwollen.

Unter den Sehenswürdigkeiten Moskaus kommt die russisch-französische
Freundschaft zum Ausdruck in — zwei Glaskasten, einem im Historischen
Museum und einem im Polytechnischen Museum. Die Glaskasten enthalten
allerlei kunstgewerbliche Erzeugnisse zur Erinnerung an Kronstäbe und Toulon,
an den Tod Camoes und an den Tod Alexanders III., wohl sämtlich aus
Frankreich stammend, mehr überschwänglich als geschmackvoll: Statuetten,
Taschentücher, Cigarrenspitzen u. tgi. Sonst ist Moskau voll von Denkmälern —
der Feindschaft gegen die Franzosen. 1812 gilt den Russen als das glor¬
reichste Jahr ihrer Geschichte, und was Schnee und Kälte und das Feuer,
worin Moskau aufloderte, für sie gethan haben, das rechnen sie sich selbst
zum Ruhm an. Im Kreml liegen die 875 im Jahre 1812 erbeuteten Ge¬
schützrohre; die „Triumphpforte" am Anfang der Twerskaja ist „zur Erinnerung
an die Thaten Alexanders I. 1812" errichtet worden; fast in jeder Kirche
giebt es Erinnerungen an die Plünderung durch die Franzosen, und schmun¬
zelnd wird dem Besucher erzählt, wie oft sie Gegenstünde aus Goldblech oder
Kupfer als echtes Gold mitgenommen, massiv goldnen Schmuck aber stehen
gelassen haben, da sie ihn für unecht hielten. Das hervorragendste Denkmal
der „Erlösung" von den Franzosen aber ist der Chram Spassitelja, der Er¬
lösertempel, Rußlands schönste Kirche. Unter Nikolaus I. zur Erinnerung an
1812 begonnen, ist sie freilich erst 1883, in den Tagen, wo man sich zur
Freundschaft mit Frankreich entschloß, fertig geworden. Welche Ironie, daß
gerade während der Festtage von Toulon in allen Kirchen Rußlands, wie
alljährlich an dem bestimmten Tage, der Dankgottesdienst abgehalten wurde
sür die Befreiung von den Franzosen! Und eines Lächelns kann man sich
auch nicht erwehren, wenn man in der Peter-Pauls-Kathedrale der Peters¬
burger Festung den riesigen Silberkranz auf rotem Sammet sieht, den die
„Frcmznskaja Armja" beim Tode Alexanders III. gesandt hat: die Widmung
in russischer Sprache, als könnten die Enkel der „großen Armee" nicht anders
sprechen als russisch!

Aber mag auch der Überschwang der Huldigungen, zu denen sich die
Franzosen hinreißen lassen, den Russen manchmal ein Lächeln abnötigen, sie
fühlen sich doch geschmeichelt. Denn mit dem Ausländerhaß hat ihnen die
Periode Alexanders III. auch einen Nationalstolz gegeben, wie sie ihn in
diesem Maße früher nicht hatten.


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[0139] Erlebtes und Beobachtetes aus Rußland was ja begreiflich ist, und in gewissen Kreisen des Hofadels. Im übrigen läßt sich der Standpunkt der Russen dahin zusammenfassen: die Franzosen sind ihnen sympathisch, während sie gegen die Deutschen eine Abneigung haben; aber Frankreich zuliebe sich in Gefahren zu stürzen, fällt ihnen gar nicht ein. Ist Frankreich ihr „Freund," gut, so mag es ihnen gefüllig sein; denn Rußlands Freund sein heißt ihnen Rußlands Diener sein. Nur darf Frankreich keine Gegendienste verlangen außer einem gewissen herablassenden Wohlwollen. Unter den Sehenswürdigkeiten Moskaus kommt die russisch-französische Freundschaft zum Ausdruck in — zwei Glaskasten, einem im Historischen Museum und einem im Polytechnischen Museum. Die Glaskasten enthalten allerlei kunstgewerbliche Erzeugnisse zur Erinnerung an Kronstäbe und Toulon, an den Tod Camoes und an den Tod Alexanders III., wohl sämtlich aus Frankreich stammend, mehr überschwänglich als geschmackvoll: Statuetten, Taschentücher, Cigarrenspitzen u. tgi. Sonst ist Moskau voll von Denkmälern — der Feindschaft gegen die Franzosen. 1812 gilt den Russen als das glor¬ reichste Jahr ihrer Geschichte, und was Schnee und Kälte und das Feuer, worin Moskau aufloderte, für sie gethan haben, das rechnen sie sich selbst zum Ruhm an. Im Kreml liegen die 875 im Jahre 1812 erbeuteten Ge¬ schützrohre; die „Triumphpforte" am Anfang der Twerskaja ist „zur Erinnerung an die Thaten Alexanders I. 1812" errichtet worden; fast in jeder Kirche giebt es Erinnerungen an die Plünderung durch die Franzosen, und schmun¬ zelnd wird dem Besucher erzählt, wie oft sie Gegenstünde aus Goldblech oder Kupfer als echtes Gold mitgenommen, massiv goldnen Schmuck aber stehen gelassen haben, da sie ihn für unecht hielten. Das hervorragendste Denkmal der „Erlösung" von den Franzosen aber ist der Chram Spassitelja, der Er¬ lösertempel, Rußlands schönste Kirche. Unter Nikolaus I. zur Erinnerung an 1812 begonnen, ist sie freilich erst 1883, in den Tagen, wo man sich zur Freundschaft mit Frankreich entschloß, fertig geworden. Welche Ironie, daß gerade während der Festtage von Toulon in allen Kirchen Rußlands, wie alljährlich an dem bestimmten Tage, der Dankgottesdienst abgehalten wurde sür die Befreiung von den Franzosen! Und eines Lächelns kann man sich auch nicht erwehren, wenn man in der Peter-Pauls-Kathedrale der Peters¬ burger Festung den riesigen Silberkranz auf rotem Sammet sieht, den die „Frcmznskaja Armja" beim Tode Alexanders III. gesandt hat: die Widmung in russischer Sprache, als könnten die Enkel der „großen Armee" nicht anders sprechen als russisch! Aber mag auch der Überschwang der Huldigungen, zu denen sich die Franzosen hinreißen lassen, den Russen manchmal ein Lächeln abnötigen, sie fühlen sich doch geschmeichelt. Denn mit dem Ausländerhaß hat ihnen die Periode Alexanders III. auch einen Nationalstolz gegeben, wie sie ihn in diesem Maße früher nicht hatten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/139>, abgerufen am 06.01.2025.