Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.Erlebtes und Beobachtetes aus Rußland Und so erklärt sich auch der Ausländerhaß der Russen im allgemeinen, nur Das Verhältnis des Russen zum Franzosen ist von jeher etwas anders Ich will allerdings nicht aus diesem Verhältnis zu den französischen Erlebtes und Beobachtetes aus Rußland Und so erklärt sich auch der Ausländerhaß der Russen im allgemeinen, nur Das Verhältnis des Russen zum Franzosen ist von jeher etwas anders Ich will allerdings nicht aus diesem Verhältnis zu den französischen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0138" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223722"/> <fw type="header" place="top"> Erlebtes und Beobachtetes aus Rußland</fw><lb/> <p xml:id="ID_410"> Und so erklärt sich auch der Ausländerhaß der Russen im allgemeinen, nur<lb/> daß sie eben dem Deutschen am meisten verdanken und darum ihm am wenigsten<lb/> wohl wollen.</p><lb/> <p xml:id="ID_411"> Das Verhältnis des Russen zum Franzosen ist von jeher etwas anders<lb/> gewesen als das zum Deutschen. Die Berufe, in denen sich die Franzosen<lb/> hier am meisten auszeichneten, haben sie von vornherein liebenswürdiger<lb/> gemacht. Nicht daß es im Handel, in der Industrie, in der Wissenschaft usw.<lb/> um Franzosen gefehlt hätte; aber sie traten doch hinter den Deutschen<lb/> wesentlich zurück. Von einer französischen Einwanderung kann man nicht<lb/> reden, denn Frankreich hat ja schon seit langem keinen Bevölkeruugsüberschusz.<lb/> Neuerdings haben allerdings die Franzosen viel Kapital, besonders im süd¬<lb/> lichen Nußland arbeiten lassen. Der Nüsse hat die Franzosen kennen lernen<lb/> als „Tailleure," „Traiteure" und „Friseure." als Tanzmeister und Gesang¬<lb/> lehrer, als Sprachmeister und — Gouvernanten. Wer einmal den Unterschied<lb/> zwischen einer deutschen Erzieherin und einer — echten — französischen<lb/> Gouvernante kennen gelernt hat, der wird es den Russen nachfühlen, wenn<lb/> sie die Französin mehr ins Herz schließen. Da ist kein wissenschaftlicher, an<lb/> Examen erinnernder Anstrich, da ist nur ein gefälliges „Parliren" in einer<lb/> wohllautenden, eleganten Sprache. Wo etwa die französische Gouvernante<lb/> oder der französische Sprachlehrer unangenehme Seiten zeigt, da nimmt man<lb/> sie mit in den Kauf: diese Vertreter der westeuropäischen Bildung sind eben<lb/> ein notwendiges Übel. Denn seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts bis<lb/> heute ist es in Rußland Glaubenssatz geblieben, daß es feiner sei, französisch<lb/> als russisch zu sprechen; heute gilt dieser Satz wenigstens noch beim Adel,<lb/> ganz sicher im Kreise der Petersburger Garde. Solche Gouvernanten, Frisenre<lb/> und Kochkünstler siud aber in der Regel eine harmloses Spezies, die sich in<lb/> jeder Richtung gefällig erweist, sich ein bischen brutale Behandlung ohne<lb/> Widerrede gefallen läßt, kurz bequemer ist, als so ein „eingebildeter" deutscher<lb/> Arzt oder Apotheker, der außer schwerem Geld auch noch Rücksichten verlangt.<lb/> Man halte diese Gegenüberstellung nicht für boshafte Übertreibung: es ist echt<lb/> russisch gedacht.</p><lb/> <p xml:id="ID_412" next="#ID_413"> Ich will allerdings nicht aus diesem Verhältnis zu den französischen<lb/> Friseuren usw. die Stellung des russischen Volkes zu den Franzosen im all¬<lb/> gemeinen ableiten. Es mag andre völkerpsychvlogische Gründe haben, aber<lb/> es ist unbestreitbar, daß der Nüsse gegen den Franzosen ganz und gar nicht<lb/> das Gefühl der Hochachtung hat. Er sieht auf ihn wie die Bulldogge auf<lb/> den tanzenden Spitz. Jetzt, in der Zeit der ^.lliimocz tiÄnoo-russs, kommt ja<lb/> das kühle Ansichherankommenlassen des Nüssen oft heiter zum Ausdruck. Man<lb/> muß nur hören, wie herzlich sich Russen über das Fiasko der „französischen<lb/> Ausstellung" in Moskau lustig machen. Eine begeisterte Stimmung für ein<lb/> Bündnis mit Frankreich scheint durchaus uicht zu bestehen, höchstens im Heere,</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0138]
Erlebtes und Beobachtetes aus Rußland
Und so erklärt sich auch der Ausländerhaß der Russen im allgemeinen, nur
daß sie eben dem Deutschen am meisten verdanken und darum ihm am wenigsten
wohl wollen.
Das Verhältnis des Russen zum Franzosen ist von jeher etwas anders
gewesen als das zum Deutschen. Die Berufe, in denen sich die Franzosen
hier am meisten auszeichneten, haben sie von vornherein liebenswürdiger
gemacht. Nicht daß es im Handel, in der Industrie, in der Wissenschaft usw.
um Franzosen gefehlt hätte; aber sie traten doch hinter den Deutschen
wesentlich zurück. Von einer französischen Einwanderung kann man nicht
reden, denn Frankreich hat ja schon seit langem keinen Bevölkeruugsüberschusz.
Neuerdings haben allerdings die Franzosen viel Kapital, besonders im süd¬
lichen Nußland arbeiten lassen. Der Nüsse hat die Franzosen kennen lernen
als „Tailleure," „Traiteure" und „Friseure." als Tanzmeister und Gesang¬
lehrer, als Sprachmeister und — Gouvernanten. Wer einmal den Unterschied
zwischen einer deutschen Erzieherin und einer — echten — französischen
Gouvernante kennen gelernt hat, der wird es den Russen nachfühlen, wenn
sie die Französin mehr ins Herz schließen. Da ist kein wissenschaftlicher, an
Examen erinnernder Anstrich, da ist nur ein gefälliges „Parliren" in einer
wohllautenden, eleganten Sprache. Wo etwa die französische Gouvernante
oder der französische Sprachlehrer unangenehme Seiten zeigt, da nimmt man
sie mit in den Kauf: diese Vertreter der westeuropäischen Bildung sind eben
ein notwendiges Übel. Denn seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts bis
heute ist es in Rußland Glaubenssatz geblieben, daß es feiner sei, französisch
als russisch zu sprechen; heute gilt dieser Satz wenigstens noch beim Adel,
ganz sicher im Kreise der Petersburger Garde. Solche Gouvernanten, Frisenre
und Kochkünstler siud aber in der Regel eine harmloses Spezies, die sich in
jeder Richtung gefällig erweist, sich ein bischen brutale Behandlung ohne
Widerrede gefallen läßt, kurz bequemer ist, als so ein „eingebildeter" deutscher
Arzt oder Apotheker, der außer schwerem Geld auch noch Rücksichten verlangt.
Man halte diese Gegenüberstellung nicht für boshafte Übertreibung: es ist echt
russisch gedacht.
Ich will allerdings nicht aus diesem Verhältnis zu den französischen
Friseuren usw. die Stellung des russischen Volkes zu den Franzosen im all¬
gemeinen ableiten. Es mag andre völkerpsychvlogische Gründe haben, aber
es ist unbestreitbar, daß der Nüsse gegen den Franzosen ganz und gar nicht
das Gefühl der Hochachtung hat. Er sieht auf ihn wie die Bulldogge auf
den tanzenden Spitz. Jetzt, in der Zeit der ^.lliimocz tiÄnoo-russs, kommt ja
das kühle Ansichherankommenlassen des Nüssen oft heiter zum Ausdruck. Man
muß nur hören, wie herzlich sich Russen über das Fiasko der „französischen
Ausstellung" in Moskau lustig machen. Eine begeisterte Stimmung für ein
Bündnis mit Frankreich scheint durchaus uicht zu bestehen, höchstens im Heere,
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