Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.Erlebtes und Beobachtetes aus Rußland Katharina II. in Rußland, die größte Zahl aber seit den vierziger und fünf¬ , Sie haben aber auch allen Grund stolz zu sein auf das, was ihre Arbeit Erlebtes und Beobachtetes aus Rußland Katharina II. in Rußland, die größte Zahl aber seit den vierziger und fünf¬ , Sie haben aber auch allen Grund stolz zu sein auf das, was ihre Arbeit <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0135" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223719"/> <fw type="header" place="top"> Erlebtes und Beobachtetes aus Rußland</fw><lb/> <p xml:id="ID_404" prev="#ID_403"> Katharina II. in Rußland, die größte Zahl aber seit den vierziger und fünf¬<lb/> ziger Jahren unsers Jahrhunderts. Zum wesentliche» Teile bestehen diese<lb/> Kolonien aus Kaufleuten und Industriellen; daneben sind Lehrer, Ärzte, Tech¬<lb/> niker aller Art, Handwerker, kurz Vertreter aller Berufe, die das alte Ru߬<lb/> land natürlich noch nicht selbst hervorbringen konnte, in früherer Zeit, bis zu<lb/> den sechziger Jahren etwa, von der Regierung selbst unter guten Versprechungen<lb/> ins Land gezogen worden. Innerhalb der deutschen Kolonien bildete sich in<lb/> Petersburg wie in Moskau eine Art Patriziat ans. Als noch die „Stände"<lb/> geschieden waren, bestand die „erste Gilde" der Kaufmannschaft fast aus¬<lb/> schließlich aus Ausländern, vor allem aus Deutschen. Hatte man eine be¬<lb/> stimmte Anzahl von Jahren „erste Gilde bezahlt," so wurde man „erblicher<lb/> Ehrenbürger." Das hatte früher einen guten Klang; man hob dadurch mit<lb/> voller Absicht das Ansehen und das stolze Bewußtsein der Kaufleute und gab<lb/> ihnen einen Ersatz für den „Tschin," die Rangordnung der Beamten. Jetzt sind<lb/> diese Ehrentitel nur noch leerer Schall. Aber innerhalb der Deutschen sieht<lb/> man wohl noch einander darauf an, ob man zu diesem Patriziat gehört. Die<lb/> alteingesessenen Familien fühlen sich stolz als Kolonisatoren und als Pioniere<lb/> der Kultur. Und vielfach ist der Stolz, deutschen Stammes zu sein, in diesen<lb/> Kreisen noch scharf ausgeprägt. Sie sind nicht Reichsdeutsche, wollen es gar<lb/> nicht sein, sie sind getreue Unterthanen des Zaren, aber Russen genannt zu werden,<lb/> macht sie erröten, und dann hört man wohl das drastische Wort: „Wird denn<lb/> ein Pferd, das im Schweinestall geboren wird, ein Schwein?"</p><lb/> <p xml:id="ID_405" next="#ID_406"> , Sie haben aber auch allen Grund stolz zu sein auf das, was ihre Arbeit<lb/> in Rußland geschaffen hat. Rußland ist kein Amerika, das zerknitterte<lb/> Existenzen leicht wieder aufbügelt. Wer in Rußland „sein Glück sucht," muß<lb/> mit voller, frischer Kraft kommen. Die großen Weltfirmen Rußlands sind<lb/> mit geringen Ausnahmen in deutscheu Hunden. Deutsche sind es gewesen, die<lb/> gerade die wichtigsten Zweige des Handels hier geschaffen haben, die die<lb/> verschiedenartigen Erzeugnisse dieses verschwenderisch reichen Landes — denn<lb/> Rußlands Boden bietet alles, was ein Kulturland braucht — nutzbar gemacht<lb/> und dem Welthandel zugeführt haben. Noch steht diese Kulturarbeit fast in<lb/> deu Anfängen; die Russen selbst sind sich ihres Reichtums noch gar nicht ganz<lb/> bewußt, oder es fehlt ihnen der Trieb, die Quellen zu erschließen; und wo<lb/> ein findiger Ausländer ein neues Gebiet für die Produktion entdeckt, da hat<lb/> er durchaus nicht sofort auf Entgegenkommen der Behörden zu rechnen —<lb/> daß es in ihrem eignen, ihres Vaterlandes Vorteil liegt, solch ein neues Unter¬<lb/> nehmen zu unterstützen, kommt den russischen Beamten nicht ohne weiteres in<lb/> den Sinn. Der Unternehmer muß schon froh sein, wenn er die Erlaubnis<lb/> erhält, etwa eine Chaussee auf eigne Kosten zu bauen u. tgi. Darum ist,<lb/> trotz des gewaltige» Reichtums im Lande, trotzdem daß die „Vermögen auf<lb/> der Straße liegen," jeder Erfolg doch das Ergebnis mühsamen, ermüdenden</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0135]
Erlebtes und Beobachtetes aus Rußland
Katharina II. in Rußland, die größte Zahl aber seit den vierziger und fünf¬
ziger Jahren unsers Jahrhunderts. Zum wesentliche» Teile bestehen diese
Kolonien aus Kaufleuten und Industriellen; daneben sind Lehrer, Ärzte, Tech¬
niker aller Art, Handwerker, kurz Vertreter aller Berufe, die das alte Ru߬
land natürlich noch nicht selbst hervorbringen konnte, in früherer Zeit, bis zu
den sechziger Jahren etwa, von der Regierung selbst unter guten Versprechungen
ins Land gezogen worden. Innerhalb der deutschen Kolonien bildete sich in
Petersburg wie in Moskau eine Art Patriziat ans. Als noch die „Stände"
geschieden waren, bestand die „erste Gilde" der Kaufmannschaft fast aus¬
schließlich aus Ausländern, vor allem aus Deutschen. Hatte man eine be¬
stimmte Anzahl von Jahren „erste Gilde bezahlt," so wurde man „erblicher
Ehrenbürger." Das hatte früher einen guten Klang; man hob dadurch mit
voller Absicht das Ansehen und das stolze Bewußtsein der Kaufleute und gab
ihnen einen Ersatz für den „Tschin," die Rangordnung der Beamten. Jetzt sind
diese Ehrentitel nur noch leerer Schall. Aber innerhalb der Deutschen sieht
man wohl noch einander darauf an, ob man zu diesem Patriziat gehört. Die
alteingesessenen Familien fühlen sich stolz als Kolonisatoren und als Pioniere
der Kultur. Und vielfach ist der Stolz, deutschen Stammes zu sein, in diesen
Kreisen noch scharf ausgeprägt. Sie sind nicht Reichsdeutsche, wollen es gar
nicht sein, sie sind getreue Unterthanen des Zaren, aber Russen genannt zu werden,
macht sie erröten, und dann hört man wohl das drastische Wort: „Wird denn
ein Pferd, das im Schweinestall geboren wird, ein Schwein?"
, Sie haben aber auch allen Grund stolz zu sein auf das, was ihre Arbeit
in Rußland geschaffen hat. Rußland ist kein Amerika, das zerknitterte
Existenzen leicht wieder aufbügelt. Wer in Rußland „sein Glück sucht," muß
mit voller, frischer Kraft kommen. Die großen Weltfirmen Rußlands sind
mit geringen Ausnahmen in deutscheu Hunden. Deutsche sind es gewesen, die
gerade die wichtigsten Zweige des Handels hier geschaffen haben, die die
verschiedenartigen Erzeugnisse dieses verschwenderisch reichen Landes — denn
Rußlands Boden bietet alles, was ein Kulturland braucht — nutzbar gemacht
und dem Welthandel zugeführt haben. Noch steht diese Kulturarbeit fast in
deu Anfängen; die Russen selbst sind sich ihres Reichtums noch gar nicht ganz
bewußt, oder es fehlt ihnen der Trieb, die Quellen zu erschließen; und wo
ein findiger Ausländer ein neues Gebiet für die Produktion entdeckt, da hat
er durchaus nicht sofort auf Entgegenkommen der Behörden zu rechnen —
daß es in ihrem eignen, ihres Vaterlandes Vorteil liegt, solch ein neues Unter¬
nehmen zu unterstützen, kommt den russischen Beamten nicht ohne weiteres in
den Sinn. Der Unternehmer muß schon froh sein, wenn er die Erlaubnis
erhält, etwa eine Chaussee auf eigne Kosten zu bauen u. tgi. Darum ist,
trotz des gewaltige» Reichtums im Lande, trotzdem daß die „Vermögen auf
der Straße liegen," jeder Erfolg doch das Ergebnis mühsamen, ermüdenden
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |