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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Friedrich der Große und der Ursprung des siebenjährigen Krieges

finden. Der Brief an den Prinzen aber handelt nur von der Mattsetzung
Sachsens durch die Konvention von Westminster, "durch einen kleinen Feder¬
strich," wie der König selbst sagt. Von einer "Vernichtung" Sachsens ist
keineswegs die Rede. "Das haben ausnahmslos alle Gelehrten erkannt, die
sich mit diesem Briefe des Königs beschäftigt haben." Wenn irgendwo die
Methode Lehmanns, "das Geheimnis als die quellenkritische Grundlage bei
der Beurteilung der Friderizianischen Briefe anzunehmen, Berechtigung hat,
so hier."

Nach Lehmanns Darstellung hat Friedrich seine Eroberungsabsichten
auf Sachsen vor aller Welt geflissentlich verheimlicht. Selbst seine Gesandten
erfahren nichts davon, werden vielmehr in dem Glauben an die friedlichen
Absichten ihres Herrn erhalten. Und nun sollte er diesem Bruder gegenüber,
den er bekanntlich nicht sonderlich schmeichelhaft beurteilte, "der sicherlich nicht
das Maß von Verschwiegenheit hatte, wie es Friedrich in diesem Falle fordern
mußte, von diesem Geheimnis in einem Tone sprechen, der voraussetzt, daß es
dem Bruder längst bekannt war," und das in einem Briefe, der bestimmt war,
den dnrch die Aussicht auf einen großen Krieg erschreckten Bruder zu be¬
ruhigen? "Er sollte dies Geheimnis dem Prinzen August Wilhelm mitgeteilt
haben, während er den von ihm hochgeschätzten Prinzen Heinrich so vollkommen
im Unklaren ließ, daß dieser von den friedlichen Absichten seines königlichen
Bruders völlig überzeugt blieb? Sollte August Wilhelm mit Heinrich nicht
darüber gesprochen haben?"

Weiter verweist Lehmann auf einen Brief Friedrichs aus dem Februar
1731, auf die beiden politischen Testamente von 1752 und 1768 und auf das
l^xpos" co g'onvkrnsnrsnt, von 1775. Dem Briefe aus der kronprinzlichen
Zeit, "einem Stück jugendlicher Disputirlust," wird keine besondre Bedeutung
beizumessen sein. Das Üxxo8v erklärt die Erwerbung Sachsens für politisch
notwendig, behandelt aber die ganze Frage ohne jede Beziehung auf ein be¬
stimmtes Ereignis. Es darf ihm also auch keine auf ein beinahe zwanzig
Jahre zurückliegendes Ereignis beigelegt werden. Wenn das Lehmann thut, so
macht er sich eines argen Verstoßes gegen die historische Methode schuldig. Das
Testament von 1768 kommt hier gar nicht in Betracht. Lehmann hat es
augenscheinlich nicht gesehen, trotzdem behauptet er kühnlich, es enthalte an
mehr als einer Stelle Hinweise auf die Erwerbung Sachsens. Ein Blick aber
in die bisher, besonders von Reimcmn, daraus gegebnen Mitteilungen zeigt,
daß nichts von alledem darin zu finden ist. Vor allein kommt es Lehmann
aus das Testament von 1752 an, das bedauerlicherweise seinem vollständigen
Wortlaute nach noch nicht veröffentlicht ist. Nachdem schon vor Jahren Ranke
seine Publikation beanstandet hatte, ist sie neuerdings wieder durch das aus¬
wärtige Amt verhindert worden, der Wissenschaft zum Nachteil, dem Andenken
des großen Königs wahrlich nicht zum Vorteil. Lehmann hat es im Berliner


Friedrich der Große und der Ursprung des siebenjährigen Krieges

finden. Der Brief an den Prinzen aber handelt nur von der Mattsetzung
Sachsens durch die Konvention von Westminster, „durch einen kleinen Feder¬
strich," wie der König selbst sagt. Von einer „Vernichtung" Sachsens ist
keineswegs die Rede. „Das haben ausnahmslos alle Gelehrten erkannt, die
sich mit diesem Briefe des Königs beschäftigt haben." Wenn irgendwo die
Methode Lehmanns, „das Geheimnis als die quellenkritische Grundlage bei
der Beurteilung der Friderizianischen Briefe anzunehmen, Berechtigung hat,
so hier."

Nach Lehmanns Darstellung hat Friedrich seine Eroberungsabsichten
auf Sachsen vor aller Welt geflissentlich verheimlicht. Selbst seine Gesandten
erfahren nichts davon, werden vielmehr in dem Glauben an die friedlichen
Absichten ihres Herrn erhalten. Und nun sollte er diesem Bruder gegenüber,
den er bekanntlich nicht sonderlich schmeichelhaft beurteilte, „der sicherlich nicht
das Maß von Verschwiegenheit hatte, wie es Friedrich in diesem Falle fordern
mußte, von diesem Geheimnis in einem Tone sprechen, der voraussetzt, daß es
dem Bruder längst bekannt war," und das in einem Briefe, der bestimmt war,
den dnrch die Aussicht auf einen großen Krieg erschreckten Bruder zu be¬
ruhigen? „Er sollte dies Geheimnis dem Prinzen August Wilhelm mitgeteilt
haben, während er den von ihm hochgeschätzten Prinzen Heinrich so vollkommen
im Unklaren ließ, daß dieser von den friedlichen Absichten seines königlichen
Bruders völlig überzeugt blieb? Sollte August Wilhelm mit Heinrich nicht
darüber gesprochen haben?"

Weiter verweist Lehmann auf einen Brief Friedrichs aus dem Februar
1731, auf die beiden politischen Testamente von 1752 und 1768 und auf das
l^xpos« co g'onvkrnsnrsnt, von 1775. Dem Briefe aus der kronprinzlichen
Zeit, „einem Stück jugendlicher Disputirlust," wird keine besondre Bedeutung
beizumessen sein. Das Üxxo8v erklärt die Erwerbung Sachsens für politisch
notwendig, behandelt aber die ganze Frage ohne jede Beziehung auf ein be¬
stimmtes Ereignis. Es darf ihm also auch keine auf ein beinahe zwanzig
Jahre zurückliegendes Ereignis beigelegt werden. Wenn das Lehmann thut, so
macht er sich eines argen Verstoßes gegen die historische Methode schuldig. Das
Testament von 1768 kommt hier gar nicht in Betracht. Lehmann hat es
augenscheinlich nicht gesehen, trotzdem behauptet er kühnlich, es enthalte an
mehr als einer Stelle Hinweise auf die Erwerbung Sachsens. Ein Blick aber
in die bisher, besonders von Reimcmn, daraus gegebnen Mitteilungen zeigt,
daß nichts von alledem darin zu finden ist. Vor allein kommt es Lehmann
aus das Testament von 1752 an, das bedauerlicherweise seinem vollständigen
Wortlaute nach noch nicht veröffentlicht ist. Nachdem schon vor Jahren Ranke
seine Publikation beanstandet hatte, ist sie neuerdings wieder durch das aus¬
wärtige Amt verhindert worden, der Wissenschaft zum Nachteil, dem Andenken
des großen Königs wahrlich nicht zum Vorteil. Lehmann hat es im Berliner


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[0075] Friedrich der Große und der Ursprung des siebenjährigen Krieges finden. Der Brief an den Prinzen aber handelt nur von der Mattsetzung Sachsens durch die Konvention von Westminster, „durch einen kleinen Feder¬ strich," wie der König selbst sagt. Von einer „Vernichtung" Sachsens ist keineswegs die Rede. „Das haben ausnahmslos alle Gelehrten erkannt, die sich mit diesem Briefe des Königs beschäftigt haben." Wenn irgendwo die Methode Lehmanns, „das Geheimnis als die quellenkritische Grundlage bei der Beurteilung der Friderizianischen Briefe anzunehmen, Berechtigung hat, so hier." Nach Lehmanns Darstellung hat Friedrich seine Eroberungsabsichten auf Sachsen vor aller Welt geflissentlich verheimlicht. Selbst seine Gesandten erfahren nichts davon, werden vielmehr in dem Glauben an die friedlichen Absichten ihres Herrn erhalten. Und nun sollte er diesem Bruder gegenüber, den er bekanntlich nicht sonderlich schmeichelhaft beurteilte, „der sicherlich nicht das Maß von Verschwiegenheit hatte, wie es Friedrich in diesem Falle fordern mußte, von diesem Geheimnis in einem Tone sprechen, der voraussetzt, daß es dem Bruder längst bekannt war," und das in einem Briefe, der bestimmt war, den dnrch die Aussicht auf einen großen Krieg erschreckten Bruder zu be¬ ruhigen? „Er sollte dies Geheimnis dem Prinzen August Wilhelm mitgeteilt haben, während er den von ihm hochgeschätzten Prinzen Heinrich so vollkommen im Unklaren ließ, daß dieser von den friedlichen Absichten seines königlichen Bruders völlig überzeugt blieb? Sollte August Wilhelm mit Heinrich nicht darüber gesprochen haben?" Weiter verweist Lehmann auf einen Brief Friedrichs aus dem Februar 1731, auf die beiden politischen Testamente von 1752 und 1768 und auf das l^xpos« co g'onvkrnsnrsnt, von 1775. Dem Briefe aus der kronprinzlichen Zeit, „einem Stück jugendlicher Disputirlust," wird keine besondre Bedeutung beizumessen sein. Das Üxxo8v erklärt die Erwerbung Sachsens für politisch notwendig, behandelt aber die ganze Frage ohne jede Beziehung auf ein be¬ stimmtes Ereignis. Es darf ihm also auch keine auf ein beinahe zwanzig Jahre zurückliegendes Ereignis beigelegt werden. Wenn das Lehmann thut, so macht er sich eines argen Verstoßes gegen die historische Methode schuldig. Das Testament von 1768 kommt hier gar nicht in Betracht. Lehmann hat es augenscheinlich nicht gesehen, trotzdem behauptet er kühnlich, es enthalte an mehr als einer Stelle Hinweise auf die Erwerbung Sachsens. Ein Blick aber in die bisher, besonders von Reimcmn, daraus gegebnen Mitteilungen zeigt, daß nichts von alledem darin zu finden ist. Vor allein kommt es Lehmann aus das Testament von 1752 an, das bedauerlicherweise seinem vollständigen Wortlaute nach noch nicht veröffentlicht ist. Nachdem schon vor Jahren Ranke seine Publikation beanstandet hatte, ist sie neuerdings wieder durch das aus¬ wärtige Amt verhindert worden, der Wissenschaft zum Nachteil, dem Andenken des großen Königs wahrlich nicht zum Vorteil. Lehmann hat es im Berliner

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/75>, abgerufen am 27.11.2024.