Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Albert Dult

angefaßt, und nichts vollendet, nichts gethan. Zwecklose Mühe, zielloses
Streben! Ich habe den Ehrgeiz der Unsterblichkeit und gehe in Kleinigkeiten
unter. Mit dreißig Jahren stehe ich noch an den Pforten der geistigen und
bürgerlichen Existenz, und ohne festen Kern bin ich in die Revolution geworfen
und wurde vou ihr geknetet und geformt nach den kleinen Ereignissen wechselnder
Tage, statt den ewigen, dem Genius vorgezeichneten Gang zu gehen. Was
habe ich nur seit der Revolution nicht alles gethan! Ich frage den Weltgeist:
wozu, warum das alles! Um mich wie bisher noch immer im Leben zu
überzeugen, daß alle begonnenen Bahnen mich nicht zum Rechten führen."

Warum diese Stimmung und Selbsterkenntnis fruchtlos blieb und
Dult sich über den Bhronismus und den Glauben an die allein seligmachende
Revolution nicht erhob, könnte nur eine vollkommne Kenntnis persönlicher
Zustände, über die die Biographie lediglich dunkle Andentungen macht, eine
sehr eingehende psychologische Erörterung aufklären. Dult lehrte, an dem
Siege der Demokratie zunächst verzweifelnd, vorübergehend Europa und auf ein
Jahrzehnt Deutschland den Rücken. Er ging über Ägypten uach Arabien, lebte
einige Monate in einer Höhle am Sinai, fühlte sich dort als ein andrer
Moses, voll Sehnsucht, "Wahrheit und Recht nicht nur zu üben, sondern
auch zu verkünden, um dann still wie Mose in den Bergen zu verschwinden,"
siedelte dann 1850 von Königsberg nach der Schweiz über, wo er sich ober¬
halb Montreux und Clarens ein Vauernhaus in Chaulin erwarb und einrichtete
und bis zum Jahre 1858 lebte. Lange vor Friedrich Nietzsche erhob er sich
über die Herdenmenschheit, lebte und dichtete in einer Sennhütte an dein wild¬
romantischen Cubly und schuf sich auch sonst ein Leben nach allerpersönlichsten
Wünschen und Überzeugungen. Die Geschichte seiner Doppelehe, mit der sich
der Don Ina" der vierziger Jahre in einen alttestamentarischen Patriarchen
zu verwandeln strebte, möge man in Ziels Studie nachlesen. Ende 1858
trat er durch seine Niederlassung in Stuttgart auf deutschen Boden, in
litterarische und politische Kreise zurück. Er schloß sich, da die Politik für ihn
nach wie vor im Bordergrunde seiner Interessen stand, zuerst der süddeutschen
Demokratie, der württembergischen Volkspartei an und wurde später hier einer
der Führer und Redner der Sozialdemokratin Weder 1866 noch 1870 stillte
ihm den alten Grimm gegen die preußische Monarchie und gegen alles, was
er "imperialistische Zivilisntiou" nannte. Sein eigenstes Schicksal aber war,
daß nicht seine politischen Anschauungen und Agitationen, noch anch die
Dichtungen, von denen "Jesus der Christ," "Simson," "Konrad II." und
"Willa" im Laufe dieser Jahre hervortraten, sondern immer nur gewisse per¬
sönliche Erlebnisse, Kraftstücke seiner Natur, die allgemeine Aufmerksamkeit auf
ihn lenkten. Daß er den Bodensee von Romanshorn bis Friedrichshafen
durchschwamm, daß er zu Fuß die öden Lappmarken durchwanderte, daß er
wiederum als Klausner in einem verlassenen hölzernen Waldhüterhäuschen bei


Gvenzboten III 1896 78
Albert Dult

angefaßt, und nichts vollendet, nichts gethan. Zwecklose Mühe, zielloses
Streben! Ich habe den Ehrgeiz der Unsterblichkeit und gehe in Kleinigkeiten
unter. Mit dreißig Jahren stehe ich noch an den Pforten der geistigen und
bürgerlichen Existenz, und ohne festen Kern bin ich in die Revolution geworfen
und wurde vou ihr geknetet und geformt nach den kleinen Ereignissen wechselnder
Tage, statt den ewigen, dem Genius vorgezeichneten Gang zu gehen. Was
habe ich nur seit der Revolution nicht alles gethan! Ich frage den Weltgeist:
wozu, warum das alles! Um mich wie bisher noch immer im Leben zu
überzeugen, daß alle begonnenen Bahnen mich nicht zum Rechten führen."

Warum diese Stimmung und Selbsterkenntnis fruchtlos blieb und
Dult sich über den Bhronismus und den Glauben an die allein seligmachende
Revolution nicht erhob, könnte nur eine vollkommne Kenntnis persönlicher
Zustände, über die die Biographie lediglich dunkle Andentungen macht, eine
sehr eingehende psychologische Erörterung aufklären. Dult lehrte, an dem
Siege der Demokratie zunächst verzweifelnd, vorübergehend Europa und auf ein
Jahrzehnt Deutschland den Rücken. Er ging über Ägypten uach Arabien, lebte
einige Monate in einer Höhle am Sinai, fühlte sich dort als ein andrer
Moses, voll Sehnsucht, „Wahrheit und Recht nicht nur zu üben, sondern
auch zu verkünden, um dann still wie Mose in den Bergen zu verschwinden,"
siedelte dann 1850 von Königsberg nach der Schweiz über, wo er sich ober¬
halb Montreux und Clarens ein Vauernhaus in Chaulin erwarb und einrichtete
und bis zum Jahre 1858 lebte. Lange vor Friedrich Nietzsche erhob er sich
über die Herdenmenschheit, lebte und dichtete in einer Sennhütte an dein wild¬
romantischen Cubly und schuf sich auch sonst ein Leben nach allerpersönlichsten
Wünschen und Überzeugungen. Die Geschichte seiner Doppelehe, mit der sich
der Don Ina« der vierziger Jahre in einen alttestamentarischen Patriarchen
zu verwandeln strebte, möge man in Ziels Studie nachlesen. Ende 1858
trat er durch seine Niederlassung in Stuttgart auf deutschen Boden, in
litterarische und politische Kreise zurück. Er schloß sich, da die Politik für ihn
nach wie vor im Bordergrunde seiner Interessen stand, zuerst der süddeutschen
Demokratie, der württembergischen Volkspartei an und wurde später hier einer
der Führer und Redner der Sozialdemokratin Weder 1866 noch 1870 stillte
ihm den alten Grimm gegen die preußische Monarchie und gegen alles, was
er „imperialistische Zivilisntiou" nannte. Sein eigenstes Schicksal aber war,
daß nicht seine politischen Anschauungen und Agitationen, noch anch die
Dichtungen, von denen „Jesus der Christ," „Simson," „Konrad II." und
„Willa" im Laufe dieser Jahre hervortraten, sondern immer nur gewisse per¬
sönliche Erlebnisse, Kraftstücke seiner Natur, die allgemeine Aufmerksamkeit auf
ihn lenkten. Daß er den Bodensee von Romanshorn bis Friedrichshafen
durchschwamm, daß er zu Fuß die öden Lappmarken durchwanderte, daß er
wiederum als Klausner in einem verlassenen hölzernen Waldhüterhäuschen bei


Gvenzboten III 1896 78
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0625" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223567"/>
          <fw type="header" place="top"> Albert Dult</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1737" prev="#ID_1736"> angefaßt, und nichts vollendet, nichts gethan. Zwecklose Mühe, zielloses<lb/>
Streben! Ich habe den Ehrgeiz der Unsterblichkeit und gehe in Kleinigkeiten<lb/>
unter. Mit dreißig Jahren stehe ich noch an den Pforten der geistigen und<lb/>
bürgerlichen Existenz, und ohne festen Kern bin ich in die Revolution geworfen<lb/>
und wurde vou ihr geknetet und geformt nach den kleinen Ereignissen wechselnder<lb/>
Tage, statt den ewigen, dem Genius vorgezeichneten Gang zu gehen. Was<lb/>
habe ich nur seit der Revolution nicht alles gethan! Ich frage den Weltgeist:<lb/>
wozu, warum das alles! Um mich wie bisher noch immer im Leben zu<lb/>
überzeugen, daß alle begonnenen Bahnen mich nicht zum Rechten führen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1738" next="#ID_1739"> Warum diese Stimmung und Selbsterkenntnis fruchtlos blieb und<lb/>
Dult sich über den Bhronismus und den Glauben an die allein seligmachende<lb/>
Revolution nicht erhob, könnte nur eine vollkommne Kenntnis persönlicher<lb/>
Zustände, über die die Biographie lediglich dunkle Andentungen macht, eine<lb/>
sehr eingehende psychologische Erörterung aufklären. Dult lehrte, an dem<lb/>
Siege der Demokratie zunächst verzweifelnd, vorübergehend Europa und auf ein<lb/>
Jahrzehnt Deutschland den Rücken. Er ging über Ägypten uach Arabien, lebte<lb/>
einige Monate in einer Höhle am Sinai, fühlte sich dort als ein andrer<lb/>
Moses, voll Sehnsucht, &#x201E;Wahrheit und Recht nicht nur zu üben, sondern<lb/>
auch zu verkünden, um dann still wie Mose in den Bergen zu verschwinden,"<lb/>
siedelte dann 1850 von Königsberg nach der Schweiz über, wo er sich ober¬<lb/>
halb Montreux und Clarens ein Vauernhaus in Chaulin erwarb und einrichtete<lb/>
und bis zum Jahre 1858 lebte. Lange vor Friedrich Nietzsche erhob er sich<lb/>
über die Herdenmenschheit, lebte und dichtete in einer Sennhütte an dein wild¬<lb/>
romantischen Cubly und schuf sich auch sonst ein Leben nach allerpersönlichsten<lb/>
Wünschen und Überzeugungen. Die Geschichte seiner Doppelehe, mit der sich<lb/>
der Don Ina« der vierziger Jahre in einen alttestamentarischen Patriarchen<lb/>
zu verwandeln strebte, möge man in Ziels Studie nachlesen. Ende 1858<lb/>
trat er durch seine Niederlassung in Stuttgart auf deutschen Boden, in<lb/>
litterarische und politische Kreise zurück. Er schloß sich, da die Politik für ihn<lb/>
nach wie vor im Bordergrunde seiner Interessen stand, zuerst der süddeutschen<lb/>
Demokratie, der württembergischen Volkspartei an und wurde später hier einer<lb/>
der Führer und Redner der Sozialdemokratin Weder 1866 noch 1870 stillte<lb/>
ihm den alten Grimm gegen die preußische Monarchie und gegen alles, was<lb/>
er &#x201E;imperialistische Zivilisntiou" nannte. Sein eigenstes Schicksal aber war,<lb/>
daß nicht seine politischen Anschauungen und Agitationen, noch anch die<lb/>
Dichtungen, von denen &#x201E;Jesus der Christ," &#x201E;Simson," &#x201E;Konrad II." und<lb/>
&#x201E;Willa" im Laufe dieser Jahre hervortraten, sondern immer nur gewisse per¬<lb/>
sönliche Erlebnisse, Kraftstücke seiner Natur, die allgemeine Aufmerksamkeit auf<lb/>
ihn lenkten. Daß er den Bodensee von Romanshorn bis Friedrichshafen<lb/>
durchschwamm, daß er zu Fuß die öden Lappmarken durchwanderte, daß er<lb/>
wiederum als Klausner in einem verlassenen hölzernen Waldhüterhäuschen bei</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Gvenzboten III 1896 78</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0625] Albert Dult angefaßt, und nichts vollendet, nichts gethan. Zwecklose Mühe, zielloses Streben! Ich habe den Ehrgeiz der Unsterblichkeit und gehe in Kleinigkeiten unter. Mit dreißig Jahren stehe ich noch an den Pforten der geistigen und bürgerlichen Existenz, und ohne festen Kern bin ich in die Revolution geworfen und wurde vou ihr geknetet und geformt nach den kleinen Ereignissen wechselnder Tage, statt den ewigen, dem Genius vorgezeichneten Gang zu gehen. Was habe ich nur seit der Revolution nicht alles gethan! Ich frage den Weltgeist: wozu, warum das alles! Um mich wie bisher noch immer im Leben zu überzeugen, daß alle begonnenen Bahnen mich nicht zum Rechten führen." Warum diese Stimmung und Selbsterkenntnis fruchtlos blieb und Dult sich über den Bhronismus und den Glauben an die allein seligmachende Revolution nicht erhob, könnte nur eine vollkommne Kenntnis persönlicher Zustände, über die die Biographie lediglich dunkle Andentungen macht, eine sehr eingehende psychologische Erörterung aufklären. Dult lehrte, an dem Siege der Demokratie zunächst verzweifelnd, vorübergehend Europa und auf ein Jahrzehnt Deutschland den Rücken. Er ging über Ägypten uach Arabien, lebte einige Monate in einer Höhle am Sinai, fühlte sich dort als ein andrer Moses, voll Sehnsucht, „Wahrheit und Recht nicht nur zu üben, sondern auch zu verkünden, um dann still wie Mose in den Bergen zu verschwinden," siedelte dann 1850 von Königsberg nach der Schweiz über, wo er sich ober¬ halb Montreux und Clarens ein Vauernhaus in Chaulin erwarb und einrichtete und bis zum Jahre 1858 lebte. Lange vor Friedrich Nietzsche erhob er sich über die Herdenmenschheit, lebte und dichtete in einer Sennhütte an dein wild¬ romantischen Cubly und schuf sich auch sonst ein Leben nach allerpersönlichsten Wünschen und Überzeugungen. Die Geschichte seiner Doppelehe, mit der sich der Don Ina« der vierziger Jahre in einen alttestamentarischen Patriarchen zu verwandeln strebte, möge man in Ziels Studie nachlesen. Ende 1858 trat er durch seine Niederlassung in Stuttgart auf deutschen Boden, in litterarische und politische Kreise zurück. Er schloß sich, da die Politik für ihn nach wie vor im Bordergrunde seiner Interessen stand, zuerst der süddeutschen Demokratie, der württembergischen Volkspartei an und wurde später hier einer der Führer und Redner der Sozialdemokratin Weder 1866 noch 1870 stillte ihm den alten Grimm gegen die preußische Monarchie und gegen alles, was er „imperialistische Zivilisntiou" nannte. Sein eigenstes Schicksal aber war, daß nicht seine politischen Anschauungen und Agitationen, noch anch die Dichtungen, von denen „Jesus der Christ," „Simson," „Konrad II." und „Willa" im Laufe dieser Jahre hervortraten, sondern immer nur gewisse per¬ sönliche Erlebnisse, Kraftstücke seiner Natur, die allgemeine Aufmerksamkeit auf ihn lenkten. Daß er den Bodensee von Romanshorn bis Friedrichshafen durchschwamm, daß er zu Fuß die öden Lappmarken durchwanderte, daß er wiederum als Klausner in einem verlassenen hölzernen Waldhüterhäuschen bei Gvenzboten III 1896 78

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/625
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/625>, abgerufen am 30.07.2024.