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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Agrarische Sünden vor hundert Jahren

Wert ihrer Güter und den Umfang ihres ursprünglichen Vermögens hinaus¬
reichte." An einer andern Stelle (I, S. 284) schreibt er: "Verleitet durch die
hohen Getreidepreise, welche die lang dauernden Seekriege gleich nach der Er¬
richtung der Landschaften in einer Reihe von Jahren herbeiführten, hatte man
diese zu einem Maßstabe für den Wert der Güter bestimmt. So waren Guts¬
taxen zum Vorschein gekommen, die den alten Grundpreis drei-, vier- und
mehrfach überstiegen. Der Adel hatte sich dadurch auf einmal reich gefühlt,
seine frühere einfache Weise mit städtischem Wohlleben vertauscht und deshalb
versäumt, die ihm durch eine Reihe vou Jahren zugeflossenen größern Ein¬
nahmen zur Abtragung seiner Schulden zu benutzen. Diese Täuschung hatte
der Krieg plötzlich zerstört. Das Getreide und mit ihm die Grundstücke ver¬
loren auf einmal ihren Wert, während die Größe der zu zahlenden Zinse"
immer dieselbe blieb. Der größte Teil der Grundbesitzer waren eigentlich nun
nicht mehr Eigentümer, sondern übersetzte Pächter, die nicht einmal auf eine
billige Remission rechnen konnten. Diesem ungünstigen Verhältnis schreibe ich
es auch zu, daß sich mehrere der Gutsbesitzer nicht so selbständig gegen die
Franzosen benahmen, als man es wohl von ihnen Hütte erwarten können.
Ein rechtlicher Mann, der mit großer Schuldenlast zu kämpfen hat, verliert
gewöhnlich den freien Blick und das Gefühl für die Erhaltung des Vater¬
landes, er ordnet sich allen Verhältnissen unter, wenn diese nur die Aussicht
geben, daß er fortdauernd die Zinsen zahlen kann, während ein freier Eigen¬
tümer, wenn es sein muß, zur Erhaltung des Vaterlandes selbst seine Hütte
opfert."

In welcher Weise die günstige Lage vor hundert Jahren von den preußischen
Gutsbesitzern ausgenutzt wurde, das schildert endlich ein Herr von Knobloch, der
übrigens bereits vollkommen den neupreußischen Agrarierstandpunkt einnimmt,
sehr lehrreich in einer 1830 erschienenen Schrift: "Über das Entstehen und die
dringend notwendige Abhilfe derjenigen Not, welche jetzt alle Landwirte drückt, und
über die Pflegung des Kredits aller Gewerbe. In besondrer Hinsicht auf den
preußischen Staat" (Berlin, bei Enslin). Er schreibt darüber wörtlich: "Mehreren
Gutsbesitzern gelang es, bei bewirkten Verkäufen zur Erhöhung des Kredits
der verkauften Güter in unredlicher Vorspieglung beträchtlich größere Kauf-
prcissummen im Kaufkontrakt angegeben zu erhalten, und sie benutzten die¬
jenigen Gelder, welche sie mittels des zu hoch gestandnen Kredits sehr bald
geliehen erhalten hatten, dazu, sich in Gegenden, wo die Güter noch für geringe
Preise zu haben waren, andre Güter zu erwerben; ja es gelang sogar vielen,
durch landschaftliche Kreditanstalten auf den in solchen wohlfeilen Gegenden
erkauften Gütern mehr noch angeliehen zu erhalten, als sie Kaufgeld dafür in
Wahrheit gegeben hatten, und die Täuschung, welche dieser Verkehr mit Land¬
gütern erzeugte, war so groß und so allgemein, daß nicht bloß die Kapitalisten
bei den Darlehnsgewahrnngcn, sondern auch die auf diesem Wege zu großem


Agrarische Sünden vor hundert Jahren

Wert ihrer Güter und den Umfang ihres ursprünglichen Vermögens hinaus¬
reichte." An einer andern Stelle (I, S. 284) schreibt er: „Verleitet durch die
hohen Getreidepreise, welche die lang dauernden Seekriege gleich nach der Er¬
richtung der Landschaften in einer Reihe von Jahren herbeiführten, hatte man
diese zu einem Maßstabe für den Wert der Güter bestimmt. So waren Guts¬
taxen zum Vorschein gekommen, die den alten Grundpreis drei-, vier- und
mehrfach überstiegen. Der Adel hatte sich dadurch auf einmal reich gefühlt,
seine frühere einfache Weise mit städtischem Wohlleben vertauscht und deshalb
versäumt, die ihm durch eine Reihe vou Jahren zugeflossenen größern Ein¬
nahmen zur Abtragung seiner Schulden zu benutzen. Diese Täuschung hatte
der Krieg plötzlich zerstört. Das Getreide und mit ihm die Grundstücke ver¬
loren auf einmal ihren Wert, während die Größe der zu zahlenden Zinse»
immer dieselbe blieb. Der größte Teil der Grundbesitzer waren eigentlich nun
nicht mehr Eigentümer, sondern übersetzte Pächter, die nicht einmal auf eine
billige Remission rechnen konnten. Diesem ungünstigen Verhältnis schreibe ich
es auch zu, daß sich mehrere der Gutsbesitzer nicht so selbständig gegen die
Franzosen benahmen, als man es wohl von ihnen Hütte erwarten können.
Ein rechtlicher Mann, der mit großer Schuldenlast zu kämpfen hat, verliert
gewöhnlich den freien Blick und das Gefühl für die Erhaltung des Vater¬
landes, er ordnet sich allen Verhältnissen unter, wenn diese nur die Aussicht
geben, daß er fortdauernd die Zinsen zahlen kann, während ein freier Eigen¬
tümer, wenn es sein muß, zur Erhaltung des Vaterlandes selbst seine Hütte
opfert."

In welcher Weise die günstige Lage vor hundert Jahren von den preußischen
Gutsbesitzern ausgenutzt wurde, das schildert endlich ein Herr von Knobloch, der
übrigens bereits vollkommen den neupreußischen Agrarierstandpunkt einnimmt,
sehr lehrreich in einer 1830 erschienenen Schrift: „Über das Entstehen und die
dringend notwendige Abhilfe derjenigen Not, welche jetzt alle Landwirte drückt, und
über die Pflegung des Kredits aller Gewerbe. In besondrer Hinsicht auf den
preußischen Staat" (Berlin, bei Enslin). Er schreibt darüber wörtlich: „Mehreren
Gutsbesitzern gelang es, bei bewirkten Verkäufen zur Erhöhung des Kredits
der verkauften Güter in unredlicher Vorspieglung beträchtlich größere Kauf-
prcissummen im Kaufkontrakt angegeben zu erhalten, und sie benutzten die¬
jenigen Gelder, welche sie mittels des zu hoch gestandnen Kredits sehr bald
geliehen erhalten hatten, dazu, sich in Gegenden, wo die Güter noch für geringe
Preise zu haben waren, andre Güter zu erwerben; ja es gelang sogar vielen,
durch landschaftliche Kreditanstalten auf den in solchen wohlfeilen Gegenden
erkauften Gütern mehr noch angeliehen zu erhalten, als sie Kaufgeld dafür in
Wahrheit gegeben hatten, und die Täuschung, welche dieser Verkehr mit Land¬
gütern erzeugte, war so groß und so allgemein, daß nicht bloß die Kapitalisten
bei den Darlehnsgewahrnngcn, sondern auch die auf diesem Wege zu großem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/62>, abgerufen am 01.09.2024.