Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.Agrarische Sünden vor hundert Jahren besitzende Bevölkerung fast nur von Gutsbesitzern die Rede sein. Diese, ob¬ Ein sehr lebendiges Bild von den Vorgängen in Ostpreußen zu Ende Agrarische Sünden vor hundert Jahren besitzende Bevölkerung fast nur von Gutsbesitzern die Rede sein. Diese, ob¬ Ein sehr lebendiges Bild von den Vorgängen in Ostpreußen zu Ende <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0061" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223003"/> <fw type="header" place="top"> Agrarische Sünden vor hundert Jahren</fw><lb/> <p xml:id="ID_156" prev="#ID_155"> besitzende Bevölkerung fast nur von Gutsbesitzern die Rede sein. Diese, ob¬<lb/> gleich in geselliger Beziehung ziemlich gebildet, hatten damals dennoch im ganzen<lb/> nur einen niedern Grad von Intelligenz. Sie benutzten allerdings den vor¬<lb/> teilhaften Export recht gut, sahen sich auch bald im Besitze einer Menge von<lb/> Geld, wendeten es aber nur zum größern Glänze ihrer geselligen Verhältnisse<lb/> an. Sie steigerten Aufwand und Luxus bald über Vermögen, suchten den<lb/> Ausfall durch Übertreibung der Weizenkultur zu decken, die das Schubarthsche<lb/> System ermöglichen sollte. Man rief nun sogenannte Schubarthianer. nämlich<lb/> Männer herbei, die vorgaben, Schubarths Schüler zu sein, in der That aber<lb/> nichts weiter als die Gutseinrichtuug von Würchwitz kannten, die sie für eine<lb/> Schablone hielten, die sie jedem beliebigen Gute aufdrücken könnten. Der<lb/> Erfolg war natürlich schlecht, die Güter vernnkrcmteten und gingen zurück.<lb/> Die Gutsbesitzer gerieten durch schlechte Ernten in arge Verlegenheit, und viele<lb/> sahen sich endlich genötigt, ihr Gut zu verkaufen. Das alles geschah zu der<lb/> Zeit, als Napoleons steigende Macht der Ruhe Europas immer gefährlicher<lb/> wurde. Vorsichtige Kapitalisten zogen ihr Vermögen allmählich aus den<lb/> Papieren zurück, sahen sich nach Gütern um, in welchen ihr Geld eine sichere<lb/> Anlage fände. Ihr Auge fiel auf Mecklenburg und schwedisch-Pommern.<lb/> Dort waren viele Güter zu kaufen, und die entfernte Lage schien vor den<lb/> Stürmen eines ausbrechenden Krieges hinlänglich sicher zu sein. Es drängten<lb/> sich daher eine Meuge Kapitalisten zum Gutskaufe, bald fing man an in Land¬<lb/> gütern zu spekuttreu, die Preise stiegen zu ganz enormer Höhe empor, sanken<lb/> dann plötzlich 1806 zu kaum erhörter Tiefe wieder herab und begruben in<lb/> ihrem Sturze den Wohlstand vieler Familien."</p><lb/> <p xml:id="ID_157" next="#ID_158"> Ein sehr lebendiges Bild von den Vorgängen in Ostpreußen zu Ende<lb/> des vorigen Jahrhunderts verdanken wir dem General von Boyen. In<lb/> Ostpreußen gab das „Landschaftliche Kreditsystem," das 1790 eingeführt<lb/> worden war, um den klagenden Grundbesitzern billigen Kredit zu vermitteln,<lb/> die Veranlassung zu einer Speknlationswirtschaft ärgster Art. Boyen schreibt<lb/> darüber in seinen Erinnerungen (I, S. 1!)) aus eigner Anschauung folgendes:<lb/> "Diese Maßregel fiel unglücklicherweise in die Zeit, in der äußere Handels-<lb/> verhältnisse im Lande hohe Getreidepreise erzeugten. Das dadurch ungewöhnlich<lb/> gesteigerte Einkommen der Güter wurde nun als Grundlage zum Taxwert<lb/> derselben und der auf sie zu bewilligenden landwirtschaftlichen Kredite ange¬<lb/> nommen, und zur Vollendung des Unglücks wurden auch den landwirtschaft¬<lb/> lichen Schulden keine Tilgungsfonds zu Grunde gelegt. Durch alles dies<lb/> entstanden nun ganz ungewöhnliche Umwandlungen, die etwas an das Lawsche<lb/> System in Frankreich erinnern. Gutsbesitzer, die bis dahin z. B. ihre Grund¬<lb/> stücke 20000 Thaler wert gehalten hatten, erfuhren auf einmal durch die<lb/> landwirtschaftliche Taxe, daß sie 40000 Thaler und mehr wert wären. Sie<lb/> erhielten dadurch einen Kredit zum Schuldenmachen, der weit über den wahren</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0061]
Agrarische Sünden vor hundert Jahren
besitzende Bevölkerung fast nur von Gutsbesitzern die Rede sein. Diese, ob¬
gleich in geselliger Beziehung ziemlich gebildet, hatten damals dennoch im ganzen
nur einen niedern Grad von Intelligenz. Sie benutzten allerdings den vor¬
teilhaften Export recht gut, sahen sich auch bald im Besitze einer Menge von
Geld, wendeten es aber nur zum größern Glänze ihrer geselligen Verhältnisse
an. Sie steigerten Aufwand und Luxus bald über Vermögen, suchten den
Ausfall durch Übertreibung der Weizenkultur zu decken, die das Schubarthsche
System ermöglichen sollte. Man rief nun sogenannte Schubarthianer. nämlich
Männer herbei, die vorgaben, Schubarths Schüler zu sein, in der That aber
nichts weiter als die Gutseinrichtuug von Würchwitz kannten, die sie für eine
Schablone hielten, die sie jedem beliebigen Gute aufdrücken könnten. Der
Erfolg war natürlich schlecht, die Güter vernnkrcmteten und gingen zurück.
Die Gutsbesitzer gerieten durch schlechte Ernten in arge Verlegenheit, und viele
sahen sich endlich genötigt, ihr Gut zu verkaufen. Das alles geschah zu der
Zeit, als Napoleons steigende Macht der Ruhe Europas immer gefährlicher
wurde. Vorsichtige Kapitalisten zogen ihr Vermögen allmählich aus den
Papieren zurück, sahen sich nach Gütern um, in welchen ihr Geld eine sichere
Anlage fände. Ihr Auge fiel auf Mecklenburg und schwedisch-Pommern.
Dort waren viele Güter zu kaufen, und die entfernte Lage schien vor den
Stürmen eines ausbrechenden Krieges hinlänglich sicher zu sein. Es drängten
sich daher eine Meuge Kapitalisten zum Gutskaufe, bald fing man an in Land¬
gütern zu spekuttreu, die Preise stiegen zu ganz enormer Höhe empor, sanken
dann plötzlich 1806 zu kaum erhörter Tiefe wieder herab und begruben in
ihrem Sturze den Wohlstand vieler Familien."
Ein sehr lebendiges Bild von den Vorgängen in Ostpreußen zu Ende
des vorigen Jahrhunderts verdanken wir dem General von Boyen. In
Ostpreußen gab das „Landschaftliche Kreditsystem," das 1790 eingeführt
worden war, um den klagenden Grundbesitzern billigen Kredit zu vermitteln,
die Veranlassung zu einer Speknlationswirtschaft ärgster Art. Boyen schreibt
darüber in seinen Erinnerungen (I, S. 1!)) aus eigner Anschauung folgendes:
"Diese Maßregel fiel unglücklicherweise in die Zeit, in der äußere Handels-
verhältnisse im Lande hohe Getreidepreise erzeugten. Das dadurch ungewöhnlich
gesteigerte Einkommen der Güter wurde nun als Grundlage zum Taxwert
derselben und der auf sie zu bewilligenden landwirtschaftlichen Kredite ange¬
nommen, und zur Vollendung des Unglücks wurden auch den landwirtschaft¬
lichen Schulden keine Tilgungsfonds zu Grunde gelegt. Durch alles dies
entstanden nun ganz ungewöhnliche Umwandlungen, die etwas an das Lawsche
System in Frankreich erinnern. Gutsbesitzer, die bis dahin z. B. ihre Grund¬
stücke 20000 Thaler wert gehalten hatten, erfuhren auf einmal durch die
landwirtschaftliche Taxe, daß sie 40000 Thaler und mehr wert wären. Sie
erhielten dadurch einen Kredit zum Schuldenmachen, der weit über den wahren
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |