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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Elisabeth Charlotte als philosophin

18. Xvr 1695 dankt sie "demütigst vor den gedrückten Brief von H. Leibeuitz,
welchen ich sehr woll geschrieben finde und kann nicht begreifen, wie er eine
so smorouilln-to Sache so woll hat auslegen können." Im Januar 1699 will
sie Leibnizens Meinung über die am französischen Hofe ausgebrochne Streit¬
frage hören, ob das neue Jahrhundert mit dem Jahre 1700 oder 1701 an¬
fange. Im Juli 1705 schreibt sie: "aus alles, was ich vom Herrn Leibenitz
höre und sehe, muß er gar großen Verstand haben und dadurch ahngenehm
sein, es ist rar, daß gelehrte Leüte sauber sein und nicht stinken, und nMöi-ik
verstehen." Also von Studium der leibnizischeu oder irgend einer andern
Philosophie war bei ihr keine Rede.

So unwissenschaftlich jedoch Elisabeth Charlotte auch "räsouniren" mag,
das wesentliche der spätern rationalistischen Theologie und Philosophie besitzt
sie schon. Sie zieht so ziemlich alle christlichem Dogmen in Zweifel, und wenn
sie auch noch an der Lehre von der Erlösung festhält, steht die doch in keinem
lebendigen Zusammenhange mehr mit ihrer Weltanschauung, was, nebenbei
bemerkt, auch schon bei Calvin der Fall ist. Sie ist völlig frei von Aber¬
glauben. In zwei wesentlichen Stücken unterscheidet sie sich jedoch von den
ältesten Calvinisten. Sie hält ihre politischen Ziele nicht für den Willen Gottes,
der sich in seinen Auserwählten offenbare, womit die Holländer und die Puri¬
taner sehr gut, ihre Großeltern aber, der Winterkönig und seine Gemahlin,
sehr schlecht gefahren waren, denn da sie sich in die Politik nicht einmischt,
hat sie keine politischen Ziele, und sie verabscheut den Fanatismus und die
Unduldsamkeit. Sie hält die Unterschiede der Konfessionen für unwesentlich
und gleichgiltig und eine verstündige hansbackne Moral für das Wesentliche
der Religion. Sie hat einen Begriff von Gott, der jeden phantastisch-ver¬
traulichen Verkehr mit ihm, die religiöse Innigkeit: alle Mystik und Pietisterei
ausschließt; nur so weit geht sie nicht, wie manche Anhänger des in ihrer Um¬
gebung neben dem Atheismus verbreiteten englischen Deismus; deren Glauben,
daß sich Gott um die Angelegenheiten der Menschen nicht kümmere, findet sie
schädlich, weil damit ein Zügel der Laster beseitigt werde. Sie ist überzeugt,
daß wir vom Jenseits nichts wissen können und findet die christlichen Lehren
darüber sehr unwahrscheinlich, hält aber, wie Kant, den Glauben daran für
Praktisch nützlich. Nur in einem Punkte ist sie nicht Nationalistin: gegen die
Willensfreiheit spricht sie sich auf das entschiedenste ans; sie ist Deterministin


schuldigung- "Sobald ich weiß, daß Ihr, lieb Karl Moritz, daß liebe Teutsch nicht veracht und
auch persuadirt seid, daß ich es nicht thue, so tönt Ihr mir nur schreiben, wie es Euch ahn
gemächlichsten ist, und eS ist wahr, daß das Französche kürzer ist als daß Teutsche." Unaus¬
stehlich war ihr die Aussprache des Deutschen im Munde von Franzosen! das ewige ick und
ack macht sie "ganz grittlich"; sie findet, daß die Engländer, die sie übrigens noch mehr ver¬
abscheut als die Franzosen, das Deutsche doch weniger verhunzen, ihr -revue sei dein deutschen
ähnlicher als der französische.
Elisabeth Charlotte als philosophin

18. Xvr 1695 dankt sie „demütigst vor den gedrückten Brief von H. Leibeuitz,
welchen ich sehr woll geschrieben finde und kann nicht begreifen, wie er eine
so smorouilln-to Sache so woll hat auslegen können." Im Januar 1699 will
sie Leibnizens Meinung über die am französischen Hofe ausgebrochne Streit¬
frage hören, ob das neue Jahrhundert mit dem Jahre 1700 oder 1701 an¬
fange. Im Juli 1705 schreibt sie: „aus alles, was ich vom Herrn Leibenitz
höre und sehe, muß er gar großen Verstand haben und dadurch ahngenehm
sein, es ist rar, daß gelehrte Leüte sauber sein und nicht stinken, und nMöi-ik
verstehen." Also von Studium der leibnizischeu oder irgend einer andern
Philosophie war bei ihr keine Rede.

So unwissenschaftlich jedoch Elisabeth Charlotte auch „räsouniren" mag,
das wesentliche der spätern rationalistischen Theologie und Philosophie besitzt
sie schon. Sie zieht so ziemlich alle christlichem Dogmen in Zweifel, und wenn
sie auch noch an der Lehre von der Erlösung festhält, steht die doch in keinem
lebendigen Zusammenhange mehr mit ihrer Weltanschauung, was, nebenbei
bemerkt, auch schon bei Calvin der Fall ist. Sie ist völlig frei von Aber¬
glauben. In zwei wesentlichen Stücken unterscheidet sie sich jedoch von den
ältesten Calvinisten. Sie hält ihre politischen Ziele nicht für den Willen Gottes,
der sich in seinen Auserwählten offenbare, womit die Holländer und die Puri¬
taner sehr gut, ihre Großeltern aber, der Winterkönig und seine Gemahlin,
sehr schlecht gefahren waren, denn da sie sich in die Politik nicht einmischt,
hat sie keine politischen Ziele, und sie verabscheut den Fanatismus und die
Unduldsamkeit. Sie hält die Unterschiede der Konfessionen für unwesentlich
und gleichgiltig und eine verstündige hansbackne Moral für das Wesentliche
der Religion. Sie hat einen Begriff von Gott, der jeden phantastisch-ver¬
traulichen Verkehr mit ihm, die religiöse Innigkeit: alle Mystik und Pietisterei
ausschließt; nur so weit geht sie nicht, wie manche Anhänger des in ihrer Um¬
gebung neben dem Atheismus verbreiteten englischen Deismus; deren Glauben,
daß sich Gott um die Angelegenheiten der Menschen nicht kümmere, findet sie
schädlich, weil damit ein Zügel der Laster beseitigt werde. Sie ist überzeugt,
daß wir vom Jenseits nichts wissen können und findet die christlichen Lehren
darüber sehr unwahrscheinlich, hält aber, wie Kant, den Glauben daran für
Praktisch nützlich. Nur in einem Punkte ist sie nicht Nationalistin: gegen die
Willensfreiheit spricht sie sich auf das entschiedenste ans; sie ist Deterministin


schuldigung- „Sobald ich weiß, daß Ihr, lieb Karl Moritz, daß liebe Teutsch nicht veracht und
auch persuadirt seid, daß ich es nicht thue, so tönt Ihr mir nur schreiben, wie es Euch ahn
gemächlichsten ist, und eS ist wahr, daß das Französche kürzer ist als daß Teutsche." Unaus¬
stehlich war ihr die Aussprache des Deutschen im Munde von Franzosen! das ewige ick und
ack macht sie „ganz grittlich"; sie findet, daß die Engländer, die sie übrigens noch mehr ver¬
abscheut als die Franzosen, das Deutsche doch weniger verhunzen, ihr -revue sei dein deutschen
ähnlicher als der französische.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/565>, abgerufen am 06.10.2024.