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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Gute und schlechte Jahre

Wägungen leiten. Sein Sinnen und Sorgen pflegt im wirtschaftlichen Leben
darauf gerichtet zu sein, für sich selbst ein möglichst gutes Auskommen und
das höchste Maß von Wohlergehen zu erringen. Wie viel Erfolg er aber
dabei hat, hängt nicht von seiner Thätigkeit allein ab. Auch "Seine Majestät
der Zufall" hat hierbei ein Wort mitzusprechen. Wenigstens ist für den
Menschen die Macht, von der zum Teil sein Schicksal cibhäugt, der Wechsel
der "Konjunkturen," durchaus unberechenbar. Blitzschnell und unerwartet
bricht die schlechte Zeit herein und vernichtet die schönsten Hoffnungen. Und
wie wir gesehen haben, hilft gerade das Streben des Menschen, für sich ein
Mehr an Gewinn und Wohlergehen herauszuschlagen, mit dazu, in guten
Zeiten einen Rückschlag herbeizuführen. Der Mensch selbst verdirbt die gute
Zeit durch das Jagen nach hastigem Gewinn durch tollkühnes Wagen. Wenn
er aber in der guten Zeit dem Glück die Hand bieten zu müssen meint, so
beklage er sich nicht, wenn ihn die schlechte Zeit mit ihrer ganzen Schwere trifft.

Es ist anzunehmen, daß die großstädtische Entwicklung ihren Höhepunkt
noch nicht überschritten hat, daß die in dem Zuzug nach den Großstädten
eingetretene Stockung nur vorübergehend ist. Wenn dann die "gute Zeit"
wiederkehrt, so wird auch die fieberhafte Jagd nach dem Glück wieder beginnen,
so werden an die Stelle der verkrachten Geschäftsleute und Häuserspekulauteu
neue treten, die, zu Anfange wenigstens, unter günstigern Bedingungen
arbeiten, weil ihnen dann das Steigen der "Kuujunkturen" zu gute kommt. So
wird sich das alte Spiel wiederholen. Während dieses ganzen Wechsels aber
ist doch ein Aufwärtssteigen, eine allmähliche Ansammlung von Wohlstand,
die Zunahme der Möglichkeit einer besseren Lebensweise für die Gesamtheit
zu bemerken. Trotz alles Klagens der Pessimisten befinden wir uns in einer
guten Zeit, wenn wir unsre Lage mit der Lage unsrer Väter vergleichen. Ob
diese Entwicklung von Dauer sein wird, wie stark die Grundlagen unsrer
Kultur sind, können wir nicht bestimmen. Thöricht aber ist es, das Unmög¬
liche zu verlangen; thöricht, von der Gesetzgebung zu erwarten, daß sie eine
gute Zeit, die zugleich dauernd sein müsse, künstlich hervorzaubere. Giebt die
Gesetzgebung solchen Forderungen nach, so liegt die Gefahr nur zu nahe, daß
dem Erwerbsleben ein künstlicher Anreiz gegeben und dadurch der ohnehin in
den "guten Zeiten" herrschende Optimismus bestärkt werde.




Gute und schlechte Jahre

Wägungen leiten. Sein Sinnen und Sorgen pflegt im wirtschaftlichen Leben
darauf gerichtet zu sein, für sich selbst ein möglichst gutes Auskommen und
das höchste Maß von Wohlergehen zu erringen. Wie viel Erfolg er aber
dabei hat, hängt nicht von seiner Thätigkeit allein ab. Auch „Seine Majestät
der Zufall" hat hierbei ein Wort mitzusprechen. Wenigstens ist für den
Menschen die Macht, von der zum Teil sein Schicksal cibhäugt, der Wechsel
der „Konjunkturen," durchaus unberechenbar. Blitzschnell und unerwartet
bricht die schlechte Zeit herein und vernichtet die schönsten Hoffnungen. Und
wie wir gesehen haben, hilft gerade das Streben des Menschen, für sich ein
Mehr an Gewinn und Wohlergehen herauszuschlagen, mit dazu, in guten
Zeiten einen Rückschlag herbeizuführen. Der Mensch selbst verdirbt die gute
Zeit durch das Jagen nach hastigem Gewinn durch tollkühnes Wagen. Wenn
er aber in der guten Zeit dem Glück die Hand bieten zu müssen meint, so
beklage er sich nicht, wenn ihn die schlechte Zeit mit ihrer ganzen Schwere trifft.

Es ist anzunehmen, daß die großstädtische Entwicklung ihren Höhepunkt
noch nicht überschritten hat, daß die in dem Zuzug nach den Großstädten
eingetretene Stockung nur vorübergehend ist. Wenn dann die „gute Zeit"
wiederkehrt, so wird auch die fieberhafte Jagd nach dem Glück wieder beginnen,
so werden an die Stelle der verkrachten Geschäftsleute und Häuserspekulauteu
neue treten, die, zu Anfange wenigstens, unter günstigern Bedingungen
arbeiten, weil ihnen dann das Steigen der „Kuujunkturen" zu gute kommt. So
wird sich das alte Spiel wiederholen. Während dieses ganzen Wechsels aber
ist doch ein Aufwärtssteigen, eine allmähliche Ansammlung von Wohlstand,
die Zunahme der Möglichkeit einer besseren Lebensweise für die Gesamtheit
zu bemerken. Trotz alles Klagens der Pessimisten befinden wir uns in einer
guten Zeit, wenn wir unsre Lage mit der Lage unsrer Väter vergleichen. Ob
diese Entwicklung von Dauer sein wird, wie stark die Grundlagen unsrer
Kultur sind, können wir nicht bestimmen. Thöricht aber ist es, das Unmög¬
liche zu verlangen; thöricht, von der Gesetzgebung zu erwarten, daß sie eine
gute Zeit, die zugleich dauernd sein müsse, künstlich hervorzaubere. Giebt die
Gesetzgebung solchen Forderungen nach, so liegt die Gefahr nur zu nahe, daß
dem Erwerbsleben ein künstlicher Anreiz gegeben und dadurch der ohnehin in
den „guten Zeiten" herrschende Optimismus bestärkt werde.




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[0540] Gute und schlechte Jahre Wägungen leiten. Sein Sinnen und Sorgen pflegt im wirtschaftlichen Leben darauf gerichtet zu sein, für sich selbst ein möglichst gutes Auskommen und das höchste Maß von Wohlergehen zu erringen. Wie viel Erfolg er aber dabei hat, hängt nicht von seiner Thätigkeit allein ab. Auch „Seine Majestät der Zufall" hat hierbei ein Wort mitzusprechen. Wenigstens ist für den Menschen die Macht, von der zum Teil sein Schicksal cibhäugt, der Wechsel der „Konjunkturen," durchaus unberechenbar. Blitzschnell und unerwartet bricht die schlechte Zeit herein und vernichtet die schönsten Hoffnungen. Und wie wir gesehen haben, hilft gerade das Streben des Menschen, für sich ein Mehr an Gewinn und Wohlergehen herauszuschlagen, mit dazu, in guten Zeiten einen Rückschlag herbeizuführen. Der Mensch selbst verdirbt die gute Zeit durch das Jagen nach hastigem Gewinn durch tollkühnes Wagen. Wenn er aber in der guten Zeit dem Glück die Hand bieten zu müssen meint, so beklage er sich nicht, wenn ihn die schlechte Zeit mit ihrer ganzen Schwere trifft. Es ist anzunehmen, daß die großstädtische Entwicklung ihren Höhepunkt noch nicht überschritten hat, daß die in dem Zuzug nach den Großstädten eingetretene Stockung nur vorübergehend ist. Wenn dann die „gute Zeit" wiederkehrt, so wird auch die fieberhafte Jagd nach dem Glück wieder beginnen, so werden an die Stelle der verkrachten Geschäftsleute und Häuserspekulauteu neue treten, die, zu Anfange wenigstens, unter günstigern Bedingungen arbeiten, weil ihnen dann das Steigen der „Kuujunkturen" zu gute kommt. So wird sich das alte Spiel wiederholen. Während dieses ganzen Wechsels aber ist doch ein Aufwärtssteigen, eine allmähliche Ansammlung von Wohlstand, die Zunahme der Möglichkeit einer besseren Lebensweise für die Gesamtheit zu bemerken. Trotz alles Klagens der Pessimisten befinden wir uns in einer guten Zeit, wenn wir unsre Lage mit der Lage unsrer Väter vergleichen. Ob diese Entwicklung von Dauer sein wird, wie stark die Grundlagen unsrer Kultur sind, können wir nicht bestimmen. Thöricht aber ist es, das Unmög¬ liche zu verlangen; thöricht, von der Gesetzgebung zu erwarten, daß sie eine gute Zeit, die zugleich dauernd sein müsse, künstlich hervorzaubere. Giebt die Gesetzgebung solchen Forderungen nach, so liegt die Gefahr nur zu nahe, daß dem Erwerbsleben ein künstlicher Anreiz gegeben und dadurch der ohnehin in den „guten Zeiten" herrschende Optimismus bestärkt werde.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/540>, abgerufen am 01.09.2024.