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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Gute und schlechte Jahre

ein Gleichgewicht herstellen und so die Schwankungen der Erwerbslage besei¬
tigen könne. Aber alle diese Bemühungen haben keinen Erfolg gehabt. Das
ganze Gebiet der Weltwirtschaft ist zu groß, als daß man in der gewünschten
Weise die wirtschaftliche Thätigkeit regeln könnte. Der Verbrauch läßt sich
nicht so genau berechnen, daß ihm die Gütererzeugung angepaßt werden könnte.

Dazu kommt, daß eine günstige Geschäftslage den Anreiz giebt, möglichst
viel zu erzeugen. Jeder will an dem lohnenden Verdienst der guten Zeit
teilnehmen; die Geschäftsbetriebe werden ausgedehnt, neue Geschäftsbetriebe
werden gegründet. So werden Überproduktion und Überspekulatiou gefördert,
und so trügt also die gute Zeit den Keim der schlechten in sich. Denn die zu
einer gewissen Zeit herrschende Geschäftslage beeinflußt auch die Anschauungen
der Menschen. In einer guten Zeit hofft der Mensch leicht, und er baut
bei seinen Unternehmungen zu sehr auf die Datler der gute" Geschäftslage.

Von solchen kürzer dauernden Schwankungen der Geschäftslage, die haupt¬
sächlich durch die Ungleichmäßigkeit der Produktion entstehen, ist ein Wechsel
guter und schlechter Zeiten zu unterscheiden, der sich in längern Zeiträumen
vollzieht. Die Lage der Landwirtschaft hängt nicht bloß von guten und
schlechten Ernten ab, sondern wird durch die ganze wirtschaftliche Entwicklung
beeinflußt. Auf gute Jahrzehnte sind in der Landwirtschaft schlechte Jahr¬
zehnte gefolgt. Während dieses letzten Zeitraums ist aber gleichzeitig unsre
Industrie empvrgeblüht, sind die Menschen nach den Mittelpunkten der in¬
dustriellen Thätigkeit, besonders nach den Großstädten, hingeströmt. Viele
haben dadurch ihre Lage verbessert, einige sogar schwere Reichtümer erworben.
Aber auch hierbei hat sich gezeigt, daß die gute Zeit Versuchungen und Ge¬
fahren mit sich bringt, daß sich die Menschen an die gute Zeit gewöhnen und
auf ihre Dauer gewissermaßen ein Recht zu haben glauben. Das rasche An¬
wachsen der Großstädte, das Steigen der Bodenpreise usw. ist als ein nor¬
maler Zustand betrachtet worden, und alle, die hierbei verdient haben oder
in Zukunft meinten verdienen zu können, sind dann enttäuscht, wenn in dieser
Entwicklung ein Rückgang oder doch eine zeitweilige Stockung eintritt. Da
werden viele im Grund und Boden oder im städtischen Hausbesitz angelegte
Kapitalien verloren, und von den Folgen einer leichtsinnigen Spekulation in
Haus- und Grundbesitz werden viele Erwerbsthütige mitbetroffen.

Auf dauernd gute Zeiten ist bei der industriellen Entwicklung und dem
Aufblühen der Städte eben so wenig zu bauen, wie der Landmann darauf
rechnen kann, jedes Jahr eine gute Ernte zu machen. Denn wenn wir es
hier auch nicht mit blind waltenden Naturkräften zu thun haben, fo hat doch
die menschliche Thätigkeit in ihrer Gesamtheit etwas planloses, sozusagen
unbewußtes. Wir haben es wenigstens bis jetzt nicht gelernt, dies ganze
Getriebe durch planmäßig vorausbercchueude Vernunft zu beherrschen. Gewiß
läßt sich der einzelne bei allem, was er unternimmt, durch vernünftige Er-


Gute und schlechte Jahre

ein Gleichgewicht herstellen und so die Schwankungen der Erwerbslage besei¬
tigen könne. Aber alle diese Bemühungen haben keinen Erfolg gehabt. Das
ganze Gebiet der Weltwirtschaft ist zu groß, als daß man in der gewünschten
Weise die wirtschaftliche Thätigkeit regeln könnte. Der Verbrauch läßt sich
nicht so genau berechnen, daß ihm die Gütererzeugung angepaßt werden könnte.

Dazu kommt, daß eine günstige Geschäftslage den Anreiz giebt, möglichst
viel zu erzeugen. Jeder will an dem lohnenden Verdienst der guten Zeit
teilnehmen; die Geschäftsbetriebe werden ausgedehnt, neue Geschäftsbetriebe
werden gegründet. So werden Überproduktion und Überspekulatiou gefördert,
und so trügt also die gute Zeit den Keim der schlechten in sich. Denn die zu
einer gewissen Zeit herrschende Geschäftslage beeinflußt auch die Anschauungen
der Menschen. In einer guten Zeit hofft der Mensch leicht, und er baut
bei seinen Unternehmungen zu sehr auf die Datler der gute» Geschäftslage.

Von solchen kürzer dauernden Schwankungen der Geschäftslage, die haupt¬
sächlich durch die Ungleichmäßigkeit der Produktion entstehen, ist ein Wechsel
guter und schlechter Zeiten zu unterscheiden, der sich in längern Zeiträumen
vollzieht. Die Lage der Landwirtschaft hängt nicht bloß von guten und
schlechten Ernten ab, sondern wird durch die ganze wirtschaftliche Entwicklung
beeinflußt. Auf gute Jahrzehnte sind in der Landwirtschaft schlechte Jahr¬
zehnte gefolgt. Während dieses letzten Zeitraums ist aber gleichzeitig unsre
Industrie empvrgeblüht, sind die Menschen nach den Mittelpunkten der in¬
dustriellen Thätigkeit, besonders nach den Großstädten, hingeströmt. Viele
haben dadurch ihre Lage verbessert, einige sogar schwere Reichtümer erworben.
Aber auch hierbei hat sich gezeigt, daß die gute Zeit Versuchungen und Ge¬
fahren mit sich bringt, daß sich die Menschen an die gute Zeit gewöhnen und
auf ihre Dauer gewissermaßen ein Recht zu haben glauben. Das rasche An¬
wachsen der Großstädte, das Steigen der Bodenpreise usw. ist als ein nor¬
maler Zustand betrachtet worden, und alle, die hierbei verdient haben oder
in Zukunft meinten verdienen zu können, sind dann enttäuscht, wenn in dieser
Entwicklung ein Rückgang oder doch eine zeitweilige Stockung eintritt. Da
werden viele im Grund und Boden oder im städtischen Hausbesitz angelegte
Kapitalien verloren, und von den Folgen einer leichtsinnigen Spekulation in
Haus- und Grundbesitz werden viele Erwerbsthütige mitbetroffen.

Auf dauernd gute Zeiten ist bei der industriellen Entwicklung und dem
Aufblühen der Städte eben so wenig zu bauen, wie der Landmann darauf
rechnen kann, jedes Jahr eine gute Ernte zu machen. Denn wenn wir es
hier auch nicht mit blind waltenden Naturkräften zu thun haben, fo hat doch
die menschliche Thätigkeit in ihrer Gesamtheit etwas planloses, sozusagen
unbewußtes. Wir haben es wenigstens bis jetzt nicht gelernt, dies ganze
Getriebe durch planmäßig vorausbercchueude Vernunft zu beherrschen. Gewiß
läßt sich der einzelne bei allem, was er unternimmt, durch vernünftige Er-


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[0539] Gute und schlechte Jahre ein Gleichgewicht herstellen und so die Schwankungen der Erwerbslage besei¬ tigen könne. Aber alle diese Bemühungen haben keinen Erfolg gehabt. Das ganze Gebiet der Weltwirtschaft ist zu groß, als daß man in der gewünschten Weise die wirtschaftliche Thätigkeit regeln könnte. Der Verbrauch läßt sich nicht so genau berechnen, daß ihm die Gütererzeugung angepaßt werden könnte. Dazu kommt, daß eine günstige Geschäftslage den Anreiz giebt, möglichst viel zu erzeugen. Jeder will an dem lohnenden Verdienst der guten Zeit teilnehmen; die Geschäftsbetriebe werden ausgedehnt, neue Geschäftsbetriebe werden gegründet. So werden Überproduktion und Überspekulatiou gefördert, und so trügt also die gute Zeit den Keim der schlechten in sich. Denn die zu einer gewissen Zeit herrschende Geschäftslage beeinflußt auch die Anschauungen der Menschen. In einer guten Zeit hofft der Mensch leicht, und er baut bei seinen Unternehmungen zu sehr auf die Datler der gute» Geschäftslage. Von solchen kürzer dauernden Schwankungen der Geschäftslage, die haupt¬ sächlich durch die Ungleichmäßigkeit der Produktion entstehen, ist ein Wechsel guter und schlechter Zeiten zu unterscheiden, der sich in längern Zeiträumen vollzieht. Die Lage der Landwirtschaft hängt nicht bloß von guten und schlechten Ernten ab, sondern wird durch die ganze wirtschaftliche Entwicklung beeinflußt. Auf gute Jahrzehnte sind in der Landwirtschaft schlechte Jahr¬ zehnte gefolgt. Während dieses letzten Zeitraums ist aber gleichzeitig unsre Industrie empvrgeblüht, sind die Menschen nach den Mittelpunkten der in¬ dustriellen Thätigkeit, besonders nach den Großstädten, hingeströmt. Viele haben dadurch ihre Lage verbessert, einige sogar schwere Reichtümer erworben. Aber auch hierbei hat sich gezeigt, daß die gute Zeit Versuchungen und Ge¬ fahren mit sich bringt, daß sich die Menschen an die gute Zeit gewöhnen und auf ihre Dauer gewissermaßen ein Recht zu haben glauben. Das rasche An¬ wachsen der Großstädte, das Steigen der Bodenpreise usw. ist als ein nor¬ maler Zustand betrachtet worden, und alle, die hierbei verdient haben oder in Zukunft meinten verdienen zu können, sind dann enttäuscht, wenn in dieser Entwicklung ein Rückgang oder doch eine zeitweilige Stockung eintritt. Da werden viele im Grund und Boden oder im städtischen Hausbesitz angelegte Kapitalien verloren, und von den Folgen einer leichtsinnigen Spekulation in Haus- und Grundbesitz werden viele Erwerbsthütige mitbetroffen. Auf dauernd gute Zeiten ist bei der industriellen Entwicklung und dem Aufblühen der Städte eben so wenig zu bauen, wie der Landmann darauf rechnen kann, jedes Jahr eine gute Ernte zu machen. Denn wenn wir es hier auch nicht mit blind waltenden Naturkräften zu thun haben, fo hat doch die menschliche Thätigkeit in ihrer Gesamtheit etwas planloses, sozusagen unbewußtes. Wir haben es wenigstens bis jetzt nicht gelernt, dies ganze Getriebe durch planmäßig vorausbercchueude Vernunft zu beherrschen. Gewiß läßt sich der einzelne bei allem, was er unternimmt, durch vernünftige Er-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/539>, abgerufen am 01.09.2024.