Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches Bewegung dem Bauernstande mehr schadet als nützt, sind wir ihr entgegengetreten. Eine ausführliche Kritik der Broschüre ist in den Grenzboten nicht notwendig, Reiner Unsinn ist es, wenn behauptet wird, die Urproduktion allein schaffe Maßgebliches und Unmaßgebliches Bewegung dem Bauernstande mehr schadet als nützt, sind wir ihr entgegengetreten. Eine ausführliche Kritik der Broschüre ist in den Grenzboten nicht notwendig, Reiner Unsinn ist es, wenn behauptet wird, die Urproduktion allein schaffe <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0532" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223474"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_1484" prev="#ID_1483"> Bewegung dem Bauernstande mehr schadet als nützt, sind wir ihr entgegengetreten.<lb/> Möge man auf der andern Seite ebenso Verfahren, möge man die Auswüchse des<lb/> Handels bekämpfen, nicht aber ihn als eine Schmarotzerpflanze verächtlich machen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1485"> Eine ausführliche Kritik der Broschüre ist in den Grenzboten nicht notwendig,<lb/> weil sie die wichtigsten volkswirtschaftlichen Fragen hinlänglich klar gemacht haben.<lb/> Es sollen deshalb nur die beiden Hauptdogmen des Hamburger Kaufmanns mit<lb/> einigen Worten beleuchtet werden. Wenn er den Kaufmannsstand schlechterdings<lb/> unproduktiv nennen will, so lassen wir ihm das Vergnügen; um Worte streiten<lb/> wir nicht. Aber daß der Handel unentbehrlich ist, anch sür die Produktion, das<lb/> darf man nicht leugnen, wenn man nicht unsinnige und schädliche Agitationen be¬<lb/> günstigen will. Wir vermuten, daß der „Hamburger Kaufmann" wenig Lust haben<lb/> würde, sich mit dem Verschleiß seiner Broschüren zu plagen, und daß er daher<lb/> keine produziren würde, wenn ihm nicht ein Verleger diese kcmfmnnnifche Arbeit<lb/> abnähme. Paul Ernst erzählte neulich in der Gegenwart, er sei nach Berlin ge¬<lb/> kommen aus einem Dorfe, wo man mit Äpfeln der besten Sorten die Schweine<lb/> füttere, weil man sonst keine Verwendung für sie habe; er bemerkt dazu, in Berlin<lb/> sei es für ein Arbeiterkind ein Fest, wenn es einmal einen Apfel bekomme, und<lb/> nennt das mit Recht einen verrückten Zustand. Wird irgend ein vernünftiger<lb/> Mensch in jenem Dorfe daran denken, die Obstbaumzucht auszudehnen? Jetzt<lb/> gewiß nicht! Aber wenn den Leuten der Handel zum lohnenden Absatz ihres Obstes<lb/> VerHülfe, würde man es thun. Als England Kornziille einführte, jammerten die<lb/> Landwirte Mecklenburgs, Pommerns und Preußens, sie müßten den Getreidebau<lb/> einschränken oder gar einstellen, und sie hätten es thun müssen, wenn ihnen nicht<lb/> das Wachstum der inländischen Bevölkerung zusammen mit den Eisenbahnen einen<lb/> stetig größer werdenden inländischen Markt erschlossen hätte. Die Ursachen des<lb/> Rückschlags, den sie jetzt erleiden, und daß diese durch Beschränkung der Getreide¬<lb/> einfuhr nicht gehoben werden können, haben wir so oft klar gemacht, daß wir<lb/> Anstand nehmen müssen, schon wieder auf das Thema zurückzukommen. Freilich<lb/> entmutigen die jetzigen Preise die Getreideprodnktion auf deu Großgütern. Aber<lb/> warum können deren Besitzer nur bei höhern Preisen bestehen? Weil sie teuer<lb/> gekauft haben. Warum sind die Landgüter teuer? Erstens, weil jede Ware, also<lb/> auch Grund und Boden, teurer wird, wenn bei gleichbleibender Warenmenge die<lb/> Zahl der Käufer wächst. Zweitens, weil wir, ehe sich eine der Volkszahl ent¬<lb/> sprechende Einfuhr entwickelte, bis in die sechziger Jahre hinein Hungerpreise ge¬<lb/> habt haben; die gemeinsame Wurzel der beiden Ursachen ist also die Übervölkerung.<lb/> Kein Staatsmann vermag es zu ändern, daß in dem übervölkerten Lande entweder<lb/> der Grundbesitz, der auf teueren Boden wirtschaftet, durch billige Preise ruinirt<lb/> wird, oder daß die Hungersnot ein endemisches Leiden wird. Nur einen Aus¬<lb/> weg giebt es: Zerschlagung aller großen Güter und Spatenbau auf kleinen Parzellen<lb/> wie in China, wo jeder von dem Ertrage seines Ackers lebt, nichts oder wenig ver¬<lb/> kauft, eben deswegen aber auch wenig Jndustrieerzeuguisse kaufe» kauu. Natürlich<lb/> würde das für uns, wenn es möglich wäre, ein Zurückschrauben auf einen<lb/> niedrigern Kulturzustand bedeuten. Außerdem hat die Bodeuteilnng ihre Grenzen.<lb/> In China scheint die Grenze überschritten zu sein, denn Hungersnöte sind dort<lb/> häufig, und Ungeziefer wird als Delikatesse genossen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1486" next="#ID_1487"> Reiner Unsinn ist es, wenn behauptet wird, die Urproduktion allein schaffe<lb/> Werte, und unser heimischer Ackerbau liefere neun Zehntel unsers Volksvermögens.<lb/> Vom Volksvermögen sagen wir hier bloß, daß es unberechenbar, und daß es in<lb/> der Volkswirtschaft nicht die Hauptsache ist. Weit wichtiger ist das Vollsein-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0532]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Bewegung dem Bauernstande mehr schadet als nützt, sind wir ihr entgegengetreten.
Möge man auf der andern Seite ebenso Verfahren, möge man die Auswüchse des
Handels bekämpfen, nicht aber ihn als eine Schmarotzerpflanze verächtlich machen.
Eine ausführliche Kritik der Broschüre ist in den Grenzboten nicht notwendig,
weil sie die wichtigsten volkswirtschaftlichen Fragen hinlänglich klar gemacht haben.
Es sollen deshalb nur die beiden Hauptdogmen des Hamburger Kaufmanns mit
einigen Worten beleuchtet werden. Wenn er den Kaufmannsstand schlechterdings
unproduktiv nennen will, so lassen wir ihm das Vergnügen; um Worte streiten
wir nicht. Aber daß der Handel unentbehrlich ist, anch sür die Produktion, das
darf man nicht leugnen, wenn man nicht unsinnige und schädliche Agitationen be¬
günstigen will. Wir vermuten, daß der „Hamburger Kaufmann" wenig Lust haben
würde, sich mit dem Verschleiß seiner Broschüren zu plagen, und daß er daher
keine produziren würde, wenn ihm nicht ein Verleger diese kcmfmnnnifche Arbeit
abnähme. Paul Ernst erzählte neulich in der Gegenwart, er sei nach Berlin ge¬
kommen aus einem Dorfe, wo man mit Äpfeln der besten Sorten die Schweine
füttere, weil man sonst keine Verwendung für sie habe; er bemerkt dazu, in Berlin
sei es für ein Arbeiterkind ein Fest, wenn es einmal einen Apfel bekomme, und
nennt das mit Recht einen verrückten Zustand. Wird irgend ein vernünftiger
Mensch in jenem Dorfe daran denken, die Obstbaumzucht auszudehnen? Jetzt
gewiß nicht! Aber wenn den Leuten der Handel zum lohnenden Absatz ihres Obstes
VerHülfe, würde man es thun. Als England Kornziille einführte, jammerten die
Landwirte Mecklenburgs, Pommerns und Preußens, sie müßten den Getreidebau
einschränken oder gar einstellen, und sie hätten es thun müssen, wenn ihnen nicht
das Wachstum der inländischen Bevölkerung zusammen mit den Eisenbahnen einen
stetig größer werdenden inländischen Markt erschlossen hätte. Die Ursachen des
Rückschlags, den sie jetzt erleiden, und daß diese durch Beschränkung der Getreide¬
einfuhr nicht gehoben werden können, haben wir so oft klar gemacht, daß wir
Anstand nehmen müssen, schon wieder auf das Thema zurückzukommen. Freilich
entmutigen die jetzigen Preise die Getreideprodnktion auf deu Großgütern. Aber
warum können deren Besitzer nur bei höhern Preisen bestehen? Weil sie teuer
gekauft haben. Warum sind die Landgüter teuer? Erstens, weil jede Ware, also
auch Grund und Boden, teurer wird, wenn bei gleichbleibender Warenmenge die
Zahl der Käufer wächst. Zweitens, weil wir, ehe sich eine der Volkszahl ent¬
sprechende Einfuhr entwickelte, bis in die sechziger Jahre hinein Hungerpreise ge¬
habt haben; die gemeinsame Wurzel der beiden Ursachen ist also die Übervölkerung.
Kein Staatsmann vermag es zu ändern, daß in dem übervölkerten Lande entweder
der Grundbesitz, der auf teueren Boden wirtschaftet, durch billige Preise ruinirt
wird, oder daß die Hungersnot ein endemisches Leiden wird. Nur einen Aus¬
weg giebt es: Zerschlagung aller großen Güter und Spatenbau auf kleinen Parzellen
wie in China, wo jeder von dem Ertrage seines Ackers lebt, nichts oder wenig ver¬
kauft, eben deswegen aber auch wenig Jndustrieerzeuguisse kaufe» kauu. Natürlich
würde das für uns, wenn es möglich wäre, ein Zurückschrauben auf einen
niedrigern Kulturzustand bedeuten. Außerdem hat die Bodeuteilnng ihre Grenzen.
In China scheint die Grenze überschritten zu sein, denn Hungersnöte sind dort
häufig, und Ungeziefer wird als Delikatesse genossen.
Reiner Unsinn ist es, wenn behauptet wird, die Urproduktion allein schaffe
Werte, und unser heimischer Ackerbau liefere neun Zehntel unsers Volksvermögens.
Vom Volksvermögen sagen wir hier bloß, daß es unberechenbar, und daß es in
der Volkswirtschaft nicht die Hauptsache ist. Weit wichtiger ist das Vollsein-
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