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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

mennonitischer Seite sind gegen seine Schilderung entschieden Einwendungen erhoben,
und unter der Regierung des Kaisers Friedrich ist sogar der Versuch gemacht
worden, ein Verbot der Aufführung des Dramas zu erwirken. Aber selbst wenn
Wildenbruchs Schilderung richtig wäre, so wäre es doch verfehlt, die Verhältnisse
zu Anfang dieses Jahrhunderts -- das Drama spielt zur Zeit der Freiheitskriege --
einfach auf die Gegenwart zu übertragen.

Die hier in Betracht kommende "Lehre" der Mennoniten ist weiter nichts
als das fünfte Gebot: "Du sollst nicht ködert Dieses Gebot legen die Mennoniten
streng und zwar dahin aus, daß es auch nicht gestattet sei, auf Geheiß des Landes¬
herrn, im Kriege, eine" Menschen zu toten. Deshalb haben sie sich auch bis
vor nicht langer Zeit vom Kriegsdienst zu befreien gesucht. I" Deutschland haben
die wenigen Staaten, in denen es überhaupt Mennoniten giebt -- und es giebt
im ganzen etwa 13000 bis 14000, die hauptsächlich in Ost- und Westpreußen,
Schleswig, Hamburg, Altona, Ostfriesland, der Rheinprovinz und der bairischen
Pfalz wohnen --, diesen religiösen Ansichten Rechnung getragen. Das Privileg
der Befreiung vom Kriegsdienst wurde aber ausgeglichen durch Heranziehung zu
besondern Steuern, Beschränkung im Erwerb von Grundeigentum und Ausschluß
vom Staatsdienst. Die einschlägigen preußischen Gesetze finden sich in dem Gnaden¬
privileg vom 29. März 1780, in dem Edikt vom 30. Juli 1789 (siehe Provinzial-
recht für Westpreußen, § 22, Gesetzsammlung 1844. S. 106), in der Kabinettsordre
vom 16. Mai 1830 (Gesetzsammlung 1830, S. 82) und in dem Allerhöchsten
Erlaß vom 24. Juni 1867 (Gesetzsammlung S. 1S09). Aber schon gegen die
Mitte unsers Jahrhunderts ließen die Mennoniten allmählich ihre Bedenken gegen
den Kriegsdienst fallen, und als ihre Befreiung vou der persönlichen Erfüllung der
Wehrpflicht dann auch gesetzlich (durch das Bundesgesetz betreffend die Verpflichtung
zum Kriegsdienst vom 9. November 1367) aufgehoben wurde, wurde das ziemlich
gleichgiltig aufgenommen. Die preußische Allerhöchste Ordre vom 3. März 1368
bestimmte zwar, daß die Mitglieder der ältern Mennonitenfamilien, wenn sie sich
nicht freiwillig zum Waffendienst bereit erklärten, zur Ableistung ihrer Militär¬
dienstpflicht als Krankenwärter für die Lazarette, als Schreiber für die Landwehr¬
bezirkskommandos, als Ökonomiehandwerker und Trainfahrer aufzuheben wären,
doch haben die Mennoniten mir in seltnen Fällen davon Gebrauch gemacht. Der
vor kurzem von den Tagesblättern mitgeteilte Fall, daß sich ein Mennonit als
Rekrut geweigert habe, ein Gewehr in die Hand zu nehmen, scheint dafür zu
sprechen, daß die Ordre vom 3'. März 1863 schon in Vergessenheit geraten ist.
An dem Feldzuge 1370/71 hat eine ganze Anzahl von Mennoniten teilgenommen,
und seitdem haben sie fast alle, wenn sie ausgehoben wurden, mit der Waffe gedient.







Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Gruuow in Leipzig
Verlag von Fr, Wilh. Grunow in Leipzig. -- Druck von Carl Marquart in Leipzig
Maßgebliches und Unmaßgebliches

mennonitischer Seite sind gegen seine Schilderung entschieden Einwendungen erhoben,
und unter der Regierung des Kaisers Friedrich ist sogar der Versuch gemacht
worden, ein Verbot der Aufführung des Dramas zu erwirken. Aber selbst wenn
Wildenbruchs Schilderung richtig wäre, so wäre es doch verfehlt, die Verhältnisse
zu Anfang dieses Jahrhunderts — das Drama spielt zur Zeit der Freiheitskriege —
einfach auf die Gegenwart zu übertragen.

Die hier in Betracht kommende „Lehre" der Mennoniten ist weiter nichts
als das fünfte Gebot: „Du sollst nicht ködert Dieses Gebot legen die Mennoniten
streng und zwar dahin aus, daß es auch nicht gestattet sei, auf Geheiß des Landes¬
herrn, im Kriege, eine» Menschen zu toten. Deshalb haben sie sich auch bis
vor nicht langer Zeit vom Kriegsdienst zu befreien gesucht. I» Deutschland haben
die wenigen Staaten, in denen es überhaupt Mennoniten giebt — und es giebt
im ganzen etwa 13000 bis 14000, die hauptsächlich in Ost- und Westpreußen,
Schleswig, Hamburg, Altona, Ostfriesland, der Rheinprovinz und der bairischen
Pfalz wohnen —, diesen religiösen Ansichten Rechnung getragen. Das Privileg
der Befreiung vom Kriegsdienst wurde aber ausgeglichen durch Heranziehung zu
besondern Steuern, Beschränkung im Erwerb von Grundeigentum und Ausschluß
vom Staatsdienst. Die einschlägigen preußischen Gesetze finden sich in dem Gnaden¬
privileg vom 29. März 1780, in dem Edikt vom 30. Juli 1789 (siehe Provinzial-
recht für Westpreußen, § 22, Gesetzsammlung 1844. S. 106), in der Kabinettsordre
vom 16. Mai 1830 (Gesetzsammlung 1830, S. 82) und in dem Allerhöchsten
Erlaß vom 24. Juni 1867 (Gesetzsammlung S. 1S09). Aber schon gegen die
Mitte unsers Jahrhunderts ließen die Mennoniten allmählich ihre Bedenken gegen
den Kriegsdienst fallen, und als ihre Befreiung vou der persönlichen Erfüllung der
Wehrpflicht dann auch gesetzlich (durch das Bundesgesetz betreffend die Verpflichtung
zum Kriegsdienst vom 9. November 1367) aufgehoben wurde, wurde das ziemlich
gleichgiltig aufgenommen. Die preußische Allerhöchste Ordre vom 3. März 1368
bestimmte zwar, daß die Mitglieder der ältern Mennonitenfamilien, wenn sie sich
nicht freiwillig zum Waffendienst bereit erklärten, zur Ableistung ihrer Militär¬
dienstpflicht als Krankenwärter für die Lazarette, als Schreiber für die Landwehr¬
bezirkskommandos, als Ökonomiehandwerker und Trainfahrer aufzuheben wären,
doch haben die Mennoniten mir in seltnen Fällen davon Gebrauch gemacht. Der
vor kurzem von den Tagesblättern mitgeteilte Fall, daß sich ein Mennonit als
Rekrut geweigert habe, ein Gewehr in die Hand zu nehmen, scheint dafür zu
sprechen, daß die Ordre vom 3'. März 1863 schon in Vergessenheit geraten ist.
An dem Feldzuge 1370/71 hat eine ganze Anzahl von Mennoniten teilgenommen,
und seitdem haben sie fast alle, wenn sie ausgehoben wurden, mit der Waffe gedient.







Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Gruuow in Leipzig
Verlag von Fr, Wilh. Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig
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[0488] Maßgebliches und Unmaßgebliches mennonitischer Seite sind gegen seine Schilderung entschieden Einwendungen erhoben, und unter der Regierung des Kaisers Friedrich ist sogar der Versuch gemacht worden, ein Verbot der Aufführung des Dramas zu erwirken. Aber selbst wenn Wildenbruchs Schilderung richtig wäre, so wäre es doch verfehlt, die Verhältnisse zu Anfang dieses Jahrhunderts — das Drama spielt zur Zeit der Freiheitskriege — einfach auf die Gegenwart zu übertragen. Die hier in Betracht kommende „Lehre" der Mennoniten ist weiter nichts als das fünfte Gebot: „Du sollst nicht ködert Dieses Gebot legen die Mennoniten streng und zwar dahin aus, daß es auch nicht gestattet sei, auf Geheiß des Landes¬ herrn, im Kriege, eine» Menschen zu toten. Deshalb haben sie sich auch bis vor nicht langer Zeit vom Kriegsdienst zu befreien gesucht. I» Deutschland haben die wenigen Staaten, in denen es überhaupt Mennoniten giebt — und es giebt im ganzen etwa 13000 bis 14000, die hauptsächlich in Ost- und Westpreußen, Schleswig, Hamburg, Altona, Ostfriesland, der Rheinprovinz und der bairischen Pfalz wohnen —, diesen religiösen Ansichten Rechnung getragen. Das Privileg der Befreiung vom Kriegsdienst wurde aber ausgeglichen durch Heranziehung zu besondern Steuern, Beschränkung im Erwerb von Grundeigentum und Ausschluß vom Staatsdienst. Die einschlägigen preußischen Gesetze finden sich in dem Gnaden¬ privileg vom 29. März 1780, in dem Edikt vom 30. Juli 1789 (siehe Provinzial- recht für Westpreußen, § 22, Gesetzsammlung 1844. S. 106), in der Kabinettsordre vom 16. Mai 1830 (Gesetzsammlung 1830, S. 82) und in dem Allerhöchsten Erlaß vom 24. Juni 1867 (Gesetzsammlung S. 1S09). Aber schon gegen die Mitte unsers Jahrhunderts ließen die Mennoniten allmählich ihre Bedenken gegen den Kriegsdienst fallen, und als ihre Befreiung vou der persönlichen Erfüllung der Wehrpflicht dann auch gesetzlich (durch das Bundesgesetz betreffend die Verpflichtung zum Kriegsdienst vom 9. November 1367) aufgehoben wurde, wurde das ziemlich gleichgiltig aufgenommen. Die preußische Allerhöchste Ordre vom 3. März 1368 bestimmte zwar, daß die Mitglieder der ältern Mennonitenfamilien, wenn sie sich nicht freiwillig zum Waffendienst bereit erklärten, zur Ableistung ihrer Militär¬ dienstpflicht als Krankenwärter für die Lazarette, als Schreiber für die Landwehr¬ bezirkskommandos, als Ökonomiehandwerker und Trainfahrer aufzuheben wären, doch haben die Mennoniten mir in seltnen Fällen davon Gebrauch gemacht. Der vor kurzem von den Tagesblättern mitgeteilte Fall, daß sich ein Mennonit als Rekrut geweigert habe, ein Gewehr in die Hand zu nehmen, scheint dafür zu sprechen, daß die Ordre vom 3'. März 1863 schon in Vergessenheit geraten ist. An dem Feldzuge 1370/71 hat eine ganze Anzahl von Mennoniten teilgenommen, und seitdem haben sie fast alle, wenn sie ausgehoben wurden, mit der Waffe gedient. Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Gruuow in Leipzig Verlag von Fr, Wilh. Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/488>, abgerufen am 01.09.2024.