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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Die Alten und die Jungen

Man kann ihn als die Reaktion auf den Naturalismus auffassen. Bei
diesem war der Geist im ganzen zu kurz gekommen, der Körper alles gewesen;
nun rächte sich der Geist, wollte vom Körper gar nichts mehr wissen und
tauchte tief in die Abgründe der Mystik und des -- Blödsinns. Die Franzosen
hatten das vorgemacht, die Deutschen machten es nach. Es lohnt nicht, auch
nur die Namen der Franzosen zu nennen, die die Muster abgaben; bezeichnender¬
weise hießen sie außer Symbolisten und Impressionisten auch Deeadents und
verleugneten ihren engen Zusammenhang mit den ältern Deeadents Baudelaire
und Richepin nicht. Auch unsre deutschen Symbolisten waren meist Deeadents,
bewußte Verfallzeitler, die auf ihre Überkultur stolz waren und sich nicht mehr
die Mühe gaben, die Decadence zu überwinden. Bei ihnen namentlich kam
Friedrich Nietzsche zur Geltung, hatte doch auch er schon etwas wie eine
symbolistische Poesie geschaffen, die jetzt formell vielfach maßgebend wurde;
kurze prosaische Stücke im Orakelton oder aus lauter farbigen, aber unklaren
Bildern bestehend, wurden die Lieblingsform des Symbolismus. Im ganzen
ist die symbolistische Bewegung in der deutschen Dichtung ohne alle Folgen
geblieben, nur daß sie eben der Einseitigkeit des Naturalismus ein Ende
- bereitet hat.

Nicht eigentliche Symbolisten, obwohl sie doch der Bewegung nicht fern¬
standen, sicher aber Deeadents sind die beiden Hannoveraner Otto Erich Hart¬
leben und Heinz Tovote, denen man als dritten vielleicht Georg v. Omptedu
(Egestorff), der auch Hannoveraner ist, anreihen darf. Hartleben habe ich
schon als Dramatiker des Naturalismus erwähnt; wie er nichts weniger als
ein Stürmer und Dränger war, so lag anch der entschiedn" Naturalismus
seiner Natur nicht, und seine Spezialität gewann er daher erst als Schilderer
des Berliner Hua,re,lor lato. Im allgemeinen entspricht er der in Frankreich
von Mcinpassant vertretneu Richtung, die ja zweifellos decadenter ist als die
Zolas. Er hat eine leichte, sichere Hand, Humor, aber dabei auch etwas
Dilettantisches. Von Maupassant kann man anch den erfolgreichen Vertreter
des höhern Dirnenromans, Tovote (geb. 1864) ableiten, den man nicht mit
Unrecht mit Clauren verglichen hat. Seine Produkte sind nach und nach
ziemlich öde geworden. Ompteda (geb. 1863) hat in seinen Dichtungen Liliencron
nachgeahmt, dann auch Diruenromnne und oft sehr amüsante Skizzen geschrieben.
Alle diese Dichter sind frei von der naturalistischen Brutalität, mehr "Künstler"
oder sagen wir "Virtuosen" als die folgerichtigen Naturalisten, aristokratischer,
aber auch schwächlicher und ohne soziale und sittliche Tendenz, weswegen man
sie am richtigsten als die Hauptvertreter der deutschen Spätdccadence be¬
zeichnen kann.

Die Entwicklung des Symbolismus kann man am besten in den Münchner
"Modernen Musenalmanachen" (1893 ff.) und der schon genannten Prosa-
sammlnng "Neuland" verfolgen. Die 1891 gleichfalls in München erschienene


Grenzboten III 18?" 59
Die Alten und die Jungen

Man kann ihn als die Reaktion auf den Naturalismus auffassen. Bei
diesem war der Geist im ganzen zu kurz gekommen, der Körper alles gewesen;
nun rächte sich der Geist, wollte vom Körper gar nichts mehr wissen und
tauchte tief in die Abgründe der Mystik und des — Blödsinns. Die Franzosen
hatten das vorgemacht, die Deutschen machten es nach. Es lohnt nicht, auch
nur die Namen der Franzosen zu nennen, die die Muster abgaben; bezeichnender¬
weise hießen sie außer Symbolisten und Impressionisten auch Deeadents und
verleugneten ihren engen Zusammenhang mit den ältern Deeadents Baudelaire
und Richepin nicht. Auch unsre deutschen Symbolisten waren meist Deeadents,
bewußte Verfallzeitler, die auf ihre Überkultur stolz waren und sich nicht mehr
die Mühe gaben, die Decadence zu überwinden. Bei ihnen namentlich kam
Friedrich Nietzsche zur Geltung, hatte doch auch er schon etwas wie eine
symbolistische Poesie geschaffen, die jetzt formell vielfach maßgebend wurde;
kurze prosaische Stücke im Orakelton oder aus lauter farbigen, aber unklaren
Bildern bestehend, wurden die Lieblingsform des Symbolismus. Im ganzen
ist die symbolistische Bewegung in der deutschen Dichtung ohne alle Folgen
geblieben, nur daß sie eben der Einseitigkeit des Naturalismus ein Ende
- bereitet hat.

Nicht eigentliche Symbolisten, obwohl sie doch der Bewegung nicht fern¬
standen, sicher aber Deeadents sind die beiden Hannoveraner Otto Erich Hart¬
leben und Heinz Tovote, denen man als dritten vielleicht Georg v. Omptedu
(Egestorff), der auch Hannoveraner ist, anreihen darf. Hartleben habe ich
schon als Dramatiker des Naturalismus erwähnt; wie er nichts weniger als
ein Stürmer und Dränger war, so lag anch der entschiedn« Naturalismus
seiner Natur nicht, und seine Spezialität gewann er daher erst als Schilderer
des Berliner Hua,re,lor lato. Im allgemeinen entspricht er der in Frankreich
von Mcinpassant vertretneu Richtung, die ja zweifellos decadenter ist als die
Zolas. Er hat eine leichte, sichere Hand, Humor, aber dabei auch etwas
Dilettantisches. Von Maupassant kann man anch den erfolgreichen Vertreter
des höhern Dirnenromans, Tovote (geb. 1864) ableiten, den man nicht mit
Unrecht mit Clauren verglichen hat. Seine Produkte sind nach und nach
ziemlich öde geworden. Ompteda (geb. 1863) hat in seinen Dichtungen Liliencron
nachgeahmt, dann auch Diruenromnne und oft sehr amüsante Skizzen geschrieben.
Alle diese Dichter sind frei von der naturalistischen Brutalität, mehr „Künstler"
oder sagen wir „Virtuosen" als die folgerichtigen Naturalisten, aristokratischer,
aber auch schwächlicher und ohne soziale und sittliche Tendenz, weswegen man
sie am richtigsten als die Hauptvertreter der deutschen Spätdccadence be¬
zeichnen kann.

Die Entwicklung des Symbolismus kann man am besten in den Münchner
„Modernen Musenalmanachen" (1893 ff.) und der schon genannten Prosa-
sammlnng „Neuland" verfolgen. Die 1891 gleichfalls in München erschienene


Grenzboten III 18?« 59
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[0473] Die Alten und die Jungen Man kann ihn als die Reaktion auf den Naturalismus auffassen. Bei diesem war der Geist im ganzen zu kurz gekommen, der Körper alles gewesen; nun rächte sich der Geist, wollte vom Körper gar nichts mehr wissen und tauchte tief in die Abgründe der Mystik und des — Blödsinns. Die Franzosen hatten das vorgemacht, die Deutschen machten es nach. Es lohnt nicht, auch nur die Namen der Franzosen zu nennen, die die Muster abgaben; bezeichnender¬ weise hießen sie außer Symbolisten und Impressionisten auch Deeadents und verleugneten ihren engen Zusammenhang mit den ältern Deeadents Baudelaire und Richepin nicht. Auch unsre deutschen Symbolisten waren meist Deeadents, bewußte Verfallzeitler, die auf ihre Überkultur stolz waren und sich nicht mehr die Mühe gaben, die Decadence zu überwinden. Bei ihnen namentlich kam Friedrich Nietzsche zur Geltung, hatte doch auch er schon etwas wie eine symbolistische Poesie geschaffen, die jetzt formell vielfach maßgebend wurde; kurze prosaische Stücke im Orakelton oder aus lauter farbigen, aber unklaren Bildern bestehend, wurden die Lieblingsform des Symbolismus. Im ganzen ist die symbolistische Bewegung in der deutschen Dichtung ohne alle Folgen geblieben, nur daß sie eben der Einseitigkeit des Naturalismus ein Ende - bereitet hat. Nicht eigentliche Symbolisten, obwohl sie doch der Bewegung nicht fern¬ standen, sicher aber Deeadents sind die beiden Hannoveraner Otto Erich Hart¬ leben und Heinz Tovote, denen man als dritten vielleicht Georg v. Omptedu (Egestorff), der auch Hannoveraner ist, anreihen darf. Hartleben habe ich schon als Dramatiker des Naturalismus erwähnt; wie er nichts weniger als ein Stürmer und Dränger war, so lag anch der entschiedn« Naturalismus seiner Natur nicht, und seine Spezialität gewann er daher erst als Schilderer des Berliner Hua,re,lor lato. Im allgemeinen entspricht er der in Frankreich von Mcinpassant vertretneu Richtung, die ja zweifellos decadenter ist als die Zolas. Er hat eine leichte, sichere Hand, Humor, aber dabei auch etwas Dilettantisches. Von Maupassant kann man anch den erfolgreichen Vertreter des höhern Dirnenromans, Tovote (geb. 1864) ableiten, den man nicht mit Unrecht mit Clauren verglichen hat. Seine Produkte sind nach und nach ziemlich öde geworden. Ompteda (geb. 1863) hat in seinen Dichtungen Liliencron nachgeahmt, dann auch Diruenromnne und oft sehr amüsante Skizzen geschrieben. Alle diese Dichter sind frei von der naturalistischen Brutalität, mehr „Künstler" oder sagen wir „Virtuosen" als die folgerichtigen Naturalisten, aristokratischer, aber auch schwächlicher und ohne soziale und sittliche Tendenz, weswegen man sie am richtigsten als die Hauptvertreter der deutschen Spätdccadence be¬ zeichnen kann. Die Entwicklung des Symbolismus kann man am besten in den Münchner „Modernen Musenalmanachen" (1893 ff.) und der schon genannten Prosa- sammlnng „Neuland" verfolgen. Die 1891 gleichfalls in München erschienene Grenzboten III 18?« 59

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/473>, abgerufen am 01.09.2024.