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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Warum sollen wir ins Gefängnis?

stimmte Dauer zu verurteilen (die längste Dauer betragt jedoch zwei Jahre) und
während dieser Haft so lange auf ihre Persönlichkeit einzuwirken, bis diese
für den richtigen Gebrauch der Freiheit gewisse Bürgschaften bietet. Die Haupt¬
erziehungsmittel dabei sind Arbeit und diätetische Kuren. Man hat damit gute
Erfolge gehabt, indem nur 15,2 Prozent "wahrscheinlich ihre Verbrecher¬
laufbahn wieder aufgenommen" haben. Doch steht dieser Versuch vereinzelt
da; und die Strafanstalten Amerikas sind im allgemeinen weit schlechter als
unsre deutschen.

Ein verwandter Gedanke beginnt sich gegenwärtig in Deutschland Bahn
zu brechen. Hervorgegangen ist er aus der Mitte der in großem Segen
wirkenden deutschen Gefängnisgesellschaften und im Herbst 1894 auf einer
Versammlung der Rheinisch-westfälischen Gefüngnisgesellschaft auch bereits
Gegenstand der Verhandlung gewesen. Man hat hier -- und nachher auch
in andern Provinzen -- die Frage aufgeworfen, ob es nicht möglich sei, die
zum erstenmale zu Korrektionshaft verurteilten Burschen und Mädchen, statt
in der Korrektionsanstalt, in einer Arbeiter- oder Arbeiterinnenkolonie unter¬
zubringen. Man hat also der Erziehung zum erstenmale die Beachtung
geschenkt, die ihr gebührt. Denn wenn auch unsre Arbeiterkolonien noch an
manchen Mängeln leiden -- der Grundmängel ist übrigens der Geldmangel --,
so stehen sie doch in erzieherischer Hinsicht hoch über den Korrektionsanstalten.
Man braucht nur einmal eine Arbeiterkolonie zu durchwandern und die Ge¬
sichter der Insassen mit den Mienen der Korrektionshäusler zu vergleichen,
so merkt man sofort die Verschiedenheit des Geistes, der hier weht. Das hat
seinen Grund zum Teil darin, daß die Korrektionshäusler Gefangne sind, die
Kolonisten dagegen freie Leute, die jeden Tag gehen können (sie bleiben aber
gern!); außerdem muß man aber bedenken, daß die Kolonisten vielfach völlig
gebrochne Existenzen sind, die aus dem Schiffbruch ihres Lebens die letzten
Trümmer nach der Arbeiterkolonie gerettet haben, die Korrigenden dagegen in
der Mehrzahl, wenn auch nicht gerade schaffensfreudige, so doch arbeitskräftige
Leute in den besten Jahren. Wenn also der Eindruck, den man in der Arbeiter¬
kolonie erhält, trotzdem ein freundlicherer, günstigerer ist, so muß es wohl an
dem freundlichen, liebevollen Geiste liegen, der in den Kolonien herrscht, in der
einen natürlich mehr, in der andern weniger, je nachdem die leitenden Persön¬
lichkeiten -- Pastor, Hausvater -- beschaffen sind.

Aber der Gedanke der Gefängnisgesellschaften, den lasterhaften Menschen
frühzeitig zu erziehen und so zu verhüten, daß er die Bahn des Lasters betrete,
ist ja noch im Entstehen begriffen. Ein ähnlicher Gedanke aber ist bereits
zu That geworden. Im Jahre 1884 gründete Pastor Jsermeyer in Hildes¬
heim vor den Thoren der Stadt das Asyl Frauenheim. Ursprünglich den
Arbeiterkolonien Wilhelmsdorf und Kästorf nachgebildet, sollte das Frauenheim
eine Zufluchtsstätte für ardens- und obdachlose Frauen und Mädchen sein. Das


Warum sollen wir ins Gefängnis?

stimmte Dauer zu verurteilen (die längste Dauer betragt jedoch zwei Jahre) und
während dieser Haft so lange auf ihre Persönlichkeit einzuwirken, bis diese
für den richtigen Gebrauch der Freiheit gewisse Bürgschaften bietet. Die Haupt¬
erziehungsmittel dabei sind Arbeit und diätetische Kuren. Man hat damit gute
Erfolge gehabt, indem nur 15,2 Prozent „wahrscheinlich ihre Verbrecher¬
laufbahn wieder aufgenommen" haben. Doch steht dieser Versuch vereinzelt
da; und die Strafanstalten Amerikas sind im allgemeinen weit schlechter als
unsre deutschen.

Ein verwandter Gedanke beginnt sich gegenwärtig in Deutschland Bahn
zu brechen. Hervorgegangen ist er aus der Mitte der in großem Segen
wirkenden deutschen Gefängnisgesellschaften und im Herbst 1894 auf einer
Versammlung der Rheinisch-westfälischen Gefüngnisgesellschaft auch bereits
Gegenstand der Verhandlung gewesen. Man hat hier — und nachher auch
in andern Provinzen — die Frage aufgeworfen, ob es nicht möglich sei, die
zum erstenmale zu Korrektionshaft verurteilten Burschen und Mädchen, statt
in der Korrektionsanstalt, in einer Arbeiter- oder Arbeiterinnenkolonie unter¬
zubringen. Man hat also der Erziehung zum erstenmale die Beachtung
geschenkt, die ihr gebührt. Denn wenn auch unsre Arbeiterkolonien noch an
manchen Mängeln leiden — der Grundmängel ist übrigens der Geldmangel —,
so stehen sie doch in erzieherischer Hinsicht hoch über den Korrektionsanstalten.
Man braucht nur einmal eine Arbeiterkolonie zu durchwandern und die Ge¬
sichter der Insassen mit den Mienen der Korrektionshäusler zu vergleichen,
so merkt man sofort die Verschiedenheit des Geistes, der hier weht. Das hat
seinen Grund zum Teil darin, daß die Korrektionshäusler Gefangne sind, die
Kolonisten dagegen freie Leute, die jeden Tag gehen können (sie bleiben aber
gern!); außerdem muß man aber bedenken, daß die Kolonisten vielfach völlig
gebrochne Existenzen sind, die aus dem Schiffbruch ihres Lebens die letzten
Trümmer nach der Arbeiterkolonie gerettet haben, die Korrigenden dagegen in
der Mehrzahl, wenn auch nicht gerade schaffensfreudige, so doch arbeitskräftige
Leute in den besten Jahren. Wenn also der Eindruck, den man in der Arbeiter¬
kolonie erhält, trotzdem ein freundlicherer, günstigerer ist, so muß es wohl an
dem freundlichen, liebevollen Geiste liegen, der in den Kolonien herrscht, in der
einen natürlich mehr, in der andern weniger, je nachdem die leitenden Persön¬
lichkeiten — Pastor, Hausvater — beschaffen sind.

Aber der Gedanke der Gefängnisgesellschaften, den lasterhaften Menschen
frühzeitig zu erziehen und so zu verhüten, daß er die Bahn des Lasters betrete,
ist ja noch im Entstehen begriffen. Ein ähnlicher Gedanke aber ist bereits
zu That geworden. Im Jahre 1884 gründete Pastor Jsermeyer in Hildes¬
heim vor den Thoren der Stadt das Asyl Frauenheim. Ursprünglich den
Arbeiterkolonien Wilhelmsdorf und Kästorf nachgebildet, sollte das Frauenheim
eine Zufluchtsstätte für ardens- und obdachlose Frauen und Mädchen sein. Das


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[0456] Warum sollen wir ins Gefängnis? stimmte Dauer zu verurteilen (die längste Dauer betragt jedoch zwei Jahre) und während dieser Haft so lange auf ihre Persönlichkeit einzuwirken, bis diese für den richtigen Gebrauch der Freiheit gewisse Bürgschaften bietet. Die Haupt¬ erziehungsmittel dabei sind Arbeit und diätetische Kuren. Man hat damit gute Erfolge gehabt, indem nur 15,2 Prozent „wahrscheinlich ihre Verbrecher¬ laufbahn wieder aufgenommen" haben. Doch steht dieser Versuch vereinzelt da; und die Strafanstalten Amerikas sind im allgemeinen weit schlechter als unsre deutschen. Ein verwandter Gedanke beginnt sich gegenwärtig in Deutschland Bahn zu brechen. Hervorgegangen ist er aus der Mitte der in großem Segen wirkenden deutschen Gefängnisgesellschaften und im Herbst 1894 auf einer Versammlung der Rheinisch-westfälischen Gefüngnisgesellschaft auch bereits Gegenstand der Verhandlung gewesen. Man hat hier — und nachher auch in andern Provinzen — die Frage aufgeworfen, ob es nicht möglich sei, die zum erstenmale zu Korrektionshaft verurteilten Burschen und Mädchen, statt in der Korrektionsanstalt, in einer Arbeiter- oder Arbeiterinnenkolonie unter¬ zubringen. Man hat also der Erziehung zum erstenmale die Beachtung geschenkt, die ihr gebührt. Denn wenn auch unsre Arbeiterkolonien noch an manchen Mängeln leiden — der Grundmängel ist übrigens der Geldmangel —, so stehen sie doch in erzieherischer Hinsicht hoch über den Korrektionsanstalten. Man braucht nur einmal eine Arbeiterkolonie zu durchwandern und die Ge¬ sichter der Insassen mit den Mienen der Korrektionshäusler zu vergleichen, so merkt man sofort die Verschiedenheit des Geistes, der hier weht. Das hat seinen Grund zum Teil darin, daß die Korrektionshäusler Gefangne sind, die Kolonisten dagegen freie Leute, die jeden Tag gehen können (sie bleiben aber gern!); außerdem muß man aber bedenken, daß die Kolonisten vielfach völlig gebrochne Existenzen sind, die aus dem Schiffbruch ihres Lebens die letzten Trümmer nach der Arbeiterkolonie gerettet haben, die Korrigenden dagegen in der Mehrzahl, wenn auch nicht gerade schaffensfreudige, so doch arbeitskräftige Leute in den besten Jahren. Wenn also der Eindruck, den man in der Arbeiter¬ kolonie erhält, trotzdem ein freundlicherer, günstigerer ist, so muß es wohl an dem freundlichen, liebevollen Geiste liegen, der in den Kolonien herrscht, in der einen natürlich mehr, in der andern weniger, je nachdem die leitenden Persön¬ lichkeiten — Pastor, Hausvater — beschaffen sind. Aber der Gedanke der Gefängnisgesellschaften, den lasterhaften Menschen frühzeitig zu erziehen und so zu verhüten, daß er die Bahn des Lasters betrete, ist ja noch im Entstehen begriffen. Ein ähnlicher Gedanke aber ist bereits zu That geworden. Im Jahre 1884 gründete Pastor Jsermeyer in Hildes¬ heim vor den Thoren der Stadt das Asyl Frauenheim. Ursprünglich den Arbeiterkolonien Wilhelmsdorf und Kästorf nachgebildet, sollte das Frauenheim eine Zufluchtsstätte für ardens- und obdachlose Frauen und Mädchen sein. Das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/456>, abgerufen am 01.09.2024.